«Bankgeheimnis nicht mehr zu retten»
Die Schweiz steht wegen Schwarzgeldkonten von ausländischen Steuersündern unter Dauerbeschuss: USA, Italien, Frankreich und Deutschland versuchen alles, um das Schweizer Bankgeheimnis zu knacken. Der Mythos bricht immer mehr zusammen.
«Für mich ist seit zehn Jahren klar, dass das Schweizer Bankgeheimnis auf die Dauer nicht aufrechterhalten werden kann», sagt die Basler Ökonomin Mascha Madörin gegenüber swissinfo.ch. Alle diese Vorstellungen über Rechtshilfe und Amtshilfe, die Frage der Steuerkonkurrenz durch die Holdinggesetzgebung in der Schweiz, das alles sei schon Ende der 90er-Jahre in der OECD diskutiert worden. Und das Problem Steuerhinterziehung auf Schweizer Banken sei in den USA in dieser Zeit auch schon ein Thema gewesen.
Durch die Wahl des republikanischen Präsidenten George W. Bush sei das Thema aber vorübergehend blockiert worden. «Dass mit der Wahl des demokratischen Präsidenten Barack Obama die ganze Steuerhinterziehungsfrage wieder akut würde, war für mich klar», so Madörin. Auch durch die Verhandlungen mit der EU in Sachen Steuerfragen sei der Druck auf die Schweiz gestiegen.
Leere Staatskassen…
Einen weiteren Grund für den immer massiveren Druck auf die Schweiz sieht die Ökonomin in der Finanz- und Wirtschaftskrise, welche die Staaten sehr teuer zu stehen komme.
«Die Länder brauchen mehr Steuereinnahmen, um ihre leeren Staatskassen wieder zu füllen. Die Frage der Steuerhinterziehung wird daher äusserst wichtig. Ohne die Krise wären diese Konflikte vielleicht weniger akut, aber dennoch auf die Schweiz zugekommen.»
…und zornige Nachbarstaaten
Wenn man die Geschichte der bilateralen Verhandlungen in Sachen Rechtshilfe und Steuerabkommen anschaue, könne man feststellen, dass die Schweiz den USA immer mehr Rechte eingeräumt hätte als ihren Nachbarstaaten, erklärt Madörin.
«Genf für Frankreich, das Tessin für Italien sowie Zürich und Basel für Deutschland waren immer die Orte, wo die Schweizer Banken Dienstleistungen aufgebaut haben für Kapitalflucht und Steuerhinterziehung. Deshalb sind diese Nachbarländer auch zornig. Dass Italien, Frankreich und Deutschland jetzt agieren, beruht auf einer Jahrzehnte langen Erfahrung, dass die Schweiz mit ihnen sehr hart verhandelt, sehr viel härter als sie es sich mit der Grossmacht USA hätte erlauben können.»
Kultur der Verschwiegenheit
Das Schweizer Bankgeheimnis basiert auf einer Jahrhunderte alten Kultur der Verschwiegenheit bei Handelsgeschäften von Privatbanken. In der Schweiz wurde es aber formell erst durch das Inkrafttreten des Bankgesetzes 1935 verankert.
Während des Ersten Weltkriegs brachten viele ausländische Vermögende ihr Geld in die Schweiz, da in anderen Ländern die politische Stabilität nicht mehr gegeben war.
Während der Weltwirtschaftskrise begannen Deutschland und Frankreich, grössere Anstrengungen zu unternehmen, um Kapitalflucht zu verhindern; die Schweizer Banken verweigerten jedoch die Auskunft. Deshalb wurde 1932 ein Schweizer Bankdirektor einer Basler Bank in Paris verhaftet, der eine Kundenliste mit sich führte. Dadurch gab es in Frankreich einen Skandal, da eine umfangreiche Liste französischer Anleger in der Schweiz bekannt wurde.
«Sinn dieses Bankgesetzes von 1935 ist es eigentlich, dass den Bankangestellten vermiest werden soll, zu viel zu plaudern», sagt Madörin. Eine weitere Interpretation sei die, dass die bürgerlichen Parteien damit verhindern wollten, dass eine allfällig in den Bundesrat einziehende Sozialdemokratische Partei möglichst wenig Einsicht in die Bankengeschäfte haben sollte.
Madörin erinnert daran, dass schon während der Weimarer Republik sehr viel Geld in die Schweiz transferiert worden sei und zur Destabilisierung des Weimarer Staatenprojektes geführt habe. «Die Schweiz war immer, auch bei der Oktoberrevolution, ein Zentrum der diskreten Finanzgeschäfte mit Banken – das Bankgeheimnis ist ein historischer Teil davon.»
Kopf in den Sand
Unter Beschuss kam das Bankgeheimnis dennoch immer wieder. Eine Linkskoalition lancierte nach dem Kreditanstalt-Skandal 1977 in Chiasso eine Initiative, welche die Abschaffung des Bankgeheimnisses zum Ziel hatte. Doch bei der Abstimmung 1984 wurde sie mit 73% abgelehnt.
