Besorgte Nischenplayer
Die Schweizer Textil- und Bekleidungsbranche musste 2003 einen Umsatzrückgang hinnehmen. Sie will aber mit Nischenprodukten im Markt bleiben.
Sorgen bereiten den Verantwortlichen die auf den 1. Juni von der EU angedrohten Zölle auf Re-Exporten in den EU-Raum.
Der Umsatz in der Textilbranche betrug 2003 noch 3,6 Mrd. Franken. Dies bedeutet verglichen mit 2002 eine Einbusse von 6%.
Als Gründe gab der Schweizer Textilverband «Swiss Textiles» bei der Präsentation der Zahlen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die Konkurrenz aus dem asiatischen Raum, den Krieg in Irak und die Lungenkrankheit Sars an.
Was hat Sars mit der Schweizer Textilbranche zu tun? – «Mehr, als man gemeinhin denkt», sagt Thomas Isler, Präsident des Textilverbands, gegenüber swissinfo.
«In meiner Unternehmung gehörte Japan 2002 zu den grössten Märkten. Im vergangenen Jahr herrschte während Monaten Funkstille. Der Markt Japan fiel mir 2003 rund vier Monate aus. Das gilt auch für Taiwan, China und Hongkong. Die ganz grossen Märkte fielen für die Schweizer Textilbranche während Monaten praktisch aus.»
Trotzdem will Thomas Isler nicht von «schwarzen», sondern von «anspruchsvollen» Zeiten sprechen. Auch für das laufende Jahr mag er nicht «schwarz» malen.
In Nischen erfolgreich
«Die Schweizer Textilbranche besetzt mehr und mehr Marktnischen. Das innovativ und mit Erfolg», sagt er.
Was ist mit mit dem vielzitierten «Nischenplayer» denn genau gemeint? Isler gibt Beispiele:
– Die letzte Frottierweberei der Schweiz ist mit ihren Stoffen äusserst erfolgreich.
– Schweizer hochtechnische Schmalgewebe für Aufzugbinder und Lamellenträger bei Storen gelten weltweit als «Hits».
– Flechtereien für Feuerwehrschläuche oder geflochtene Schläuche für die Wasserfiltration sind stark gefragt.
– Einheimische Spezialgarne werden weltweit nachgefragt. So ein aus Algen gewonnenes besonders hautfreundliches Garn. Oder das antimikrobielle Garn für den Medizinalbereich. Dann das elastische Baumwollgarn Sensual Nm 250, das als Weltneuheit an der Expofil in Paris präsentiert wurde.
– Interessant auch die hochwertigen Schweizer Stoffe für die Sport- und Modeindustrie. Die neuste Errungenschaft: ein Stoff, der technisch so verändert wurde, dass Flecken, Schmutz und Wasser darauf abperlen.
Neue EU-Zölle
In vielen anderen Bereichen ist jedoch die Schweiz zu teuer und wenig gefragt. Zudem trübt eine neue Zollverordnung der EU die Schweizer Textilindustrie.
Die Europäische Union beabsichtigt ab dem 1. Juni (ursprünglich war es der 1. März) auf in unverändertem Zustand aus der Schweiz und andern Freihandelspartnern in die EU re-exportierten Waren neu einen Zoll von 12% zu erheben. Bislang waren diese Re-Exporte zollfrei.
Felix Sulzberger, CEO der Calida AG, erklärt, dass diese Zölle für sein Unternehmen schlussendlich die Schliessung bedeuten könnte.
«Wir schneiden die Stoffe, die wir mehrheitlich im Ausland kaufen, in der Schweiz zu», sagt Sulzberger. Dann würden sie in die Konfektionswerke den EU-Ländern Portugal und Ungarn geschickt, wo sie genäht würden.
«Kommen die fertigen Produkte aus Portugal oder Ungarn in die Schweiz zurück, dann werden sie im Verteillager in Sursee kommissioniert und an die rund 3000 Einzelkunden verschickt. Alles, was davon in den EU-Raum geht, das sind rund 55%, wird nun auf dem Verkaufswert wieder mit 12% Zoll belastet.»
Den EU-Raum verlassen
Dieser neue Zoll betrifft die gesamt Schweizer Export-Industrie. Allein für Calida würde sie pro Jahr gut 8 Mio. Franken betragen.
«Das bedeutet für uns einen Umsatzrendite-Verlust von rund 6%. Das wäre mehr als Calida 2003 verdient hat. Wir würden also Verluste schreiben.»
Felix Sulzberger hofft nun, dass diese «von einem tiefen Beamtenniveau ausgelösten Massnahmen» der EU rückgängig gemacht werden. Zumal die Massnahme auch EU-Firmen, die mit Schweizer Firmen Handel treiben, treffen würde.
Allerdings so richtig überzeugt, dass die Massnahmen rückgängig gemacht werden, ist niemand beim Textilverband.
Calida selber, so CEO Sulzberger, prüft Umgehungsmöglichkeiten: «Wir könnten unser Verteillager in Sursee zum Zollfreilager erklären lassen oder die Ware leicht verändern, zum Beispiel eine Etikette annähen. Dann wäre es wieder ein Schweizer Produkt und so zollfrei.»
Wenig sagt Sulzberger zu den andern Möglichkeiten. Auslagern der gesamten Logistik in die EU oder dann die Radikallösung: Verlagerung von eigenen EU-Produktionsstätten weg von der EU in Nicht-EU-Länder.
Es sei abzusehen, dass viele Schweizer Firmen diesen Weg wählen würden, mit entsprechendem Nachteil für die EU. «Die EU schiesst sich eben ins eigene Bein», sagt Sulzberger.
swissinfo, Urs Maurer, Zürich
Die Textil- und Bekleidungsindustrie erarbeitete im Jahr 2003 einen Gesamtumsatz von 3,6 Mrd. Franken.
Dies entspricht gegenüber dem Vorjahr einem Rückgang um 6%.
Im Bereich Textil nahm der Umsatz um 6% auf 2,1 Mrd. Franken ab. Im Bereich Bekleidung sank der Umsatz um 5% auf 1,5 Mrd. Franken.
Die wichtigsten Abnehmerländer bleiben bei Textilien weiterhin Deutschland, Italien, Frankreich, Österreich sowie die USA. Bei Bekleidung neu die USA vor Deutschland, Italien, Japan, Grossbritannien und Frankreich.
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