Bilaterale II gehen in die letzte Runde
Vertreter der Europäischen Union (EU) entscheiden am Donnerstag über einen Kompromissvorschlag, der zum Abschluss der bilateralen Verhandlungen II zwischen der Schweiz und der EU führen könnte.
Es ist kein Zufall, dass die Schweiz im letzten Moment eine Milliarde für den Kohäsionsfonds der EU versprochen hat.
Der Bundesrat hat am Mittwoch bekannt gegeben, dass die Schweiz bereit sei, sich fünf Jahre lang mit je 200 Mio. Franken am Ausbau der EU zu beteiligen. Der Betrag werde in Form von Projekten geleistet, die von der Schweiz autonom verwaltet werden.
Die Beiträge sollen erst nach Abschluss der bilateralen Verhandlungen II geleistet werden. Mit dem so genannten Kohäsionsfonds der EU wird vor allem die Entwicklung in den neuen EU-Staaten im Osten gefördert.
Luxemburg droht mit Veto
Die EU-Kommission begrüsste diesen Entscheid Berns als eine gute Nachricht. Allerdings liegt das Schweizer Angebot immer noch tiefer als es die EU sich gewünscht hatte: Die Schweiz sollte aus EU-Sicht gleichviel bezahlen wie Norwegen, das sich mit jährlich 350 Mio. Franken am Kohäsionsfonds beteiligt.
Trotzdem dürfte das finanzielle Mittun an der Erweiterung Europas und weitere Konzessionen der Schweiz die EU zum Einlenken bewegen – und zu Ausnahmeregelungen zugunsten der Schweiz im Finanzbereich.
Am Donnerstag kommen die Bilateralen II bei den 25 EU-Staaten aufs Tapet. Bei Einstimmigkeit könnte der Entscheid gefällt werden, die Bilateralen II so zu schnüren.
Allerdings hat Luxemburg angekündigt, dass es sein Veto einlegen werde, sollten die Sonderregelungen nicht auch für Banken in Luxemburg gelten. «Was für die Schweiz gelten soll, sollte auch innerhalb der EU gelten», sagte der Luxemburger Finanzminister Jean-Claude Juncker.
Abschluss langwieriger Verhandlungen
Beschliessen die Botschafter der EU-Staaten – einstimmig – den nun ausgehandelten Kompromiss anzunehmen, könnte bereits am Mittwoch nächster Woche ein Gipfeltreffen auf höchster Ebene stattfinden. Ein Treffen zwischen der irischen EU-Präsidentschaft und der Schweizer Regierung ist für den 19. Mai geplant. Dort könnte das zweite Paket der Bilateralen II definitiv geschnürt werden.
Die Verhandlungen um diese Abkommen laufen bereits seit Juni 2002, zwei Wochen nachdem die erste Tranche der bilateralen Verträge in Kraft trat.
Bei sechs von insgesamt zehn Dossiers gingen die Verhandlungen schnell voran. Zum Knackpunkt wurden drei Themen: Zinsbesteuerung, Betrugsbekämpfung und die Abkommen von Schengen und Dublin. Die Schweiz fürchtet um ihr Bankgeheimnis.
Schweiz fürchtet ums Bankgeheimnis
Bei der Zinsbesteuerung ausländischer Guthaben auf Schweizer Banken konnte im vergangenen März ein Kompromiss gefunden werden: Die Schweiz wird eine Quellensteuer erheben und an den EU-Fiskus abführen, ohne dass die Identität der Inhaber bekannt wird. Die Schweiz will diese Regelung aber erst dann umsetzen, wenn die Bilateralen II integral unterschrieben sind.
Das setzt die EU unter Zeitdruck: Sie will bis am 1. Juni alle Verhandlungen zu diesem Thema mit Drittländern unter Dach und Fach haben, damit die Regelung am 1. Januar 2005 in Kraft treten kann.
Steuerhinterziehung und Steuerbetrug
Die Unterschrift unter die Bilateralen II rückte allerdings wieder in die Ferne, als das Schengen-Abkommen diskutiert wurde. Dieses beinhaltet unter anderem die gegenseitige Unterstützung bei Steuerhinterziehung.
Diese gilt jedoch in der Schweiz nicht als Straftat. Aus Angst vor der Aufweichung des Bankgeheimnisses will die Schweiz nur bei Steuerbetrug, der auch in der Schweiz strafbar ist, Rechtshilfe leisten.
Kompromiss-Paket könnte Ausschlag geben
Unter dem Zeitdruck – und offenbar auch auf Drängen des Kommissions-Präsidenten Romano Prodi – konnten der Schweizer Verhandlungsleiter Michael Ambühl und sein EU-Amtskollege Percy Westerlund eine Lösung finden.
Die Schweiz will demnach die EU bei Steuerhinterziehung von indirekten Steuern unterstützen. Darunter fallen Zölle, Mehrwertsteuer und Abgaben auf Alkohol und Tabak. Definitiv keine Rechtshilfe leisten soll die Schweiz bei direkten Steuern wie Einkommens- und Unternehmenssteuern sowie Kapitalgewinnen.
Personenfreizügigkeit für die neuen EU-Länder
Die Schweiz hat ihr Kompromiss-Angebot dazu nebst der Teilnahme am Kohäsionsfonds um einen weiteren Aspekt verbessert: Mit der Ausweitung des Abkommens über die Personenfreizügigkeit (Öffnung des Arbeitsmarktes) auf die zehn neuen EU-Länder.
swissinfo, Barbara Speziali, Brüssel
(Übertragung aus dem Französischen von Philippe Kropf)
Dossiers der Bilateralen II
Asyl und Migration (Schengen/Dublin)
Zinsbesteuerung
Betrugsbekämpfung
Verarbeitete Landwirtschaftsprodukte
Umwelt
Statistik
Medien
Bildung, Berufsbildung, Jugend
Ruhegehälter
Dienstleistungen
Das erste Paket der Bilateralen trat am 1. Juni 2002 in Kraft. Die Verhandlungen um die zweite Runde begannen zwei Wochen später, am 17. Juni 2002.
Knackpunkt der Verhandlungen waren Dossiers, bei denen die Schweiz um ihr Bankgeheimnis fürchtete: Zinsbesteuerung und Rechtshilfe bei Steuerhinterziehung.
Ein Kompromiss-Paket wurde geschnürt, das einen Abschluss der Bilateralen II erlauben soll.
Die Schweiz will sich mit 1 Mrd. Franken am Kohäsionsfonds beteiligen und den Arbeitsmarkt für Personen aus den neuen EU-Ländern öffnen.
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