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Begegnung mit Madame Wikipedia in Davos

Wikipedia-Pionierin in Davos: Florence Devouard. swissinfo.ch

Interaktive Videos und weitere Neuerungen werden bald auf der interaktiven Online-Enzyklopädie Wikipedia erscheinen, sagt Florence Devouard, die Präsidentin der Wikimedia-Stiftung.

Die Französin hat am Weltwirtschaftsforum in Davos mit swissinfo über ihr Engagement für das Wiki-System gesprochen.

Florence Devouard ist seit zwei Jahren im Umfang einer Halbtagesstelle ehrenamtlich als Präsidentin im Verwaltungsrat der Wikimedia-Stiftung tätig.

Die amerikanische Non-Profit-Organisation hat das Wiki-System gross gemacht. Sie besitzt auch rund zehn Host Server von existierenden Projekten. Das bekannteste ist die interaktive Online-Enzyklopädie Wikipedia. Eine der zehn bestbesuchten Sites der Welt.

Ein Wiki (Hawaiisch für «schnell»), seltener auch WikiWiki und WikiWeb genannt, ist eine Sammlung von Webseiten, die von den Benutzern nicht nur gelesen, sondern auch direkt online geändert werden können. Wikis ermöglichen es verschiedenen Autoren, gemeinschaftlich an Texten zu arbeiten.

swissinfo: Was hat Sie dazu gebracht, sich für Wikipedia zu engagieren?

Florence Devouard: Ich bin 2002 zum Projekt gestossen, nachdem ich es zufällig entdeckt hatte, als ich mit einem Kanadier über brennende Themen wie genetisch manipulierte Organismen, den Krieg im Irak und die Opposition in Frankreich gegen die amerikanische Politik diskutierte.

Ich fand es ein vorzügliches Mittel, um mit Leuten aus anderen Ländern zusammen zu arbeiten. Als ich vor zwei oder drei Jahren aus den USA zurückkehrte, fühlte ich mich in dem kleinen französischen Dorf, wo ich lebte, eingesperrt. Da war Wikipedia ein Fenster zur Welt.

swissinfo: Was motiviert Sie, weiterzumachen?

F. D.: Ich habe mich weiter entwickelt und angefangen, zahlreiche Artikel zu verfassen. Sehr rasch habe ich mich auch für die Gemeinde und ihre Organisation und für die Vermittlung bei Konflikten zwischen Usern interessiert.

So hatte ich bald Lust, die Internationalisierung der Organisation voranzutreiben. Damals hatten wir ein bereits fortgeschrittenes englischsprachiges Projekt und weniger entwickelte auf Französisch und Deutsch. Die Idee war, den Betrieb zu internationalisieren und von Leuten aus der ganzen Welt bewirtschaften zu lassen.

Die damals noch winzige Wikimedia-Stiftung musste sich entwickeln und einen Verwaltungsrat wählen. Und ich sagte mir: warum nicht? Ich habe mich vorgestellt und die Teilnehmer haben eine Engländerin und eine Französin gewählt.

Seit vier Jahren bin ich nun dabei. Ich beschäftige mich mit dem strategischen Teil. Ich stelle sicher, dass die Site im Alltag funktioniert und dass man sich damit bei gesetzlichen Fragen informieren oder Gelder erschliessen kann. Die Mitglieder der Stiftung mischen sich nicht in die Funktionsweise des Projekts selbst ein.

Es sind immer die Teilnehmer, die die Inhalte produzieren und die Probleme und Funktionsweisen regeln.

swissinfo: Welche Neuerungen stehen an?

F. D.: Zuerst einmal die Verbesserung der Benutzerprogramme. Etwas, von dem man seit zweieinhalb Jahren spricht: stabile Versionen. Es geht darum, die Versionen als bewertete identifizieren zu können und den Usern die Möglichkeit zu geben, die aktuelle Version und die letzte als halbwegs richtig anerkannte Version zu sehen.

Die zweite Innovation sollte im Frühling bereit sein: die Möglichkeit, sich ein pdf-Dossier oder eine Papierversion einer Auswahl von Artikeln zusammenzustellen. Nehmen wir an, ich möchte zum Beispiel alles über das Weltwirtschaftsforum Davos wissen.

Dann mache ich mir meinen Warenkorb wie bei Amazon, in den ich den Artikel über Davos lege, diejenigen über verschiedene in Davos anwesende Persönlichkeiten, die globale Erwärmung oder die Wirtschaftskrise. Ich produziere mein eigenes kleines Buch, das ich kaufen und mir schicken lassen kann. Das ist Wiki to Print.

Die dritte Neuerung, voraussichtlich für Herbst 2008: die Möglichkeit, Videos in Wikipedia zu integrieren und sie interaktiv benutzbar zu machen, wie die Wiki-Texte. Das heisst, dass man Zugang hat zu den Videos und sie interaktiv verändern kann. Das könnte sehr schön werden.

swissinfo: Google lanciert seine eigene interaktive Enzyklopädie. Beunruhigt Sie das?

F. D.: Abgesehen von einem Blog und zwei Bildschirmphotos eines hypothetischen Projekts ist noch nichts bekannt. Es ist schwierig, sich davon ein Bild zu machen. Ich glaube, dass dieses Projekt aus dem erfindungsreichen Geist von zwei, drei Leuten bei einem feuchtfröhlichen Abend entstanden ist. Es bleibt ein Rätsel.

Falls es sich wie bei uns um eine Enzyklopädie handelt, die sich auf freie Meinungsäusserung und freie Lizenzen gründet, zudem gratis ist, so werden wir gewinnen. Wir haben die Projekte angestossen, damit sie sich gemäss unseren Prinzipien entwickeln können.

swissinfo-Interview: Pierre-François Besson, Davos
(Übertragung aus dem Französischen: Susanne Schanda)

Die 39-jährige Agronomin ist in Versailles geboren. Sie hat im Centre national de recherche scientifique (CNRS) und im Institut national de recherche agronomique (INRA) studiert. Seit 2002 beteiligt sie sich unter dem Pseudonym Anthere an Wikipedia. Präsidentin der Wikimedia-Stiftung wurde sie 2006, als Nachfolgerin des Gründers Jimmy Wales.

Die Wikimedia-Stiftung hat ihren Sitz in San Francisco. Sie ist die juristische Organisation hinter Wikipedia, besitzt alle Server und finanziert das Funktionieren der Wikipedia-Site.

2001 als interaktive Online-Enzyklopädie lanciert, ist das Prinzip von Wikipedia, freie, neutrale und verifizierbare Inhalte anzubieten. Die Site enthält 9 Mio. Artikel in rund 250 Sprachen. 220 Mio. Besucher werden pro Monat registriert. Das ist fast ein Viertel der Internet-User.

Das WEF 2008 in Davos dauert von 23. bis 27. Januar. Es steht unter dem Motto «The Power of collaborative innovation» (Innovation durch Zusammenarbeit).

Erwartet werden 27 Staats- und Regierungschefs, 113 Minister, Leiter diverser internationaler Organisationen, 1370 Unternehmensführer, darunter 74 der 100 grössten Unternehmen der Welt.

Die Zivilgesellschaft wird durch 340 Vertreter aus Religion, Kultur und NGO repräsentiert.

Die Schweizer Regierung ist mit allen Mitgliedern, mit Ausnahme der neuen Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, am WEF anwesend.

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