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1. Mai: Mehr Respekt für die Arbeitnehmenden

Die grösste 1. Mai-Feier im Land fand in Zürich statt. Keystone

"Respekt - wir sind mehr als Werkzeuge" - unter diesem Motto haben sich Gewerkschaften und Linksparteien am Tag der Arbeit gegen Sozialabbau, prekäre Arbeitsbedingungen und hohe Managerlöhne gewendet.

An den Kundgebungen nahmen mehrere tausend Menschen Teil. Im Anschluss an die Manifestationen kam es zu Ausschreitungen.

Paul Rechsteiner, der Präsident des Schweizerischen Gewerkschafts-Bundes (SGB), forderte in Kreuzlingen die soziale Wende.

Derzeit litten die Beschäftigten unter dem Neoliberalismus, aber «der reaktionäre Zyklus kommt an seine Grenze», sagte der sozialdemokratische St. Galler Nationalrat weiter.

Die Unternehmenssteuer-Reform sei ein Angriff auf den Geldbeutel der Kleinen. Die 5. IV-Revision verstärke den Druck statt die Integration zu fördern. Dieser Spuk müsse ein Ende finden.

Auch andernorts schlugen SP-Vertreterinnen und -Vertreter sowie Gewerkschafter kämpferische Töne an. Hans-Jürg Fehr, Präsident der Sozialdemokratischen Partei (SP) konterte in Dietikon die Kritik an seiner Partei. Die SP habe die «kleinen Leute» nicht aus den Augen verloren.

Den Missbrauchs-Predigern gehe es nicht um Missbrauchs-Bekämpfung, sondern um Sozialabbau auf dem Buckel der Schwächsten. Die SP müsse lauter werden, sagte Fehr später in Schaffhausen.

In Bern sagte SP-Fraktionschefin und Vizepräsidentin Ursula Wyss, die «Raubritter in den Chefetagen» müssten zurückgebunden werden.

In Winterthur kritisierte die Zürcher SP-Nationalrätin Christine Goll, ständige Steuersenkungen für die Reichen würden dem Staat Mittel entziehen. Anschliessend werde ein «gewaltiges Staats- und Sozialabbauprogramm» durchgepeitscht.

SP-Bundesräte nicht dabei

In Zürich zogen mehrere tausend Menschen durch die Stadt. In Basel verlangten die Manifestierenden ein «Nein zu einem respektlosen Menschenbild».

«Respekt – wir sind mehr als Werkzeuge» lautet das diesjährige Motto der Gewerkschaften. Immer mehr Menschen müssten als Temporär-Beschäftigte in prekären Verhältnissen leben, lautete eine Hauptkritik. Der Wirtschaftsaufschwung finde überall seinen Niederschlag – nur nicht in den Lohntüten, hiess es weiter.

Die SP-Bundesräte traten an den diesjährigen Feiern nicht ans Rednerpult. Micheline Calmy-Rey verzichtete in ihrem Präsidialjahr auf einen Auftritt. Und Moritz Leuenberger sprach nie regelmässig an Mai- oder Bundesfeiern. SP-Sprecherin Claudine Godat sagte im Vorfeld dazu, der Nicht-Auftritt ihrer Bundesräte sei für die Partei kein Problem.

Ausschreitungen in Zürich – Fest abgebrochen

Ausser in Zürich verliefen die Kundgebungen friedlich. Die traditionelle unbewilligte «Nachdemo» in Zürich ging ohne Gewalt über die Bühne. Im Nachgang allerdings randalierten Vermummte und lieferten sich das aus früheren Jahren bekannte Katz- und Maus-Spiel mit der Polizei.

Die Vermummten zertrümmerten Tramhäuschen und Scheiben. Sie steckten Autos und Abfallcontainer in Brand. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Gummischrot ein. Ein Fest am Helvetiaplatz wurde abgebrochen.

100 Menschen wurden verhaftet – drei Polizisten und elf Teilnehmende der Feiern verletzt. Unter den Verletzten befanden sich auch sechs Tamilen, die in eine Schägerei verwickelt waren.

Etwa 30 Männer aus Sri Lanka gerieten sich in die Haare und droschen mit Fäusten, Holz-und Eisenstangen aufeinander ein. An den Stangen hatten sie zuvor Transparente am 1. Mai-Umzug mitgetragen.

In Basel wurde ein Haus besetzt.

swissinfo und Agenturen

Der 1. Mai ist der einzige nichtreligiöse, weltweit begangene Feiertag.

Das Datum erinnert an den blutigen Streik in Chicago von 1886, der sich für einen 8-Stunden-Tag einsetzte.

1889 proklamierte der internationale Arbeiterkongress den 1. Mai als Tag der Arbeit.

In der Schweiz wurde der 1. Mai 1890 in 34 Orten gefeiert. Der Gewerkschaftsbund zählte 5000 Mitglieder. Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz war 9 Monate früher gegründet worden.

Seither begleitet dieser Tag die Integration von Gewerkschaftsanliegen in den Staat.

Ab 1968, mit dem Aufkommen von extrem linken Bewegungen und ausländischen Gemeinschaften, wurden die 1. Mai-Demonstrationen bunter.

In Frankreich demonstrierten die Gewerkschaften gegen den konservativen Präsidentschafts-Favoriten Nicolas Sarkozy.

In Berlin führten die Demonstrationen zu einigen Krawallen, die aber harmloser waren als in früheren Jahren.

Trotzdem kam es zu über 100 Festnahmen. 14 Polizisten wurden leicht verletzt.

In Turin nahmen rund 100’000 Menschen an der nationalen Kundgebung teil.

In Rom rief Staatspräsident Napolitano zu menschlicheren Arbeitsbedingungen und mehr Respekt der Würde aller auf.

In Havanna erschien der kubanische Revolutionsführer Fidel Castro entgegen Spekulationen nicht an den Feiern.

Castro war vor 9 Monaten erkrankt und ist seither nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten.

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