Bahn lernt aus der Luft
Nicht nur Airlines gehen Allianzen ein, auch die Bahnen ziehen nach, jedoch weniger spektakulär. Dies sagt Paul Blumenthal, Leiter des Personenverkehrs SBB.
Die Perspektive der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) ist dabei der internationale Fahrplanwechsel im Dezember 2007.
Im öffentlichen Verkehr kommt es vor, dass die Verkehrsträger sich konkurrieren und gleichzeitig miteinander kooperieren – je nach Distanz ist man sich Freund oder Feind. Strasse, Schiene und Luft gehen Allianzen ein oder bekämpfen sich, je nach Marktlage, Liberalisierungsgrad und Synergiepotenzial.
«Für die Bahn ist und bleibt das Auto der grösste Konkurrent», sagte kürzlich Paul Blumenthal, Leiter SBB-Personenverkehr, am Verkehrsforum des Informationsdienstes für den öffentlichen Verkehr (Litra) in Bern. Doch wachsen die Marktanteile des motorisierten Individualverkehrs erst ab der Landesgrenze so richtig: Im Binnenmarkt Schweiz halten die SBB das Auto in Schach.
Binnenperspektive trübt die Marktsicht
«Wenn die Bahn keine kundengerechte Leistung anbieten kann», so Blumenthal, «kann das Auto seine Stärken besonders im Distanzbereich von unter vier Stunden Reisezeit voll ausspielen.» Liege die Reisezeit jedoch klar über vier Stunden, lohnen sich die langen Anfahrtswege zu den Flughäfen und die aufwändigen Check-ins, bevor man ins Flugzeug steigt.
Das Flugzeug beginnt also traditionellerweise im Wettbewerb zwischen Schiene und Luft die Bahn erst ab jenen Distanzen zu konkurrieren, bei denen das Auto schon wieder an Wettbewerbskraft abnimmt.
Zwar entwickelten die Bahnen schon vor Jahren die Hochgeschwindigkeits-Züge, um dem Luftverkehr wieder Passagiere abzuknüpfen. Nur wurden diese Schienen-Jumbos ohne die fahrplanmässig entsprechend internationale Vernetzung innerhalb der nationalen Bahngesellschaften eingesetzt.
So komme es immer noch vor, bedauert Blumenthal, dass zum Beispiel der Zug von Brüssel nach Brig 45 Minuten in Basel stehen bleibe, bevor er taktintegriert ins Bahn-2000-System übernommen werden könne.
Allianzen statt Binnensicht
Die nationalen Bahngesellschaften seien deshalb beinahe schon mit den US-Airlines zu vergleichen, die ihrem Konkurs entgegenfliegen, weil sie ihre Netzwerke nicht genügend gegen die Low-Cost-Carrier abgesichert haben, warnt Blumenthal.
Denn jede nationale Bahngesellschaft plane in erster Linie ihren Binnenverkehr, bemängelt Blumenthal. Eine veraltete Strategie, die die Airlines weltweit längst aufgegeben hätten. Sie haben längst ein Know-how im international verknüpften Verkehr aufgebaut, indem sie Knotenpunkte ausnutzen und Allianzen bilden.
Mit dem Fahrplanwechsel vom Dezember 2007 fest vor Augen, hat Blumenthal deshalb Ähnliches für die SBB im Sinn. Dieser Wechsel soll im internationalen Bereich ähnliches erbringen wie das, was im Binnenmarkt die Bahn 2000 geleistet hat: Nämlich bereits im ersten Halbjahr nach der Einführung im Dezember 2004 ein Wachstum der Passagierzahlen um 7,5%.
Ärger über kleine Marktanteile im internationalen Verkehr
Im Personen-Bahnverkehr mit den Nachbarländern weisen die SBB für Deutschland-Schweiz rund 9000 Fahrten pro Tag aus, für Italien und Frankreich je 7000, für Österreich 2000; im Transit Deutschland-Italien 3000.
