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Seevogelkot begrünt die arktische Landschaft

Reindeer calmly grazing
Ein neugieriges Rentierbaby graste in aller Ruhe auf unserem Grundstück. Die ganze Familie schien überhaupt keine Scheu vor Menschen zu haben. Lena Bakker, Sigrid Trier Kjaer, Jana Rüthers

Wer an die Arktis denkt, stellt sich meist einen eisigen oder felsigen Ort ohne Pflanzen vor. Doch es gibt nebst der Tundra mit ihren Zwergsträuchern auch  Vegetations-Hotspots in den steilen Klippen – weil dort viele Vögel nisten.

Als wir uns diesen Vogelfelsen vom Meer aus näherten, sahen wir zuerst die hoch aufragenden Berghänge. Die grünen Flecken darunter bildeten einen schönen Kontrast zum Grau des Felsens.

Wir hörten die Vögel, bevor wir sie sahen. Es war sehr bewegend, mitzuerleben, wie die Küken bei ihrem ersten Flug von der Klippe sprangen, begleitet und ermutigt von ihren Eltern.

Drone view of the Alkhornet bird cliff
Blick über den Alkhornet-Vogelfelsen. Der Unterschied zwischen dem üppig grünen, gedüngten Boden unterhalb der Klippe und der braunen Tundra weiter weg ist mit der Drohne sichtbar.
Bird cliff in Alkhornet
Das sind Brünnich-Tölpel, die auf einer Klippe über dem Meer nisten. Ihre Ausscheidungen haben die Felsen weiss gefärbt.
Bright orange sun lichen
Die leuchtend orangefarbene Sonnenflechte kommt häufig unterhalb von Vogelfelsen vor, da sie in stark gedüngten Gebieten gedeiht.

Feldnotizen aus der Arktis

Lena Bakker, Sigrid Trier Kjaer and Jana Rüthers
Von links nach rechts: Lena Bakker, Sigrid Trier Kjaer und Jana Rüthers

Die Doktorandinnen Lena Bakker, Sigrid Trier Kjaer und Jana Rüthers (v.l.n.r.) von der ETH Zürich haben sich auf den Weg zur norwegischen Inselgruppe Spitzbergen gemacht. Im hohen Norden wollen sie die Begrünung der Arktis untersuchen; ein Prozess, der durch die globale Erwärmung ausgelöst und lokal durch die chemische und geologische Beschaffenheit des Bodens bestimmt wird.

An den steilen Hängen der Küste Spitzbergens brüten mehrere Vogelarten, darunter die Zwergalke, die Dreizehenmöwe und der Eissturmvogel.

Die Vögel jagen Fische im Meer, und ihre riesigen Kolonien können bis zu 150 Kilogramm Guano [auf Kalk verwitterte Vogel-Exkremente] pro Tag produzieren. Guano war und ist ein weit verbreitetes Düngemittel in der Landwirtschaft.

Hier werden also Nährstoffe aus dem Meer auf eine normalerweise nährstoffarme Tundra transportiert, und dieser reichhaltige Dünger verhält sich wie auf jedem Acker: Er versorgt die Pflanzen mit Nährstoffen. Die Nährstoffe werden mit der Schneeschmelze im Frühjahr und während des restlichen Jahres mit dem abfliessenden Regen weiter verteilt.

Diese Prozesse sind entscheidend für die Entstehung nährstoffreicher Böden, die eine üppige Vegetation und spezialisierte Mikroorganismen hervorbringen.

Fulmar bird flying across the water
Eissturmvögel sind in dieser Region sehr verbreitet, und wir genossen es, diese erfahrenen Segler bei ihrem Spiel mit dem Wind und den Wellen zu beobachten.
Externer Inhalt

Dieser Prozess der Nährstoffanreicherung ist in der Arktis besonders bemerkenswert. Fehlender Stickstoff ist in vielen Klimazonen der Erde ein limitierender Faktor für das Pflanzenwachstum, aber in der Arktis sind Stickstoff und Phosphor besonders rar.

Dies ist auf die niedrigen Temperaturen, die geringen Niederschläge und die langsame Verwitterung des Gesteins zurückzuführen. Bei der Verwitterung werden nämlich Mineralien in den Boden freisetzt.

Der erhöhte Nährstoffgehalt des Bodens unter den Vogelfelsen ermöglicht es bestimmten Pflanzenarten, besser zu gedeihen, gleichzeitig bildet sich eine Art Barriere, weil diese Arten auf dem nährstoff-armen Tundraboden nicht so gut wachsen

Typische Beispiele für Pflanzen, die dank dem Vogelkot gut gedeihen, sind der Berg-Sauerampfer (Oxyria digyna), eine Blütenpflanze aus der Familie der Buchweizengewächse, die typischerweise in den Alpen vorkommt, und das Grönländische Scharbockskraut (Cochlearia groenlandica), das für medizinische Zwecke verwendet wird.

Auch endemische Pflanzen, die nur auf Spitzbergen vorkommen, wie die weissblättrige Saxifraga svalbardensis, sind häufig zu finden.

Endemic Saxifraga svalbardensis - a plant with white blossoms
Die seltene und endemische Saxifraga svalbardensis ist eine Hybride aus Saxifraga cernua und Saxifraga rivulari, die wahrscheinlich erst nach der letzten Eiszeit aufgetreten ist.
Saxifraga svalbardensis - flower with white blossoms
Die Saxifraga svalbardensis produziert keine Samen zur Vermehrung. Sie hat die Vermehrung durch lebende Brutknospen (Bulbillen) von ihrem einen Elternteil Saxifraga cernua geerbt. Die dunkelroten Bulbillen wachsen entlang des Stängels bis zur Blüte.
he Mountain sorrel (Oxyria digyna)
Der Berg-Sauerampfer (Oxyria digyna) wächst gerne auf nährstoffreichen Böden, wie hier am Vogelfelsen in Alkhornet.

Mit der Zunahme der Nährstoffe und der Veränderung der Vegetation ändern sich auch Zusammensetzung und Aktivität des Mikrobioms, also der Gesamtheit aller Mikroorganismen wie Bakterien, Pilze und Viren.

Hier verhält sich das Mikrobiom anders als in der Tundra, was den Kreislauf von Kohlenstoff und Stickstoff sowie die Verwitterung des Gesteins betrifft. Dies wirkt sich auch darauf aus, wie das Mikrobiom mit den Pflanzen interagiert.

Da diese Orte über lange Zeit auf natürliche Weise gedüngt wurden – Vogelfelsen werden in der Regel über sehr lange Zeiträume genutzt –, haben sich dicke, organisch reiche Böden angesammelt, die in den tieferen Schichten oft ganzjährig gefroren sind (Permafrost). 

Diese Böden könnten nun möglicherweise Treibhausgase freisetzen, wenn die Mikroorganismen das wegen der steigenden Temperaturen auftauende Pflanzenmaterial zersetzen. Wir möchten diese Veränderungen besser verstehen, um dem Rätsel um die grüner werdende Arktis ein weiteres Antwort-Puzzlestück hinzuzufügen.

Adaptiert aus dem Englischen: Sibilla Bondolfi

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Feldnotizen aus der Arktis

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