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«Chemikalien-Cocktail» bedroht die Fischbestände

Werden Fische bald nur noch im Aquarium zu sehen sein? Keystone

Die zunehmende Umweltbelastung und Verbauung der Uferlandschaften sind Ursachen des starken Fisch-Rückgangs in der Schweiz.

Das Forschungsprojekt «Fischnetz» ruft nach Massnahmen.

Der vergangene Jahrhundert-Sommer hat das Leid an die Oberfläche gespült: Die hohen Temperaturen führten zu einem gewaltigen Fischsterben in Flüssen und Bächen.

Im Hochrhein zwischen Stein und Schaffhausen wurde die grösste Äschenpopulation der Schweiz praktisch vollständig vernichtet. Fachleute sprachen damals von 16 Tonnen oder 40’000 Äschen, die tot geborgen wurden.

Was sich im Sommer innerhalb weniger Tage vor den Augen der Öffentlichkeit abspielte, geschieht in den Tiefen des Wassers, schleichend, seit Jahren.

Die Fische verschwinden



«Die Fischbestände in der Schweiz haben in den letzten Jahren rapid abgenommen, obwohl jedes Jahr rund 15 Millionen Fische ausgesetzt werden», heisst es im Schlussbericht des nationalen Forschungsprojektes «Fischnetz».

Unter der Regie der Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (EAWAG) und des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landwirtschaft (BUWAL) suchten ein paar hundert Fachleute der Kantone, Fischereiverbände, der Chemischen Industrie und den Universitäten Bern und Basel während fünf Jahren nach den Ursachen des rapiden Fischrückgangs.

Die Ursachen sind klar



«Hauptursachen sind der Verlust der Lebensräume, die Belastung durch Chemikalien, die Infektionskrankheit PKD und generell höhere Wassertemperaturen», fasst Projektleiterin Patricia Holm, Ökologieprofessorin an der Universität Basel, die Erkenntnisse zusammen. Allerdings könne keiner der untersuchten Faktoren allein für den Fischfang-Rückgang verantwortlich gemacht werden.

Der «Fischnetz»-Bericht illustriert dies am Phänomen der «Schwarzen Forellen», die erstmals Ende der Siebziger Jahre in der Alten Aare beobachtet wurden. Diese Fische sind von Parasiten befallen und zeigen Symptome wie Dunkelfärbung, Bauchschwellungen und eine stark vergrösserte, kranke Niere.

Die Krankheit mit Namen PKD (Proliferative Nierenkrankheit), die Bachforellen wie Regenbogenforellen und Äschen befällt, führt in den meisten Fällen zum Tod. «Fischnetz» hat festgestellt, dass PKD mittlerweile in der ganzen Schweiz verbreitet ist. Bekannt ist auch, dass Fische, die durch den «Chemikalien-Cocktail» in den Gewässern bereits geschwächt sind, besonders anfällig sind.

Steigende Wassertemperaturen



Zur tödlichen Krankheit wird PKD aber erst, wenn die Wassertemperatur länger als zwei Wochen über 15 Grad liegt, was in den letzten Jahren vermehrt vorgekommen ist. Das liegt zum einen an den wärmeren Sommermonaten, zum anderen an der generellen Erhöhung der Wassertemperaturen in den letzten zwanzig Jahren um bis zu zwei Grad – eine Folge der Klimaerwärmung und der Abwassereinleitungen.

Der natürliche Instinkt würde die Fische in kühlere Gewässer treiben, doch die unzähligen Flussverbauungen und die fehlende Vernetzung mit Seitengewässern lassen eine Flucht nicht zu.

Fehlender politischer Wille



Ein Teil der Massnahmen, die von den Umwelt- und Fischerei-Fachleuten nun gefordert werden, wäre leicht umzusetzen. Eine naturnahe Ufergestaltung beispielsweise kostet zwar Geld, doch sie ist technisch problemlos machbar, vorausgesetzt, der politische Wille besteht.