Die Diktatorengelder auf Schweizer Banken (Duvalier, Marcos, Abacha) führten später dazu, dass der Bundesrat auf internationalen Druck mit Notrecht zur Blockierung der Gelder eingreifen musste, bis eine neue Gesetzgebung eingeführt wurde.
«Die Schweizer Grossbanken kamen auch wegen der Holocaustgelder unter massiven Beschuss. Und weil sie auch die Banken der südafrikanischen Apartheidregierung waren, wurden sie in den USA wegen Entschädigungsklagen von Apartheidopfern kritisiert», erinnert Madörin.
Stuart Eizenstat, der von der Clinton-Regierung zum Staatssekretär berufen wurde, um die Verhandlungen mit den Schweizer Grossbanken in Sachen Holocaustgelder zu führen, sei sehr erstaunt gewesen, dass die Schweizer Regierung sich damals für nicht zuständig erklärt habe. Bei den für das Apartheidregime lebenswichtigen Geschäften mit den Schweizer Grossbanken habe sich die Schweizer Regierung gleich verhalten, so Madörin.
«Die Schweizer Regierung hat eigentlich eine 50-jährige Geschichte des ‹Kopf-in-den-Sand-Steckens› und hat ultra-neoliberal auf die Aussenwirtschaftspolitik reagiert. Jetzt merkt man langsam, dass die Gesetze in der Schweiz nicht mehr zur Welt passen und nicht regeln können, was heute geregelt werden muss.»
Massiver Druck
Heute sei jede Regierung bereit, jede Möglichkeit anzuwenden, um den Druck auf die Schweiz zu erhöhen. Bei gestohlenen Bankdaten, wie jetzt wieder im Fall Deutschland, existiere natürlich ein grundlegendes Problem der Rechtsstaatlichkeit, sagt Madörin. Auch der Schweizer Staatsrechtler Mark Pieth spricht gegenüber swissinfo.ch im Fall Deutschlands von einem «Übergriff eines Staates auf einen anderen» und von einem «Eingriff in die schweizerische Souveränität».
Doch Mascha Madörin räumt ein, dass Deutschland seinerseits schon lange ein grundlegendes Problem der Rechtsstaatlichkeit mit der Schweiz habe, «und zwar durch die Art und Weise, wie die Schweiz die steuerhinterziehenden Bankkunden aus diesem Land rechtlich schützt – das ist auch Hehlerei, nur wird es nicht als das empfunden in der Schweiz».
Wenn die Schweiz jeweils unter Druck drohe, ein fälliges Doppelbesteuerungs-Abkommen hinauszuzögern, sei das nur noch «eine kleinkarierte Drohung». Politisch hält Madörin dies für eine gefährliche Situation, welche die Schweiz gegenüber der EU noch mehr isoliere.
Realitätsverlust
«All jene, die immer noch das Bankgeheimnis irgendwie retten wollen und meinen, die Schweiz habe eine starke Verhandlungsposition im internationalen Zusammenhang, leiden an totalem Realitätsverlust», sagt Mascha Madörin. «Wir brauchen neue Rechts- und Amtshilfegesetze bei Steuerdelikten von ausländischen Bankkunden.»
Es nütze auch nichts, wenn jetzt alle sagen würden, die UBS habe uns das alles eingebrockt. «Natürlich hat die Bank kriminell gehandelt, in den USA; aber es braucht eben neue Gesetze von der Schweizer Regierung, nur so wird der Druck auf unser Land weichen.»
Jean-Michel Berthoud, swissinfo.ch
Im Gegensatz zu Deutschland und andern Ländern unterscheidet die Schweiz zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung.
Wird Betrug nachgewiesen, wie bei der Geldwäscherei, gewährt die Schweiz Amtshilfe.
Wer hingegen Steuern auf legal verdientem Geld nicht zahlt, der hinterzieht – Amtshilfe wird in diesem Fall kaum gewährt.
Gegen diese Unterscheidung laufen sowohl die EU als auch die USA seit Jahren Sturm.
Die 1946 geborene Ökonomin Mascha Madörin sammelte ihre ersten Berufserfahrungen in einer Grossbank, in einem kantonalen Finanzdepartement und in einer privaten Forschungsfirma.
Danach unterrichtete und forschte sie an der Universität von Moçambique.
Ab den achtziger Jahren arbeitete sie für Nichtregierungs-Organisationen, vor allem in den Bereichen Beziehungen der Schweiz zu Südafrika sowie Finanzplatz Schweiz und dessen Beziehungen zur Dritten Welt.
Seit mehr als zwanzig Jahren befasst sich Mascha Madörin mit feministischer Ökonomie und hat zu diesem Thema an mehreren Universitäten unterrichtet.
In den letzten Jahren beteiligte sie sich an Projekten zur geschlechtsspezifischen Budgetanalyse.
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