Betty Bossy und tibetische Antilopen
Kochen, Unterhaltung, Wirtschaft und Tourismus: Mit diesen Themen will Ringier, der grösste Schweizer Verleger, den Medienmarkt in China erobern.
Zwar unterstehen die Medien nach wie vor staatlicher Kontrolle. Doch der Spielraum wird täglich grösser. Und das Inseratewesen nimmt geradezu explosionsartig zu.
Im Strassenbild sind Tausende von Zeitschriften aufgetaucht. Aufgestapelt in den Verkaufsständen, welche die Trottoirs säumen. Oder in den mehr oder weniger ordentlichen Auslagen der unzähligen Kiosks.
Farbenfroher Hochglanzdruck
Die Menschen in China begnügen sich schon lange nicht mehr mit der Lektüre nüchterner Partei-Publikationen. Sie blättern immer häufiger in Zeitschriften, die sich ausschliesslich um Unterhaltung und Zeitvertreib drehen: Mode, Schönheit, Autos und Musik in allen Variationen.
Seit sich der Markt zu öffnen beginnt, nimmt er die Wünsche einer neuen, wohlhabenderen und weniger politisierten Generation ernst. «Die Qualität dieser ‹farbigen Blätter› lässt jedoch oft zu wünschen übrig», erklärt Tim Murray, Ringer-Verantwortlicher in Peking.
«Die Entwicklungsperspektiven sind vielversprechend.» Und lukrativ: Der Inseratemarkt, der in der übrigen Welt zum Stillstand gekommen ist, wächst jährlich um 15-20%.
Strenge Zensur
Ringier, seit 1998 auf diesem Markt präsent, hat es unter den chinesischen Zeitschriften bereits auf Platz 3 gebracht. «Wir tasten uns vor und probieren aus; Produkte, die gut ankommen, entwickeln wir dann weiter», meint Murray.
Dabei zählt nicht nur der Markt – ebenso wichtig ist der Staat, der sämtliche chinesischen Medien besitzt. Die Zensurbehörden haben ein wachsames Auge.
So muss jede einzelne Ausgabe des monatlich erscheinenden Ringier-Wirtschafts-Magazins, «China International Business», genehmigt werden. Und gewisse Themen bleiben schlicht tabu.
Betai Chufang/Betty Bossi
«Wir sind hier, um für Unterhaltung zu sorgen, nicht um Politik zu machen», sagt Tim Murray.
In einem Land, in dem das Essen hoch im Kurs steht, lag es nahe, eine Kochzeitschrift nach dem Vorbild der schweizerischen Betty Bossi zu schaffen: «Betai Chufang» («Betty’s Küche»).
Sie bietet innovative Rezepte aus der chinesischen und westlichen Küche, ein attraktives Design, einen interaktiven Service und wird mit einer Website und TV-Sendungen ergänzt.
Die Kochzeitschrift ist ein Erfolg: Von jeder Nummer werden rund 200’000 Ausgaben verkauft, und jeden Monat kommen rund 5000 Neu-Abonnentinnen dazu.
«Blick» auf Chinesisch?
«Blick» in der Schweiz, «Blesk» in Tschechien, «Blikk» in Ungarn, «Novy Cas» in der Slowakei, «Libertae» in Rumänien: Boulevardblätter, gewürzt mit Skandalgeschichten, reichlich Fotos, einer guten Dosis Sport und einer Prise Sex.
In jedem dieser Länder haben sie innert Kürze die Spitze des Zeitungsmarktes erklommen: ausnahmslos Produkte von Ringier, der das «Blick»-Modell auf dem Weltmarkt der Informationen zum wichtigsten Exportschlager der Schweiz gemacht hat.
Mit wie vielen Millionen wird bei den Auflageziffern für einen chinesischen «Blick» gerechnet? «Für solche Überlegungen ist es noch zu früh», erklärt Tim Murray.
Schliesslich ist China ein Staat, in dem die kommunistische Einheitspartei fest im Sattel sitzt und der Pressefreiheit enge Grenzen gesetzt sind – und nicht ein ehemaliges Ostblock-Land, das dem Kommunismus abgeschworen hat.
Dazu Murray: «Doch langsam lockern die Kontrollbehörden ihren Griff. Der Beitritt zur Welthandels-Organisation und die Bemühungen um eine Marktöffnung wirken sich auch auf die Medien und die Zensur aus.»
Antilopen erobern die Schweiz
Vor kurzem hat Ringier auch die «Tibetischen Antilopen» übernommen, eine Reiseführer-Reihe für Individual-Touristen.
Eine Art chinesischer «Lonely Planet» oder «Guide du routard», der ursprünglich nur chinesische Provinzen und Regionen im Programm hatte.
Die tibetische Antilope ist eine Tierart, die vom Aussterben bedroht ist. Ein Hinweis darauf, dass sich diese Führer an Reisende richten, die sich der Nachhaltigkeit und dem Umweltschutz verpflichtet haben.
In den letzten beiden Jahren wurden 500’000 Führer der Reihe «Tibetische Antilope» verkauft. Ende Jahr soll der erste Band über ein anderes Land herauskommen. Und dies ist, wen wunderts, die Schweiz.
swissinfo, Marzio Pescia, Peking
(Übersetzung aus dem Italienischen: Maya Im Hof)
2002 betrug der Gesamtumsatz von Ringier 1,033 Mrd. Franken;
In Asien (China und Vietnam) wurden 44 Mio. Franken umgesetzt.
Ringier, der grösste Schweizer Verlag, ist auch auf dem osteuropäischen Markt (Tschechische Republik, Slowakei, Ungarn und Rumänien) sowie in China und in Vietnam tätig.
In China gibt Ringier rund ein Dutzend Fachblätter und vier grosse Zeitschriften heraus: eine chinesische Version von «Betty Bossi» (Kochen, Auflage 200’000), die einzige englisch-sprachige Wirtschafts-Zeitschrift des Landes («China International Business», Auflage 20-40’000), die Publikationen «City Weekend» in Grossstädten wie Peking oder Schanghai (Veranstaltungs-Kalender und Unterhaltung, Auflage 70’000) und die grösste Zeitschrift, die an Bord von 38 chinesischen Fluggesellschaften (Asia Inflight, Auflage 450’000) verteilt wird.
Der Schweizer Verleger hat zudem die Reihe «Tibetische Antilopen» übernommen, ein Reiseführer für junge, unabhängige Leute. Ende 2004 wird der erste Reiseführer über ein anderes Land herauskommen: über die Schweiz.
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