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Agrarpolitik: Ein bisschen «Bio» ist dem Parlament genug

Keystone

Die grosse Parlamentskammer hat das "Bio-Prinzip" kräftig aufgeweicht. Produkte sollen künftig auch dann das Bio-Label tragen, wenn nicht der ganze Betrieb biologisch bewirtschaftet wird.

Damit folgt der Nationalrat zwar der kleinen Kammer, geht aber mit dem Begriff «Bio» wesentlich grosszügiger um als die Regierung. Bio-Suisse und Konsumenten-Organisationen reagierten enttäuscht.

Heute dürfen Produkte nur dann als besonders umweltschonend und tiergerecht gekennzeichnet werden, wenn die Produktionsvorschriften für den ganzen Betrieb gelten, von dem sie stammen.

Mit 112 zu 72 Stimmen bestimmte der Nationalrat, dass der Bundesrat (Landesregierung) nicht nur für Betriebe mit Dauerkulturen (Obst- und Weinbau) Ausnahmen bewilligen kann.

Der Bundesrat werde von dieser Möglichkeit sehr restriktiv Gebrauch machen, sagte Landwirtschaftsministerin Doris Leuthard.

Die so genannte Gesamtbetrieblichkeit sei der Garant für die Glaubwürdigkeit der Bio-Betriebe, erklärte die Bundesrätin. Die Integrität der biologischen Wirtschaftsweise und deren Kontrollierbarkeit müssten sichergestellt bleiben.

Die Möglichkeit, nur Betriebsteile ökologisch zu bewirtschaften, erleichtere konventionell arbeitenden Bauern den Einstieg in den Bio-Landbau, betonte Bauernpräsident Hansjörg Walter von der Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Das links-grüne Lager sieht dagegen die ganzheitliche biologische Philosophie in Gefahr und die Exportchancen von Bio-Produkten in Frage gestellt.

Enttäuschung bei Branchenverband

Der Branchenverband Bio Suisse und die Stiftung für Konsumentenschutz reagierten umgehend. Bio Suisse sprach von einem Schlag ins Gesicht der seriösen Biobauern.

Die teilweise Öffnung der Ganzbetrieblichkeit der Labels beeinträchtige die Glaubwürdigkeit des Biolandbaus, hiess es. Als private Organisation will der Verband sein Label auch weiterhin nur an Betriebe vergeben, die ganz nach den Bio-Richtlinien arbeiten.

Teilumstellungen auf Bio-Landbau entsprächen weder dem Interesse der Konsumenten, noch den Interessen von Öffentlichkeit, Umwelt und Handel. Für einzelne Bauern seien sie höchstens aus betriebswirtschaftlicher Sicht interessant.

Bedauern äusserte auch die Schweizerische Stiftung für Konsumentenschutz (SKS). Die Label-Organisationen hätten jahrelange Arbeit investiert, um das Vertrauen der Kundschaft aufzubauen. Diesen guten Ruf dürfe man nicht aufs Spiel setzen, so die SKS.

Ausserdem seien für den gesamten Betrieb geltende Labels ein Vorteil der Schweizer Bauern gegenüber ihren Konkurrenten in der EU.

Breit unterstützte Reformen

Die Reformen im Rahmen der Agrarpolitik 2011 des Bundes werden von Christlichdemokraten, Freisinnigen, Grünen und Sozialdemokraten unterstützt.

Einzig die SVP sieht in der Agrarreform keine Perspektiven für die Bauernfamilien. Der Selbstversorgungsgrad sinke so tief, dass in Zeiten gestörter Zufuhr die Versorgung nicht mehr gesichert sei, hiess es.

Befürworter betonten, die Agrarpolitik sei nicht allein Sache der Bauern. Konsumenten und Steuerzahlende, Umwelt und Staat seien ebenso betroffen. Die neue Agrarpolitik mit mehr Markt und mehr Ökologie sei eine Erfolgsgeschichte.

Reformtempo beibehalten

Bundesrätin Leuthard sagte, die Agrarpolitik 2011 sei keine Revolution, sondern die konsequente Fortsetzung der 1992 begonnenen Reform. Die Bäuerinnen und Bauern hätten die Herausforderungen gut gemeistert und die neuen Chancen angepackt. Das Reformtempo müsse durchgehalten werden.

Für die Detailberatung der Agrarpolitik 2011 brauchte der Nationalrat insgesamt rund 15 Stunden. Am Mittwoch hat die grosse Parlamentskammer die Agrarpolitik 2011 in der Gesamtabstimmung knapp mit 73 Ja zu 67 Nein bei 19 Enthaltungen gutgeheissen.

swissinfo und Agenturen

Bauern können künftig Dünger, Futtermittel und Saatgut, aber auch Traktoren und Milchmaschinen dort kaufen, wo sie am billigsten sind. Die grosse Parlamentskammer hat die umstrittenen Parallelimporte im Agrarbereich mit 95 zu 83 Stimmen gutgeheissen.

Von der Zulassung von Parallelimporten patentgeschützter Güter und Produkte verspricht sich das Parlament eine Senkung der Produktionskosten in der Landwirtschaft von jährlich 40 bis 50 Mio Franken. Dies, weil identische Produktionsmittel im Ausland bis zu 25% billiger gekauft werden können als in der Schweiz.

Der Entscheid, Parallelimporte zuzulassen, kam durch eine Koalition von Sozialdemokraten, Christdemokraten und Grünen zustande. Die Freisinnigen und die Schweizerische Volkspartei leisteten erbitterten, aber schliesslich erfolglosen Widerstand. Keine Freude am Entscheid hatte auch Wirtschaftsministerin Doris Leuthard, die die Frage der Parallelimporte umfassender angehen will.

Mit dem Programm «Agrarpolitik 2011» (AP 2011) der Landesregierung soll die Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Landwirtschaft gesteigert werden.

Kernelement der AP 2011 ist eine Reduktion der heute eingesetzten Subventionen und deren Umwandlung in Direktzahlungen, die nicht an bestimmte Produkte gekoppelt sind.

Zudem sollen die Exportsubventionen abgeschafft und der Schweizer Markt weniger stark gestützt werden.

Zwischen 2008 und 2011 will die Regierung rund 13,5 Mrd. Franken für die Landwirtschaft einsetzen.

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