Bald ist Schluss mit der Extrawurst
Aufgrund der bilateralen Abkommen, welche die Schweiz mit der EU abgeschlossen hat, wird der Handel mit Wurstwaren ab 2008 schrankenlos.
Die Schweizer Fachverbände schauen der Marktöffnung mit gemischten Gefühlen entgegen. Denn die noch schwache Wettbewerbsfähigkeit dürfte so noch stärker unter Druck geraten.
Was ist eine Wurst? Ein Vertrauensbeweis, der in einen Darm eingepackt ist oder vornehmer: eine Wurst ist ein traditionelles Konservierungsverfahren für minderwertige Fleischprodukte. Denn wer, ausser die Metzger, weiss, was in einer Wurst steckt? Trotz der vielen Unbekannten erfreut sich die Charcuterie in der Schweiz grosser Beliebtheit.
In den vier kulinarischen Regionen der Schweiz (Romandie, Tessin, Graubünden und Deutschschweiz) gibt es mindestens 400 verschiedene Wurstarten. Den Verkaufsrekord mit 13 Stück pro Jahr und Person hält die Bratwurst, es folgen die Cervalat mit 12 Stück und das Wienerli mit 10 Stück. Branchenkenner gehen davon aus, dass es unter den Wurstessern eine hohe, statistisch nicht erfasste Dunkelziffer gibt.
Wurstland Schweiz – mittelmässig?
Als Krönung der Schweizer Wurstkultur verewigten sich die Schweizer Metzger am Eidgenössischen Wurstfest des Jahres 1999 im Guinness Buch der Rekorde. Sie tischten dem Publikum auf dem Berner Bundesplatz 395 verschiedene Brüh-, Roh- und Kochwürste auf.
Im mitteleuropäischen Quervergleich ist das Wurstland Schweiz mengenmässig Mittelmass. Deutschland kennt 1500 verschiedene Wurstsorten. Und die ausländische Wurst drängt immer mächtiger auf den Schweizer Markt. Die zollfreien und versteigerbaren Kontingente sind beachtlich.
Aus Italien kommen pro Jahr 2856 Tonnen Wurst ins Land, aus Frankreich 125, aus Deutschland 103 und aus Ungarn 64. Während der Fleisch- und Wurstkonsum in der Schweiz mit rund einem Kilogramm pro Person pro Jahr konstant ist, scheint der Hunger nach italienischem Salami und Mortadella, nach Salametti und Salsiz ungebrochen.
Importdruck – Exportchance
Die Fleisch- und Wurstproduzenten des Landes wetzen ihre Messer und rüsten sich für den freien Handel, wenn im Jahre 2008 die Zollschranken zwischen der EU und der Schweiz für Landwirtschaftsprodukte fallen. Viele Betriebe halten dem Wettbewerb nicht stand. Im Metzgereigewerbe hat in den vergangenen zehn Jahren ein tief greifender Strukturwandel stattgefunden. 27% der Metzgereien sind bereits verschwunden. Die freien Kapazitäten haben die Grossverteiler übernommen.
Die Schweizer Fleisch-Fachverbände (SFF) weisen im Hinblick auf die Marktöffnung im Jahre 2008 in einem Thesenpapier auf den wachsenden Importdruck und auf die noch schwache Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Produzenten hin. Die SFF stellen fest, der Schweizer Markt sei weitgehend gesättigt. Weltweit wachse jedoch die Nachfrage für Fleisch- und Wurstwaren, was eine Chance für die Schweizer Produzenten und Exporteure bedeute.
Preisinsel Schweiz
Ab 2008 setzten die Schweizer Fleischwirtschaftsverbände im liberalisierten Markt auf lukrative Nischen in der Europäischen Union (EU). Für bessere Qualität lägen 10 bis 20% höhere Preise drin, halten die SFF in ihrem Papier fest.
Die nationalen Anbieter suchen neue Strategien, um die rund 5 bis 10% preisbewussten Schweizer Konsumenten, die zurzeit beim Fleisch- und Wursteinkauf einen regen Einkaufstourismus in den umliegenden EU-Ländern kultivieren, wieder «heim» zu holen.
Für viele Konsumenten bleibt die Frage unbeantwortet, warum in der Schweiz die landwirtschaftlichen Verbraucherpreise nicht sinken, nachdem die Produzenten im Agrarbereich zum Teil massive Einbussen hinnehmen mussten.
Schrittweiser Abbau des Grenzschutzes
Sicher ist, dass die Schweizer Exporteure auf den offenen Märkten auch vom Abbau der nichttarifären Handelshemmnisse in Europa der EU profitieren werden. Ab 2008 gelten alle nationalen Bestimmungen (Tiergesundheit, Pflanzenschutz, Lizenzen, Verfahren, Hygienerecht) gleichwertig.
Damit die Schweizer Wurst auf den deregulierten Märkten der EU kein dickes Ende findet, schlagen die Schweizer Fleisch-Fachverbände bis 2008 einen schrittweisen Abbau des Grenzschutzes und einen stufenweisen und parallelen Übergang zum freien Verkehr von Frischfleisch (Rohmaterial) und Fleischerzeugnissen (wie zum Beispiel Wurstwaren) vor.
Ist die EU für die Schweizer Wurstvielfalt bereit? Bekommt Europa Lust auf den Saucisson neuchâtelois, auf das Wildschwein-Salametti aus dem Aargau, die Luganighe aus dem Tessin, den Landjäger oder auf den Gamssalsiz aus Graubünden? Der Markt wird entscheiden.
swissinfo, Erwin Dettling, Zürich
Die Schweiz importiert pro Jahr 2856 Tonnen Wurst aus Italien, 125 aus Frankreich, 103 aus Deutschland und 64 aus Ungarn.
2008 sollen die Zollschranken zwischen der EU und der Schweiz für Landwirtschaftsprodukte fallen.
27% der Schweizer Metzgereien sind in den letzten zehn Jahren dem Strukturwandel zum Opfer gefallen.
Die Schweizer Fleisch-Fachverbände befürchten von einer Öffnung des Marktes einen wachsenden Importdruck.
Die nationalen Fleischanbieter versuchen mit neuen Strategien, die in der EU einkaufenden Schweizer wieder zurückzuholen.
Die Schweizer Exporteure profitieren auf den offenen Märkten auch vom Abbau der Subventionen in den EU-Ländern.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch