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Bittere indische Pille für Novartis

"Patent tötet Patienten": Protest in Delhi gegen die Novartis-Klage . Keystone

Sieg von David gegen Goliath: Der Schweizer Pharma-Multi hat einen Patentstreit verloren – Indien darf weiterhin billige Nachahmer-Medikamente produzieren.

Damit bestätigte ein indisches Gericht den Schutz der Generika durch das dort geltende Patentrecht. Millionen Kranke können auf Rettung «Made in India» hoffen.

Indien, der grösste Generika-Hersteller der Welt, kann seine Rolle als Apotheker der Entwicklungsländer weiter spielen, zumindest vorläufig.

Denn ein Gericht in der südindischen Stadt Chennai wies am Montag eine Patentklage des Basler Pharmakonzerns Novartis ab. Dabei ging es um die Nachahmungsrechte für Medikamente.

Das 2005 verschärfte indische Patentrecht stehe nicht im Widerspruch zu den Vereinbarungen mit der Welthandelsorganisation (WTO) über geistige Eigentumsrechte, urteilten die Richter im Bundesstaat Tamil Nadu. Konkret bedeutet dies, dass indische Hersteller weiter billige Nachahmer-Arzneimittel herstellen dürfen.

Formeländerung reicht nicht

Das seit zwei Jahren gültige Gesetz schützt Patente für Medikament-Erfindungen, die nach 1995 gemacht wurden. Patentschutz erhalten auch Medikamente, die aufgrund einer Weiterentwicklung eine höhere Wirksamkeit aufweisen.

Verhindern will das Land hingegen, dass Pharmahersteller wie Novartis den Patentschutz solcher Arzneimittel quasi verlängern können, die sie nur geringfügig verändert haben.

Damit schuf Indien die gesetzliche Grundlage, dass möglichst viele Patienten von billigen Nachahmer-Medikamenten profitieren können, unter anderem im Kampf gegen Aids.

Fragezeichen hinter Weiterentwicklungen

«Leider mussten wir heute feststellen, dass Verbesserungen an bestehenden Medikamenten, an denen wir häufig arbeiten, in Indien nicht geschützt werden», sagte Petra Laux, Leiterin Public Affairs von Novartis. Dies werde Konsequenzen haben.

«Damit verringert sich mittelfristig unser Anreiz, in diese Entwicklungen für Indien zu investieren», sagte Laux. Langfristig werde dies dazu führen, dass indische Patienten weniger von weiterentwickelten Medikamenten profitieren könnten.

Für den Basler Konzern weist die Bedeutung des Urteils über Indien hinaus. Als Folge werde Novartis seine Investitionen in Schwellenländern wie Indien überprüfen, kündigte Laux an.

Denn ein umfassender Patentschutz sei für alle grossen Pharmaunternehmen unabdingbar. Nur so liessen sich die hohen Kosten für Forschung und Entwicklung amortisieren.

Generika-Schub erhofft

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) bezeichnete den Richterspruch als «historischen Entscheid». Er sei ein bedeutender Sieg für die Patientenrechte. «Weil das Gericht das aktuelle indische Gesetz zum Patentschutz als verfassungskonform erachtet, dürfte die Produktion von Generika neuen Schub erhalten», sagte Tido von Schön-Angerer, Koordinator der Medikamentenkampagne von MSF.

Falls der Patentschutz für neu entwickelte Medikamente gegen Aids wegfalle, hätte dies Auswirkungen für die ganze Pharmabranche, hofft von Schön-Angerer. Viele Entwicklungsländer könnten sich neue HIV-Medikamente gegen Aids nicht leisten, weil sie ohne Generika-Konkurrenz zu teuer seien.

Die «Erklärung von Bern» forderte Novartis und die Schweizer Regierung auf, das Urteil zu respektieren und von einer Klage gegen Indien bei der WTO abzusehen.

Ob Novartis das Urteil ans oberste Gericht Indiens weiterzieht, ist momentan offen. Ebenso, ob das Basler Unternehmen bei der WTO ein Verfahren wegen Verstosses gegen geistiges Eigentum anstrengt.

Ärzte ohne Grenzen appellieren an Novartis

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen überreichte am Mittwoch Novartis eine Petition mit 420’000 Unterschriften.

Darin wird der Pharmakonzern aufgefordert, keine weiteren Schritte für eine Verschärfung des Patentgesetzes in Indien zu unternehmen.

«Der indische Gerichtsentscheid ist wegweisend für uns Ärzte», sagte der internationale MSF-Präsident Christophe Fournier vor den Medien in Basel.

Man sei zuversichtlich, dass MSF zur Behandlung ihrer Patienten weiterhin auf erschwingliche Medikamente aus Indien zurückgreifen könne.

swissinfo, Renat Künzi

Das indische Patentamt lehnte Anfang 2006 den Patentschutz für Glivec ab. Dagegen rekurrierte Novartis am Gericht in Chennai im Bundesstaat Madras.

Im Februar dividierte das indische Gericht den Fall in zwei Teile auf: in eine Klage gegen die Ablehnung des Patentschutzes für Glivec sowie in eine Klage gegen das indische Patentgesetz generell.

Die Klage gegen das indische Patentgesetz wurde jetzt von den indischen Richter abgelehnt. Novartis will das Urteil nicht weiter ziehen.

An der Klage gegen die Ablehnung des Patentschutzes für Glivec will Novartis dagegen festhalten.

Eine Jahresbehandlung mit Glivec kostet in Indien über 30’000 Franken im Jahr. Das Generikum dagegen kostet weniger als einen Zehntel.

Laut Novartis erhalten rund 7500 indische Patienten Glivec kostenlos.

Seit 1995 ist das Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) zum Schutz des geistigen Eigentums (Trips) in Kraft.

Es räumt Entwicklungsländern das Recht ein, Patente zu übergehen und mit Speziallizenzen billigere Nachahmer-Medikamente zu produzieren, so genannte Generika.

Das Abkommen erlaubt ebenfalls Parallelimporte von Medikamenten in Notfallsituationen, etwa bei Pandemiegefahr.

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