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Bauernstand im Elend?

Schweizer Bauern tragen schwer. Keystone

"Bauern wegliberalisieren? - Nein!" Mit diesem Motto demonstrierten am Freitag 1500 Bauern im waadtländischen Morges. Am Samstag protestierten 4000 Landwirte in Beromünster.

Wegen der Marktöffnung machen sinkende Einkommen den Bauern das Leben schwer.

Die Kundgebungswiese in Beromünster glich mit Bratwurstständen, Sonnenschirmen, Treichlern und den vielen Kindern einem Festplatz. Die Bauern waren friedlich, aber auch sorgenvoll und kampfbereit.

Im Zentrum der bäuerlichen Kritik standen der Luzerner Milchverarbeiter Emmi und Bundesrat Pascal Couchepin

«Lasst uns leben», hiess es auf einem Transparent. Bauer Ernst Brunner bezeichnete vor den Versammelten die Einkommenslage der Landwirte als «moderne Sklavenhaltung».

«Dies ist keine Jammerparade», rief die Aargauer Grossrätin Regula Baur der Menge zu. Die Bauern seien bereit für Herausforderungen.

Bauer Urs Leuenberger forderte seien Berufsstand auf, zusammen zu stehen. Berg- und Talbauern, Bio- und konventionelle Bauern, Milch- und Fleischproduzenten dürften sich nicht mehr gegeneinander ausspielen lassen.

Zankapfel Milchkontingente

Die Kosten in der Landwirtschaft stiegen im letzten Jahr um über 7%. Folge: Die Einkommen der Bauern sind im Durchschnitt um 8,3% gesunken.

«Unser Hauptvorwurf an den Staat: die Agrarpolitik ist auf einem viel zu liberalen Kurs,» sagt Roland Furrer vom Schweizerischen Bauernverband (SBV) gegenüber swissinfo.

«Unsere Bauern erbringen auch viele Dienstleistungen, etwa in der Landschaftspflege, und sie müssen sich an viele Vorschriften halten. Die Gesellschaft verlangt viel von der Landwirtschaft, und sie soll für diese Dienstleistungen auch bezahlen.»

Hauptstreitpunkt ist die geplante Abschaffung der Milchkontingente. Ohne Kontingente komme es zu einer unkontrollierten Mehrproduktion und einer Konzentration auf gewisse Standorte und Grossproduzenten.

Weiter sagt Furrer: «Wir denken, dass dieser Entscheid des Bundesrates zu schnell kommt. Es braucht Massnahmen, um den Abbau dieses Systems abzufedern.»

«Working Poor»

8,3 Prozent weniger Einkommen hat ein Schweizer Bauernbetrieb im Vergleich zum Vorjahr eingebracht. Pro Person sind es sogar 12% weniger. Dies belegen die neusten Zahlen der Forschungsanstalt für Agrarwirtschaft und Landtechnik (FAT).

30’356 Franken verdiente demnach eine «Familienarbeitskraft» im Jahr 2001 durchschnittlich. Dies sind 4311 Franken weniger als in den 3 Jahren zuvor.

Zum Vergleich: 1999 hatte das durchschnittliche Einkommen in der Schweiz 46’620 Franken betregen. Letztes Jahr verdiente ein Bergbauer im Schnitt gar nur 20’809 Franken brutto.

Damit gehören viele Landwirte gemäss Bauernverband in die Kategorie der «Working Poor». Viele Betriebe seien in ihrer Existenz gefährdet. Die staatlichen Massnahmen seien schlicht ungenügend.

Anders ergeht es zur Zeit den EU-Bauern. Ihre Löhne stiegen, in Deutschland und Österreich beispielsweise um 10%.

Agrar-Gespenst

Die Agrarpolitik 2007 der Regierung werde die Situation zusätzlich verschärfen, fürchtet der Bauernverband. Über die Agrarpolitik 2007 wird der Ständerat voraussichtlich in der Wintersession debattieren.

Die Schweizer Landesregierung will mit der Agrarpolitik 2007 «günstige Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige und nachhaltige Landwirtschaft» schaffen. Die Anpassungen stünden «im Interesse eines produktiven Agrarsektors, einer qualitativ hochwertigen und sicheren Ernährung sowie einer ökologisch nachhaltigen Entwicklung».

Der schrittweise Abbau der Preisstützung zugunsten von Agrar-Umweltzahlungen und weiterer Direktzahlungen solle zu einem verstärkt marktorientierten und nachhaltigen Agrarsektor führen.

Zu kleine Betriebe

Die Behörden hätten sich damit zu einem dramatischen Wechsel entschieden, konstatiert Carol Franklin, frühere WWF-Direktorin und Expertin für nachhaltige Entwicklung gegenüber swissinfo. «Es gibt zu viele Bauern mit kleinen Betrieben. In der EU liegt der Durchschnitt bei 60 Hektaren, derweil er in der Schweiz bei unter 15 ist.»

Dazu komme, dass die Bauern von allen Seiten unter Druck gerieten. Die Konsumentinnen und Konsumenten «wollen biologische Lebensmittel, innovativere Produkte. Sie wollen nicht nur Milch, sondern ‹Super Power-Milch›, auch wenn sie nicht bereit sind, mehr dafür zu bezahlen.»

Zu viel Milch

Angebot und Nachfrage würden heute nicht überein stimmen, sagt Melchior Ehrler, Direktor des Schweizerischen Bauernverbandes. Zur Zeit sei zuviel Milch auf dem Markt. Die Milchpreis-Senkung müsse daher mit Direktzahlungen ausgeglichen werden, sonst drohe ein Kollaps.

Das Bundesamt für Landwirtschaft sieht die Probleme weniger gravierend. Der Konflikt fokussiere sich nur auf zwei, drei Themen.

Alles in Butter, scheint die Devise zu sein. Denn am Schluss wird die überschüssige Milch in Butter verwandelt. Die Schweiz hat zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder einen Butterberg, wie Samuel Lüthi, Direktor der Schweizerischen Milchproduzenten, gegenüber swissinfo bestätigt.

Weitere Demonstrationen

Dem Aufmarsch der Bauern in Beromünster waren in der Nacht auf den Samstag Protestaktionen vorausgegangen: Unzufriedene Bauern deponierten volle Milchkannen vor dem Bundeshaus in Bern und dem Sitz des Milchverarbeiters Emmi in Luzern. In Bern wurden rund 50 und bei der Emmi rund 70 Kannen aufgestellt.

Weitere grosse Kundgebungen sind für den 31. August in Fehraltdorf (ZH) sowie den 1. September in Grauholz (BE) geplant.

Christian Raaflaub und Agenturen

Verdienst pro Arbeitskraft 2001:
Bergregion: 20’809 Fr.
Hügelregion: 28’458 Fr.
Talregion: 37’523 Fr.
Durchschnitt: 30’356 Fr.

Die Kundgebung im Waadtland war nur der Auftakt: Weitere Aktionen sind geplant.

Die Bauernverbände wollen damit Druck auf das Parlament machen, das in der Wintersession die Beratung der Agrarpolitik 2007 aufnimmt. Die Landwirte sehen darin ihre finanziellen Forderungen zu wenig berücksichtigt.

Sie wehren sich vor allem gegen die geplante Aufhebung der Milchkontingente. Die sinkenden Einkommen würden den Bauern das Leben zusätzlich erschweren, so die Kritik.

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