Seevogelkot begrünt die arktische Landschaft
Wer an die Arktis denkt, stellt sich meist einen eisigen oder felsigen Ort ohne Pflanzen vor. Doch es gibt nebst der Tundra mit ihren Zwergsträuchern auch Vegetations-Hotspots in den steilen Klippen – weil dort viele Vögel nisten.
Als wir uns diesen Vogelfelsen vom Meer aus näherten, sahen wir zuerst die hoch aufragenden Berghänge. Die grünen Flecken darunter bildeten einen schönen Kontrast zum Grau des Felsens.
Wir hörten die Vögel, bevor wir sie sahen. Es war sehr bewegend, mitzuerleben, wie die Küken bei ihrem ersten Flug von der Klippe sprangen, begleitet und ermutigt von ihren Eltern.
Feldnotizen aus der Arktis
Die Doktorandinnen Lena Bakker, Sigrid Trier Kjaer und Jana Rüthers (v.l.n.r.) von der ETH Zürich haben sich auf den Weg zur norwegischen Inselgruppe Spitzbergen gemacht. Im hohen Norden wollen sie die Begrünung der Arktis untersuchen; ein Prozess, der durch die globale Erwärmung ausgelöst und lokal durch die chemische und geologische Beschaffenheit des Bodens bestimmt wird.
An den steilen Hängen der Küste Spitzbergens brüten mehrere Vogelarten, darunter die Zwergalke, die Dreizehenmöwe und der Eissturmvogel.
Die Vögel jagen Fische im Meer, und ihre riesigen Kolonien können bis zu 150 Kilogramm Guano [auf Kalk verwitterte Vogel-Exkremente] pro Tag produzieren. Guano war und ist ein weit verbreitetes Düngemittel in der Landwirtschaft.
Hier werden also Nährstoffe aus dem Meer auf eine normalerweise nährstoffarme Tundra transportiert, und dieser reichhaltige Dünger verhält sich wie auf jedem Acker: Er versorgt die Pflanzen mit Nährstoffen. Die Nährstoffe werden mit der Schneeschmelze im Frühjahr und während des restlichen Jahres mit dem abfliessenden Regen weiter verteilt.
Diese Prozesse sind entscheidend für die Entstehung nährstoffreicher Böden, die eine üppige Vegetation und spezialisierte Mikroorganismen hervorbringen.
Dieser Prozess der Nährstoffanreicherung ist in der Arktis besonders bemerkenswert. Fehlender Stickstoff ist in vielen Klimazonen der Erde ein limitierender Faktor für das Pflanzenwachstum, aber in der Arktis sind Stickstoff und Phosphor besonders rar.
Dies ist auf die niedrigen Temperaturen, die geringen Niederschläge und die langsame Verwitterung des Gesteins zurückzuführen. Bei der Verwitterung werden nämlich Mineralien in den Boden freisetzt.
Der erhöhte Nährstoffgehalt des Bodens unter den Vogelfelsen ermöglicht es bestimmten Pflanzenarten, besser zu gedeihen, gleichzeitig bildet sich eine Art Barriere, weil diese Arten auf dem nährstoff-armen Tundraboden nicht so gut wachsen
Typische Beispiele für Pflanzen, die dank dem Vogelkot gut gedeihen, sind der Berg-Sauerampfer (Oxyria digyna), eine Blütenpflanze aus der Familie der Buchweizengewächse, die typischerweise in den Alpen vorkommt, und das Grönländische Scharbockskraut (Cochlearia groenlandica), das für medizinische Zwecke verwendet wird.
Auch endemische Pflanzen, die nur auf Spitzbergen vorkommen, wie die weissblättrige Saxifraga svalbardensis, sind häufig zu finden.
Mit der Zunahme der Nährstoffe und der Veränderung der Vegetation ändern sich auch Zusammensetzung und Aktivität des Mikrobioms, also der Gesamtheit aller Mikroorganismen wie Bakterien, Pilze und Viren.
Hier verhält sich das Mikrobiom anders als in der Tundra, was den Kreislauf von Kohlenstoff und Stickstoff sowie die Verwitterung des Gesteins betrifft. Dies wirkt sich auch darauf aus, wie das Mikrobiom mit den Pflanzen interagiert.
Da diese Orte über lange Zeit auf natürliche Weise gedüngt wurden – Vogelfelsen werden in der Regel über sehr lange Zeiträume genutzt –, haben sich dicke, organisch reiche Böden angesammelt, die in den tieferen Schichten oft ganzjährig gefroren sind (Permafrost).
Diese Böden könnten nun möglicherweise Treibhausgase freisetzen, wenn die Mikroorganismen das wegen der steigenden Temperaturen auftauende Pflanzenmaterial zersetzen. Wir möchten diese Veränderungen besser verstehen, um dem Rätsel um die grüner werdende Arktis ein weiteres Antwort-Puzzlestück hinzuzufügen.
Adaptiert aus dem Englischen: Sibilla Bondolfi
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Sibilla Bondolfi
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