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Bankenvergleich hatte für Schweiz heilende Wirkung

Holocaust-Opfer werden ausbezahlt. Keystone Archive

Vor zehn Jahren haben Schweizer Banken eingewilligt, die Vermögen von Holocaust-Opfern zurückzuzahlen. Dieser Abschluss habe geholfen, eine dunkle Wolke über dem Land zu vertreiben, sagt einer der Architekten des Vergleichs über 1,25 Mrd. Dollar.

Als jüdische Organisationen Mitte der 1990er-Jahre Fragen zu schlummernden Schweizer Bankkonten stellten, die Vermögen von Holocaust-Opfern enthielten, ahnte niemand, welcher Sturm folgen würde.

Der Druck stieg, als sich die US-Regierung in die Debatte einschaltete. Zwei Untersuchungen über das Verhalten der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, eine davon vom Schweizer Bundesrat in Auftrag gegeben, brachte hervor, dass jüdische Flüchtlinge abgewiesen worden waren, Schweizer Firmen von der Kriegsmaschinerie der Nazi profitiert hatten und die Nationalbank Raub-Gold gekauft hatte, das den Juden gestohlen worden war.

Die Kontroverse erreichte einen Höhepunkt, als in den USA Sammelklagen gegen Schweizer Banken erhoben wurden.

«Die Stimmung war sehr polarisiert und aggressiv zwischen den involvierten Seiten», sagt Stuart Eizenstat gegenüber swissinfo. Er vertrat die US-Regierung während der Verhandlungen. «Für die Schweiz war es ein traumatisches Ereignis und ein Schock für die Seele des Landes.»

Konfrontiert mit Anschuldigungen und Boykottdrohungen gegen Schweizer Geschäftsinteressen, veröffentlichten die UBS und die Credit Suisse, die beiden grössten Schweizer Banken, Einzelheiten über nachrichtenlose Konten von Holocaust-Opfern und willigten ein, die Gelder an die Nachfahren zurückzuerstatten.

Regierung hält sich heraus

Ausschlaggebend für den Vergleich könnte auch die Fusion von zwei Banken zur UBS gewesen sein – ein Entscheid, der die Zustimmung der US-Behörde erforderte.

«Zur Zeit der UBS-Fusion war es nicht hilfreich, Sammelklagen am Hals zu haben. Es war ein finanzielles Geschäft im Interesse aller Beteiligter», erinnert sich Rolf Bloch, damals Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes SIG, im Gespräch mit swissinfo.

Während die Banken den Vergleich aushandelten, hielten sich die Schweizer Regierung und die Nationalbank aus den Verhandlungen heraus und errichteten 1997 unabhängig davon einen humanitären Fonds für Holocaust-Opfer in der Höhe von 300 Mio. Franken.

Eizenstat zeigte sich ein Jahr darauf äusserst betrübt darüber, dass der Bundesrat beim Bankenvergleich keine Rolle spielte. Seiner Meinung nach hätte die Nationalbank zumindest einen Teil der Kosten übernehmen müssen.

«Die Landesregierungen nahmen an den deutschen, österreichischen und französischen Abkommen teil. Im Fall der Schweiz überliessen Regierung und Nationalbank alles den privaten Banken. Die mussten die Last alleine tragen. Das war unangemessen und bedauerlich», so Eizenstat.

Schweizer «fein raus»

Der US-Unterhändler ist jedoch der Meinung, der Bankenvergleich von 1,25 Mrd. Dollar sei «fair und gerecht». Bis Ende Juni dieses Jahres ist eine Milliarde ausbezahlt worden – an Juden, Homosexuelle, Behinderte, Zeugen Jehovas, Roma und deren Nachkommen – alles Opfer des Holocaust.

Laut Rolf Bloch haben die Zahlungen «finanziell, aber nicht moralisch» einen Schlussstrich unter die Kriegsvergangenheit der Schweiz gezogen. Für Eizenstat hatte der Vergleich einen «Reinigungs-Effekt» für die Nation. Zudem habe er mitgeholfen, dass die Schweizer Banken in Sachen Geldwäscherei über die Bücher gingen.

«Ein Teil des Problems war, dass die Schweiz von der weltweiten öffentlichen Meinung abgeschnitten war und sich nicht bewusst war, wie sehr sich das gegen sie richten würde. Dieses verhängnisvolle Ereignis hatte eine reinigende Wirkung. Die Tatsache, dass die Schweizer schliesslich zu einem Vergleich kamen, wirkte sich positiv aus», so Eizenstat.

swissinfo, Matthew Allen
(Übertragung aus dem Englischen von Gaby Ochsenbein)

1995, also 50 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, verlangten jüdische Organisationen Auskunft über nachrichtenlose Konten von Holocaust-Opfern auf Schweizer Banken. Wegen des Bankgeheimnis gestaltete sich dies als äusserst schwierig.

Sammelklagen gegen Schweizer Banken führte darauf zur Schaffung zweier Kommissionen, welche die Aktivitäten der Schweiz im Zweiten Weltkrieg untersuchen sollten.

Die Volcker-Kommission entdeckte Zehntausende von Bankkonten, die vermutlich Holocaust-Opfern gehörten.

Die Unabhängige Experten-Kommission der Schweiz veröffentlichte im Bergier-Bericht Beweise, wonach die Schweizer Nationalbank Nazi-Raubgold erworben und jüdische Flüchtlinge an der Grenze abgewiesen hatte.

1998 kam es zum Bankenvergleich über 1,25 Mrd. Dollar. Davon waren Ende Juni 2008 1005 Mio. Dollar ausbezahlt an insgesamt 448’703 Personen.

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