Barroso erhöht im Steuerpoker den Einsatz
Vor dem Besuch von Bundespräsident Moritz Leuenberger in Brüssel hat EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso den Steuerstreit mit der Schweiz angeheizt.
Gegenüber swissinfo fand der EU-Spitzenpolitiker aber auch freundliche Worte für die Schweiz.
Die Beziehung zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) gleicht dem Sommerwetter: Meist ist sie ausgezeichnet, aber Gewitter können nie ausgeschlossen werden. Wenige Tage vor dem Arbeitsbesuch von Bundespräsident Moritz Leuenberger von Montag in Brüssel lancierte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso ein kleines Donnergrollen.
Der höchste EU-Politiker kritisierte am Mittwoch scharf, dass Schweizer Kantone ausländischen Firmen gewisse Steuervergünstigungen gewährten. «Einige Kantone praktizieren klar eine diskriminierende Steuerpraxis», sagte Barroso, «dies verstösst gegen die Regeln des EU-Binnenmarkts.» Wenn die Schweiz immer stärker an diesem Markt teilnehmen wolle, müsse sie die Steuerregimes ändern.
Kritik von Brüssel getragen
Diese Sicht Brüssels ist nicht neu: Der Steuerstreit schwelt bereits seit Herbst 2005. Bis anhin war jedoch nicht ganz klar, ob die EU-Kommission wirklich hinter der Kritik steht, welche ihre Generaldirektion für Aussenbeziehungen vorgebracht hatte.
Nach den Äusserungen von Barroso sind die Zweifel beseitigt: Brüssel wird in der Steuerfrage nicht so rasch locker lassen.
Abwartender Leuenberger
Die offizielle Schweiz hat sich bisher bemüht, den Steuerstreit auf möglichst kleiner Flamme zu halten. Dies will Bundespräsident Leuenberger auch bei seinem Besuch in Brüssel so halten.
«Er wird dieses Thema nicht aktiv ansprechen», sagte Daniel Bach, Sprecher des Departements Leuenberger. Man gehe jedoch davon aus, dass Barroso dies tun werde. Leuenberger werde in diesem Fall die bekannte Position der Schweiz erläutern: «Die kantonalen Steuerregeln verzerren weder den Wettbewerb, noch sind sie ein Verstoss gegen das Freihandelsabkommen mit der EU», erklärte Bach.
Mögliche Konsequenzen
Für die EU-Kommission aber sind die kantonalen Steuerregimes eine Verfälschung des Freihandels. Nachdem sich die Schweiz und die EU in dieser Streitfrage nicht einigen konnten, bereitet die EU-Kommission einseitige Schritte vor. Voraussichtlich nach der Sommerpause dürfte sie in einem Beschluss festhalten, dass die Steuerregimes unvereinbar mit dem Freihandelsvertrag seien.
Ein nächster Schritt Brüssels wären so genannte «Schutzmassnahmen»: Brüssel könnte Zollvergünstigungen für gewisse Schweizer Waren widerrufen. Sollte die Schweiz dann ebenfalls «Schutzmassnahmen» ergreifen, entstünde ein Handelskrieg.
Auch Anerkennung
Barroso bemühte sich aber auch um gutes Wetter: «Der schweizerische Föderalismus ist eine Inspiration für die EU», sagte der EU-Spitzenpolitiker, der sechs Jahre in Genf gelebt hatte.
Und er betonte: «Mit mir steht ein Freund der Schweiz an der Spitze der Europäischen Kommission.» Mittelfristig scheint nun aber ein langwieriger Streit unter Freunden auf der Agenda der bilateralen Beziehungen zu stehen.
swissinfo, Simon Thönen, Brüssel
Das Freihandels-Abkommen zwischen der Schweiz und der EU-Vorgängerin, der Europäischen Wirtschafts-Gemeinschaft (EWG), von 1972 ist einer der tragenden Pfeiler der Beziehungen Bern–Brüssel.
Das im Dezember 1972 vom Schweizer Stimmvolk angenommene Abkommen war ein politisches Nebenprodukt des Übertritts Grossbritanniens und Dänemarks von der kleinen Europäischen Freihandels-Assoziation (EFTA) zur grossen Zollunion EWG.
Der Deckungsbereich des Abkommens umfasst nur Industrie-Produkte.
Die EU-Kommission kritisiert kantonale Steuerregimes für gewisse, meist ausländische Firmen. Konkret geht es um die Regeln für Holdings und Verwaltungsgesellschaften, die in der Schweiz ihren Sitz haben, aber hier keine Geschäfte betreiben.
Die EU-Kommission stört, dass die Auslandsgeschäfte dieser Firmen nur sehr schwach besteuert werden. In der Brüsseler Optik ist dies unlauterer Steuerwettbewerb.
Ein EU-Verhaltenskodex untersagt es den EU-Staaten, ausländische Firmen anzulocken, indem sie diesen günstigere Steuerregimes anbieten als den einheimischen Firmen. Die Schweiz hat diesen Kodex aber nie unterzeichnet.
Brüssel argumentiert nun mit dem Freihandelsvertrag und bezeichnet die Steuergeschenke als unerlaubte staatliche Subvention.
Die offizielle Schweiz entgegnet, dass diese Argumentation juristisch auf schwachen Füssen steht. Wohl deshalb betont Brüssel zusätzlich «den politischen Aspekt» des Streits.
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