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Bangladesch: Gift aus der Pumpe

Hautverletzungen sind erste Anzeichen für die Arsenkrankheit. (Bild: Maatrik) swissinfo.ch

Nach der Entdeckung von Arsen in den Brunnen von Bangladesch vor zehn Jahren steht möglicherweise eine gesundheitliche Katastrophe bevor.

Lokale und internationale Fachleute arbeiten vor Ort. Unter anderem auch Männer und Frauen des Schweizerischen Roten Kreuzes.

Nagaskanda, eine ländliche Gemeinde im Bezirk Faridpur, rund siebzig Kilometer westlich von Dhaka. Sobald man die Armenviertel der Hauptstadt hinter sich hat, zeigt sich eine Landschaft in schönsten Grüntönen.

In den von Flüssen, Kanälen und Teichen durchzogenen Ebenen sehen wir nichts als Reisfelder, Kokos- und Bananenpalmen, Banyanbäume.

Im Schatten der grössten Bäume stehen verstreut kleine Häuser aus geflochtenen Matten, hie und da auch aus Wellblech.

Der Gesamteindruck ist freundlich, nicht zuletzt dank den lebhaften Farben der Saris der Frauen. Paradoxerweise ist die extreme Armut der Grund für einen Teil der strahlenden Schönheit dieser Landschaft.

Da gibt es keine wilden Abfalldeponien. Man kann es sich schlicht nicht leisten, die Umwelt zu verschmutzen oder irgendetwas weg zu werfen.

Hie und da sieht man Frauen mit einem Besen, welche kauernd die Ränder der Strasse wischen. Zum Ordnung machen? Nein, sie sammeln trockene Blätter und Äste auf, die ihnen als Brennholz dienen.

Die Auswirkungen des Arsens

Vor einer rot angestrichenen Wasserpumpe zeigen Joso Dharani und Anjuli ihre verfleckten und rissigen Handflächen. In dieser kleinen Gemeinschaft sind die beiden Frauen zur Zeit die einzigen, die unter der «Arsenkrankheit» leiden.

«Man hat uns gesagt, wir sollen kein Wasser aus den roten Brunnen mehr trinken», erzählt die Gesprächigere der beiden. «Das haben wir schon begriffen. Aber um gesund zu werden, sollten wir viel Fleisch und Gemüse essen. Doch wie soll das gehen? Wir haben kaum genug Geld, um Reis zu kaufen.»

Noch fehlen ausreichende wissenschaftliche Daten über die Auswirkungen des Arsens. Man weiss, dass das Gift schon bei kleiner Dosis tödlich ist, es wirkt aber sehr langsam. Zuerst gibt es Hautverletzungen, dann kommt es zu Atem- und Herzkreislaufbeschwerden, die schliesslich in verschiedene Krebsarten ausmünden.

Zur Zeit gibt es keine spezifische Behandlung dagegen. Im Frühstadium kann die Krankheit von selbst verschwinden, wenn man kein vergiftetes Wasser mehr trinkt. Ausserdem helfen Proteine und bestimmte Vitamine dem Organismus, das Arsen abzubauen.

Eine Bedrohung unbekannten Ausmasses

Auch das Ausmass des Problems ist nicht bekannt. In diesem Land mit über 140 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern muss damit gerechnet werden, dass zwischen 20 und 70 Millionen durch Arsen gefährdet sind.

In den rund 60 Dörfern, in denen das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) aktiv ist, mussten im Durchschnitt neun von zehn Brunnen rot angestrichen werden.

Die Schweizer Hilfe beschäftigt sich getreu ihrer Tradition zuerst mit den lokalen Strukturen. «Wir durften nicht mit Fertiglösungen kommen», erklärt Karl Schuler, verantwortlich für die Information über die internationalen Programme des SRK.

Zuerst die Frauen

Abgesehen davon gibt es gar keine Fertiglösungen. In jedem Dorf wurde zuerst ein Ausschuss gebildet, der sich mit den Gesundheitsfragen befasst. Grosse Überraschung: Es waren vor allem Frauen, die sich freiwillig meldeten.

«In eher konservativen Gegenden wie dieser ist das eine Chance», führt Shaheen Akhtar aus, ein vom SRK angestellter lokaler Arzt. Er glaubt, dass sein Land die Gesundheits- und Entwicklungsprobleme nur mit der Beteiligung der Frauen lösen kann.

Und wie stellen sich die Männer dazu, wenn sie den Befehlen ihrer Partnerinnen gehorchen sollen, in einem Land, wo über 85% der Bevölkerung islamisch sind? Offenbar ziemlich gut, auch wenn es auf diese Frage hin einige ironische Blicke gibt.

In Gesundheitsfragen scheinen die lokalen Gemeinschaften also entschlossen, Vorurteile zu überwinden: In einem der Dörfer von Nagaskanda ist die Leiterin des Ausschusses sogar hinduistisch.

Die unsichtbare Gefahr

«Unser wichtigstes Anliegen ist die Erziehungsarbeit», fährt Akhtar fort. «Zuerst sagten wir den Leuten, die Pumpen seien ein Allheilmittel, und jetzt müssen wir ihnen beibringen, dass sie kein Wasser mehr daraus trinken sollen.»

Es ist nicht einfach, die Gefahren eines farb-, geschmack- und geruchlosen Giftes zu erklären, das sich während Jahren im Organismus ansammelt, bevor es seine Verwüstungen anrichtet.

Der Arzt macht sich keine grossen Illusionen: «Die Botschaft kommt zwar bei den Kindern und den Jüngeren gut an, wir wissen aber, dass andere weiterhin Wasser aus den roten Brunnen trinken.»

Echtes Kopfzerbrechen

Nachdem die Tests durchgeführt und die Pumpen rot (gefährlich) oder grün (ungefährlich) markiert waren, zeigte sich, dass einige Dörfer praktisch ohne Wasser waren.

Nun müssen die Leute also zum Wasserholen wieder lange Fussmärsche auf sich nehmen. So lange, bis neue Brunnen gebohrt sind, aus denen hoffentlich kein verseuchtes Grundwasser kommt.

Da es unmöglich ist, das Grundwasser zu «reinigen» wurden Filtersysteme entwickelt, die das Arsen zurückhalten. Dabei wird das Wasser zwei- oder dreimal durch Ton- oder Plastikkrüge geleitet, wodurch das Wasser schliesslich ungefährlich wird.

Leider macht die relativ unpraktische Handhabung die Apparate nicht besonders attraktiv. Und vor allem sind sie für die meisten Familien viel zu teuer.

swissinfo, Marc-André Miserez, zurück aus Bangladesch

Dank einem Grosseinsatz der internationalen Hilfe haben 97% der Menschen in Bangladesch Zugang zu Süsswasserbrunnen.
Leider ist ein grosser Teil des Wassers aus diesen Brunnen mit Arsen verseucht, das in natürlicher Form im Boden vorkommt.
Die Zahl Opfer ist schwierig zu beziffern, denn das Gift tötet langsam.

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