Atommüll-Endlager: Volk darf mitreden
Die Schweizer Bevölkerung wird mitreden bei der Suche nach Endlager-Standorten für radioaktive Abfälle.
Das Energie-Ministerium lanciert eine breite Konsultation zum Entwurf eines Konzeptes für ein Endlager.
Mögliche Standorte zur Entsorgung radioaktiver Abfälle werden noch keine genannt. Es geht vorderhand um die Frage, wie solche Standorte gesucht werden sollen, also um das Auswahlverfahren.
Heute lasse sich noch nicht aufs Jahr sagen, wann ein Standort bestimmt wird, sagte Bundesrat Moritz Leuenberger in Bern vor den Bundeshausmedien. Voraussichtlich werde dies zwischen 2014 und 2017 geschehen.
«Wir gehen nicht davon aus, dass sich viele Standorte aufdrängen. Es dürften drei, vier oder fünf sein.»
Die Meinung aller ist gefragt
Es handle sich um «ein sehr grosses Vernehmlassungsverfahren» im Inland und im benachbarten Ausland, sagte der Chef des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) weiter.
«Alle werden begrüsst, je grösser die Beteiligung ist, desto grösser wird später die demokratische Legitimation sein.»
Nur gegenwärtige oder auch künftige Abfälle?
Als zentral habe sich die Frage erwiesen, ob die geologischen Tiefenlager die Abfälle nur der heutigen Kernkraftwerke oder auch jene einer allfälligen neuen Generation von KKW aufnehmen sollen.
Der Sachplan-Entwurf sieht vor, dass das Auswahlverfahren auf das bestehende Abfallinventar ausgerichtet werden soll.
Es muss jedoch für jeden zur Diskussion stehenden Standort die theoretisch vorhandene, maximale Lagerkapazität aufgezeigt werden.
Eine Rahmenbewilligung für ein geologisches Tiefenlager kann aber nur für das zu diesem Zeitpunkt absehbare Abfallinventar, nicht aber für den Abfall allfälliger künftiger Kernkraftwerke (KKW), erteilt werden.
Sollten nach Erteilen der Rahmenbewilligung für geologische Tiefenlager neue KKW bewilligt werden, müssten für die Entsorgung der zusätzlich entstehenden Abfälle entweder die Rahmenbewilligung für bestehende Lager angepasst oder neue Standorte gefunden werden.
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Nagra
Kein Präjudiz für neue KKW
«Wir wollen keine Lager auf Vorrat bauen», erklärte Leuenberger. Und «wir wollen kein Präjudiz für neue Kernkraftwerke schaffen». Es gehe darum, für die bestehenden KKW die Abfallfrage zu lösen.
Deren Abfall wird heute an diversen Orten gelagert, unter anderem bei den KKW selbst und im Zentralen Zwischenlager in Würenlingen AG.
Das UVEK will sicherstellen, dass die Anhörung bekannt wird. In Inseraten und in drei öffentlichen Informationsveranstaltungen, die zusammen mit den kantonalen Behörden in Bern (15. Januar), Lausanne (22. Januar) und Zürich (29. Januar) organisiert werden, kann sich die Bevölkerung über Inhalte und Ziele des Sachplans informieren.
Konzeptteil: Nicht vor Sommer 2007
Die Ergebnisse der Anhörung werden vom UVEK für die definitive Formulierung des Konzeptteils des Sachplans berücksichtigt. Es ist vorgesehen, dass der Bundesrat im Sommer 2007 über den Konzeptteil befinden wird.
Anschliessend führen die Entsorgungspflichtigen unter der Aufsicht der Behörden das Auswahlverfahren durch.
Schrittweise wählen sie Standortregionen und zuletzt einen oder mehrere Standorte für ein Tiefenlager aus. Die regionale Mitwirkung und die Zusammenarbeit mit den Kantonen werden eine zentrale Rolle spielen.
Ziel ist es, eines oder mehrere geologische Tiefenlager vor Mitte dieses Jahrhunderts in Betrieb zu nehmen.
swissinfo und Agenturen
Die fünf Kernkraftwerke in der Schweiz sind für den grössten Teil der im Land anfallenden radioaktiven Abfälle verantwortlich.
Nach ihrer auf 50 Jahre ausgelegten Betriebsdauer werden sie rund 8000 Kubikmeter radioaktiven Abfalls produziert haben.
Dieser hochradioaktive Abfall wird in den Kraftwerken für 5 bis 10 Jahre in Kühlbecken gelagert. Dann wird er in Transport- und Lager-Container (Castoren) abgefüllt und in eine zentrale Lagerstätte gebracht.
Der grösste Anteil des radioaktiven Abfalls ist leicht und mittelschwer verseuchtes Material.
Die Nagra erwartet nach der geschätzten 50-jährigen Periode rund 90’000 Kubikmeter.
Die Schweiz hat 5 Atomkraftwerke:
Beznau I und II (Inbetriebnahme 1969, 1972)
Mühleberg (1972)
Gösgen (1978)
Leibstadt (1984)
Zur Zeit produzieren diese KKW zusammen rund 24 Mrd. Kilowattstunden pro Jahr.
1972: Gründung der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) durch die Eidgenossenschaft und die Betreiber der fünf Kernkraftwerke.
1995/2002: Die Stimmenden im Kanton Nidwalden sagen zwei Mal Nein zu Plänen für ein Lager im Wellenberg.
Februar 2005: Kernenergiegesetz und -verordnung treten in Kraft. Danach dürfen ab Mitte 2006 keine abgebrannten Brennstäbe mehr ins Ausland (La Hague in Frankreich, Sellafield in Grossbritannien) exportiert werden. Atommüll muss grundsätzlich im Inland entsorgt werden.
September 2005: Der Untergrund im Zürcher Weinland wird für ein Atomendlager als geeignet eingestuft.
Juni 2006: Der Bundesrat hält die Lagerung von hoch- und mittelradioaktiven Abfälle aus den Atomkraftwerken in der Schweiz für möglich. Zwischen 2030 und 2040 sollen die Endlager für radioaktive Abfälle in der Schweiz in Betrieb genommen werden.
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