120’000 ohne Krankenversicherungs-Schutz
Die Krankenkassen haben den Versicherungsschutz für 120'000 Personen aufgehoben, die ihre Prämien nicht bezahlen. Dies teilen die kantonalen Gesundheitsdirektoren mit.
Angesichts der sich weiter verschlechternden Lage verlangen sie eine Rückkehr zu den gültigen Rechtsvorschriften von 2005.
Als unhaltbaren Zustand bezeichnet die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK) die Einstellung der Pflegeleistungen der Schweizer Krankenkassen an 120’000 Personen, die ihre Prämien nicht bezahlt haben.
Die GDK wollte mit ihrer Umfrage bei den Kantonen ermitteln, ob die in den letzten Wochen oft genannte Schätzung von 150’000 Betroffenen stimme. 14 Kantone haben darauf geantwortet. Hochgerechnet auf das ganze Land haben somit 120’000 Personen keinen Versicherungsschutz.
Mit rund 17’000 Leistungs-Sistierungen liegt der Kanton Zürich an der Spitze. Dahinter folgen der Aargau mit rund 10’000 Betroffenen und Neuenburg mit 8000. In Neuenburg haben fast 5% aller Einwohner keinen Krankenversicherungsschutz.
Unterwandertes Obligatorium
Insgesamt sind in der Schweiz 1,6% der Bevölkerung von einem Leistungsaufschub der Krankenversicherung betroffen. Die GDK befürchtet, dass die Zahl der Betroffenen noch weiter steigt, weil noch nicht alle Zahlungsausstände des letzten Jahres zu einer Sperre führten.
Für eine obligatorische Versicherung sei dies unannehmbar, schreibt die GDK. Das Versicherungs-Obligatorium werde damit «in sträflicher Weise» ausgehöhlt.
Für die Betroffenen habe die Sistierung weit reichende Konsequenzen: Bei privaten Leistungserbringern müssten sie damit rechnen, abgewiesen zu werden.
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GDK
Früherer Aufschub
Die hohe Zahl der Sistierungen beruht auf einer Anfang 2006 in Kraft gesetzten Gesetzesänderung: Die Krankenkassen schieben seither ihre Leistungen deutlich früher auf.
Bis Ende 2005 warteten sie, bis ein Verlustschein vorlag. Heute müssen sie ihre Leistungen aufschieben, sobald im Betreibungsverfahren ein Fortsetzungsbegehren gestellt wurde.
Bis das Betreibungsverfahren abgeschlossen sei, dauere es in der Regel 8 bis 24 Monate, schreibt die GDK. Während dieser Zeit sei nicht klar, ob der Betriebene zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig sei.
Kantone und Gemeinden könnten den Versicherten aber nur dann finanziell beistehen, wenn deren Zahlungsunfähigkeit erwiesen sei.
Während dieser Verfahrenszeit müssen Ärzte oder Spitäler damit rechnen, dass ihre Rechnungen nicht oder lange nicht bezahlt werden. Auch bei öffentlichen Spitälern, die zur Aufnahme der Patienten verpflichtet sind, bleiben die Rechnungen unbeglichen oder am Kanton hängen.
Viele Zahlungsunfähige
Die öffentliche Hand hat laut GDK 2006 knapp 190 Mio. Franken für Zahlungsausstände bei der obligatorischen Krankenversicherung übernommen. Das ist doppelt so viel wie 2001. Diese Entwicklung widerlege die Wahrnehmung der Versicherer, die Ausstände seien einfach auf schlechte Zahlungsmoral zurückzuführen, schreibt die GDK.
Die markante Zunahme von Verlustscheinen belege die immer grössere Zahlungsunfähigkeit in der Gesellschaft. Die GDK poche deshalb auf eine rasche Gesetzesänderung. Sie habe der nationalrätlichen Gesundheitskommission beantragt, zur alten Regelung zurückzukehren – nach dem Motto «Aus Fehlern wird man klug».
Die Kommission hat bereits angekündigt, dass sie den Missstand beheben will. Sie entscheidet im April, ob eine Gesetzesänderung nötig ist oder ob eine Revision auf Verordnungsstufe genügt.
swissinfo und Agenturen
Im Gegensatz zur Praxis in vielen europäischen Ländern hängen die Krankenkassenprämien in der Schweiz nicht vom jeweiligen Einkommen ab. Jede Person bezahlt die gleiche Grundprämie für die Krankenversicherung.
Der Bund stellt allerdings den Kantonen Gelder bereit, um Personen mit geringem Einkommen zu entlasten. Ihre Prämien werden dank dieser Zuschüsse verbilligt. Zirka 30% der Bevölkerung erhält diese Zuschüsse.
In der Schweiz gilt die obligatorische Krankenversicherungspflicht. Ein Versicherter kann aus 87 privaten Krankenkassen auswählen.
Bei der Krankenversicherung kann sich das Schweizer Stimmvolk am 11. März zur Gründung einer Einheitskrankenkasse äussern, welche die bisherigen privaten Kassen ersetzen würde.
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