Ausland zwingt Finanzplatz Schweiz zum Umdenken
Der Schweizer Finanzmarkt ist international zunehmend grösseren Risiken ausgesetzt. Um den Finanzplatz nicht ernsthaft zu gefährden, braucht es laut der Finanzmarkt-Aufsicht "nachhaltige Lösungen". Gefordert sind die Banken, aber auch die Politik.
«Darüber kann man jammern, oder auch nicht», sagt Urs Zulauf, Vizedirektor der Finanzmarktaufsicht (Finma). «Ich glaube, wir als Aufsicht und auch die Beaufsichtigten müssen es einfach akzeptieren und sich darauf einstellen.»
Damit meint Zulauf: Das Land braucht neue Regeln für den Umgang der Schweizer Banken im internationalen Privatkundengeschäft. Nur so kann dem steigenden Druck der ausländischen Steuer- und Strafbehörden begegnet werden, der die Banken zusehends einem grösseren Rechtsriko aussetzt.
Die Risiken für die Schweizer Banken seien heute – wegen der Finanzkrise und der damit verbundenen hohen Verschuldung vieler Staaten – ungleich höher, als noch vor ein paar Jahren, so Zulauf. Das gelte nicht nur für die UBS in den USA, sondern für den gesamten Finanzplatz Schweiz.
Bankgeheimnis aufgehoben
Im Februar 2009 hat die Finma verfügt, die UBS müsse die Bankdaten von knapp 300 amerikanischen UBS-Kunden dem US-Justizdepartement ausliefern.
Damit hat die Finma in diesen Fällen das bis dahin als sakrosankt geltende Bankgeheimnis aufgehoben. Nur so habe eine für die UBS «existenzbedrohende Strafklage» in letzter Minute abgewendet werden können.
Im Januar 2010 hat das Bundesverwaltungsgericht die Finma-Verfügung als illegal klassifiziert. Die Finma zog den Entscheid ans Bundegericht weiter. Dessen Urteil steht noch aus.
Hohes Risiko in den USA
In den kommenden Monaten muss das Parlament im Nachhinein darüber befinden, ob der Staatsvertrag mit den USA vom August 2009 Rechtsgültigkeit erlangt oder nicht. Der Vertrag regelt die Herausgabe von knapp 4500 UBS-Kundendaten. Das Bundesverwaltungsgericht hat als letzte gerichtliche Instanz im Januar 2010 den Vertrag als ungültig erklärt.
«Falls keine Vereinbarung gefunden wird, besteht ein Risiko für neuerliche Verfahren nicht nur gegen die UBS, sondern auch gegen weitere Banken», warnt Zulauf.
Rund 15’000 amerikanische Steuersünder haben sich bisher selbst angezeigt. Sie werden alle einvernommen. Da ist die Gefahr gross, dass sich unter ihnen auch Kunden von andern Schweizer Banken, befinden, die freimütig erzählen werden, welche Ratschläge zur Steuerhinterziehung ihnen die Bankberater erteilt und damit US-Recht verletzt hätten.
Risiko: Beihilfe zur Steuerhinterziehung
«Beihilfe zu Steuer-Betrug oder –Hinterziehung ist in der Schweiz nicht strafbar, wenn es um ausländische Steuern geht», hält Zulauf fest. «Wir sagen, den Banken: ‹beherrscht eure Risiken›.»
Eine Bank müsse alle ihre Risiken beherrschen. Wenn die Finma zum Schluss kommen sollte, dass die Banken ihre Hausaufgaben nicht richtig machten, dann müsse die Finma als Aufsichtsbehörde regulierend eingreifen.
Beherrschen der Risiken, das heisst Respektieren, der im jeweiligen Land geltenden Gesetze und damit Verhindern, dass ausländische Behörden eine Strafklage gegen eine Bank oder deren Berater einreicht und damit zur weiteren Verunsicherung der Kunden beiträgt.
Das wiederum bedeutet, dass die Banken kein unversteuertes Geld von ausländischen Kunden mehr annehmen dürften und die Kunden das bis anhin in der Schweiz versteckte Schwarzgeld dem Fiskus deklarieren müssten.
Wer hinterzieht, kann auch lügen
«Weissgeld-Strategie» heisst das Zauberwort von Politikern und Bankern gegen die drohende Gefahr. Was darunter zu verstehen ist, wie eine solche Strategie genau aussehen und wie diese konkret kontrolliert werden soll – darüber sind sich die Akteure allerdings nicht einig. Dazu kommt, dass jedes Land seine eigenen Regeln und Gesetze hat.