«Der Marktanteil der SBB am gesamten Personenverkehr, der so genannte Modal Split, liegt dabei unter oder knapp über 10%», ärgert sich Blumenthal. Das seien für Schweizer Verhältnisse tiefe Marktanteile – im Inland liege der Bahn-Anteil doppelt so hoch. Er vermutet, dass hinter diesen tiefen Werte beträchtliche Marktpotenziale schlummern, die sich mit intelligenten Bahnkonzepten wecken liessen.
Diese Angebote gebe es aber noch nicht, weil ein Angebotsausbau heute sehr viel koste, da die Netzauslastung ohnehin schon 100% betrage. Dem Schienenverkehr fehle es weniger an möglichen Kunden, als an Geld für die langfristig ausgelegten Verkehrs-Infrastrukturen im Bahnbereich (Schienennetz, Rollmaterial) und an Kooperations-Strategien.
Rom, Wien, London und Barcelona in acht Stunden
Die SBB rechnen, bis spätestens im Jahr 2015 die Städte Barcelona, London, Rom, Wien und Berlin in einem Acht-Stunden-Radius anbieten zu können. Paris, die Provence, Florenz, München oder Frankfurt fallen in den Vier-Stunden-Radius.
Damit kann sie die Luftfahrt innereuropäisch vermehrt konkurrieren, vor allem die Zubringer-Flüge zu den grossen interkontinentalen Hubs.
Die SBB besässe in den Partnerbahnen wie SNCF, DB oder TI (Trenitalia) schlagkräfte Allianzpartner, sagt Blumenthal. Mit SNCF haben die SBB «Lyria» gegründet, mit TI den «Cisalpino». Mit der Deutschen Bahn ging SBB eine Marketing-Kooperation ein, die «Rheinalp» heisst.
Damit könne man sich, so der SBB-Chef Personenverkehr, von der «Unternehmenskultur einer national denkenden Bahn» lösen und international respektive europäisch zu denken beginnen – wie das die Luftfahrts-Industrie seit langem tue.
Nord-Süd-Achse dank Lötschberg zur High-Speed-Strecke
Blumenthal, der auch Vizepräsident der Cisalpino AG ist, plant, ab 2007 mit 14 Neigezügen und dank dem neuen NEAT-Lötschberg-Basistunnel reduzierten Fahrzeiten zum dominierenden Hochgeschwindigkeits-Anbieter auf der Nord-Süd-Achse zu werden.
Die Zugskompositionen wurden schon vor mehr als einem Jahr bestellt. Es bezahlen die SBB und Trenitalia. Mailand dürfte damit in nur drei Stunden von Basel, Genf oder Zürich erreicht werden.
Auch im Westen der Schweiz werden mit dem TGV-Est und der Wiedereröffnung der Haut-Bugey-Linie Bahnangebote möglich, die der SBB ausgezeichnete Marktpositionen schaffen, wie Blumenthal sagt. Und in Richtung Deutschland werde man mit dem ICE das Angebot substanziell ausbauen.
swissinfo, Alexander Künzle
Beispiel Entwicklung der TGV-Verbindungen Schweiz-Paris:
1. Ab Basel: 4 TGV-Zugspaare, Fahrzeit 3.30h (statt 4.55h)
2. Ab Zürich: 3 TGV, 4.30h (5.50h)
3. Ab Bern: Unverändert 2 TGV, 4.30h (statt 4.45h)
4. Ab Lausanne: Unverändert 4 TGV, 3.30h (statt 3.45h)
5. Ab Genf: 8 TGV, 3.00h (statt 3.30h)
Nationale Bahngesellschaften in Europa haben sich bisher zu sehr auf ihre jeweiligen Binnenmärkte konzentriert.
Die SBB möchten ihren Erfolg mit der Bahn 2000 mit der Fahrplan-Änderung im Dezember 2007 im internationalen Bereich wiederholen.
Dafür sind Allianzen mit den Partnerbahnen SNCF, DB und TI nötig. Sie beinhalten gemischte Gesellschaften für das Betreiben von TGV- oder Neigezügen.
Die Eröffnung des Lötschberg-Basistunnels wird die Nord-Süd-Achse zur High-Speed-Achse in den Süden verwandeln.
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