«Wir haben grossen Respekt vor zusätzlichen Abklärungspflichten für die Banken, nicht weil wir sie schonen wollen. Das ist uns eigentlich egal, aber das erhöht noch einmal die Rechtsrisiken», sagt Zulauf.
Ein System mit Bescheinigungen der Kunden, dass das Geld versteuert sei, das sei in der Praxis schwierig umzusetzen. «Hier muss die Verantwortung beim Kunden bleiben», fordert Zulauf, denn «wer bereit ist, Steuern zu hinterziehen, der wird auch bereit sein, die Bank anzulügen».
Politik muss Lösungen finden
Die Schweiz müsse nun zwischenstaatliche Regelungen finden, welche die «Interessen des Finanzplatzes, der ausländischen Kunden und der Steuerbehörden unter einen Hut bringen», so Zulauf.
Die Ausarbeitung einer neuen Strategie für den Finanzplatz Schweiz und die Verhandlungen über dessen Rahmenbedingungen mit den andern Staaten liegt in der Verantwortung der Politik.
Dabei geht es aus Sicht der Finma darum, mittels «Verhandlungslösungen die Rechtsrisiken im grenzüberschreitenden Geschäft einzugrenzen und andererseits die Rechtssicherheit wieder herzustellen».
«Wir versuchen uns in diesen Prozess einzubringen, wo wir können, aber wir können ihn nicht verantworten.» so Zulauf.
Andreas Keiser, swissinfo.ch
«Too-Big-to-Fail» soll es laut der Finma nicht mehr geben. Zu zwingenden Eigenmittel- und Liquiditätsvorschriften müssten auch Regeln für die Konzernstuktur und interne Kapitalflüsse kommen.
Für die Grossbanken, die systemrelevanten Banken, bestehe heute ein faktischer Zwang für staatliche Rettungsmassnahmen, rügte Finma-Direktor Patrick Raaflaub bei der Präsentation des ersten Jahresberichts seiner Behörde.
Aus diesem Grund falle ein zentrales Lenkungsinstrument des Marktes dahin- die Konkursdrohung. Die heutigen Rahmenbedingungen entsprächen der Problematik nicht, der Gesetzgeber sei gefordert.
Die Finma hat bei den systemrelevanten Banken die Vorschriften für Eigenmittel angehoben. Jetzt folgen noch die Vorschriften für die Liquidität. Raaflaub verlangt, dass die erhöhten Anforderungen nicht nur möglich, sondern gesetzlich zwingend seien.
Ergänzen möchte die Finma diese Massnahmen mit verstärkten gesetzlichen Grundlagen für die Konzernstruktur und die konzerninternen Kapitalflüsse. Den Handlungsbedarf für eine Änderung des Bankengesetzes betrachtet sie als gross.
Mai 2008: In den USA wird ein Verfahren gegen die UBS eröffnet. Vorwurf: UBS-Kundenberater sollen reiche Amerikaner zum Steuerbetrug animiert haben. Ein Schuldspruch wäre gleichbedeutend mit dem Untergang der Bank.
Februar 2009: Die Schweizer Behörden geben der UBS die Erlaubnis, den USA Daten von 225 Kunden zu liefern, denen sie zur Flucht vor dem amerikanischen Fiskus verholfen hat.
März 2009: Der Bundesrat übernimmt die OECD-Standards und will künftig auch im Falle von Steuerhinterziehung Amtshilfe leisten.
April 2009: Der G20-Gipfel setzt die Schweiz auf eine graue Liste der Steuerparadiese. Für die Streichung von der Liste muss die Schweiz zwölf Doppelsteuerabkommen neu aushandeln.
August 2009: In einem Staatsvertrag mit den USA sichert die Schweiz Amtshilfe im Falle von 4450 US-Steuersündern zu.
September 2009: Die Schweiz unterzeichnet 12 Abkommen zur Doppelbesteuerung und wird von der grauen Liste der OECD gestrichen. Die Abkommen müssen noch vom Parlament abgesegnet werden. Weil sie dem fakultativen Referendum unterliegen, kommen sie eventuell an der Urne zur Abstimmung.
Die Regierung Frankreichs und die deutschen Bundesländer setzen auf die Verwendung gestohlener und auf CD gebrannter Kunden-Daten.
Januar 2010: Das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht erklärt die Herausgabe von Kontendaten amerikanischer UBS-Kunden an die USA für illegal.
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