Ein Blick auf das Gewässerschutzgesetz zeigt jedoch, dass die Umsetzung nicht eben konsequent vorangetrieben wird. Das Gesetz von 1992 verpflichtet die Kantone dazu, innerhalb von fünf Jahren Sanierungspläne für ihre Fliessgewässer vorzulegen. Von einzelnen Kantonen fehlen, sieben Jahre nach Ablauf der Frist, noch immer brauchbare Berichte. Ein Überblick, in welchen Kantonen die Pläne anschliessend wirklich umgesetzt wurden, fehlt ebenso.

«Die Wut der Fischer über diese schlechte Umsetzung ist riesig», schimpft Werner Widmer, Präsident des Schweizerischen Fischerei-Verbandes. Sein Verband werde deshalb eine eine Volksinitiative lancieren, mit der eine korrekte Umsetzung des Gewässerschutzgesetzes erzwungen werden solle.

Eine Flut unbekannter Chemikalien

Wesentlich schwieriger wird es sein, die anderen Missstände in den Schweizer Gewässern zu beheben.

Trotz Kläranlagen und schärferen Bestimmungen für die Landwirtschaft schwimmen in Flüssen und Seen unüberschaubare Menge von Chemikalien aus Industrie, Landwirtschaft und Haushaltungen, die schon bei extrem tiefen Konzentrationen im Wasser schädliche Wirkung auf Fische zeigen können.

Im Thunersee fanden die Forscher im Sommer 2001 erstmals Rotaugen, Forellen und Felchen mit so genannten Intersex-Merkmalen. Das bedeutet, die Eierstöcke sind verkümmert, die Hoden in der Mitte abgeschnürt, und immer wieder finden sich sowohl Eier wie Spermien in einem Fisch.

Doch hier braucht es primär mehr Forschung, denn die meisten Stoffe sind in den Labors noch kaum bekannt. Messungen und Analysen solcher «Chemie-Cocktails» seien äusserst aufwändig, meint Projektleiterin Patricia Holm. «Es klafft eine riesige Wissenslücke, die man nicht schnell wird füllen können.»

Langzeitfolgen unbekannt

Ein Blick über die Grenze zeigt, dass auch dort Ratlosigkeit vorherrscht. Über die meisten der über 100’000 Chemikalien, die in der EU im Umlauf sind, gibt es keine genauen Informationen bezüglich Langzeitwirkungen für Umwelt und Mensch.

Der Wissenstand über diese Stoffe sei «dürftig», gesteht die EU-Kommission in Brüssel. Mit einem neuen Chemikaliengesetz will die EU nun dafür sorgen, dass in einem ersten Schritt die gefährlichsten 30’000 Substanzen, die seit über 20 Jahren auf dem Markt sind, auf ihre Schädlichkeit für Mensch und Umwelt geprüft werden sollen.

Die Schweiz wird als wichtiger Chemiestandort von diesen neuen Regelungen ebenso betroffen sein wie die europäische Industrie. Kaspar Eigenmann, bei Novartis Konzernverantwortlicher für Umwelt und Sicherheit, erklärte an der Präsentation des «Fischnetz»-Schlussberichts, dass die Chemische Industrie schon heute intensive Forschung zu Langzeitwirkungen von Stoffen betreibe.

Der Ersatz von gefährlichen Stoffen sei in vielen Fällen jedoch schwierig, weil gleichwertige Wirkstoffe fehlten.

swissinfo, Katrin Holenstein

In den vergangenen rund 20 Jahren gingen die Forellen-Fänge um 60% zurück.
1980: 1,2 Mio.
2001: 400’000
Es waren denn auch Fischer, die zuerst Alarm schlugen.

In der Schweiz zählt man 70 Fischarten. Acht davon gelten als ausgestorben, fünf sind vom Aussterben bedroht und 45 gefährdet.

Hauptursachen sind der schlechte Zustand der Lebensräume, chemische Belastungen und die Infektionskrankheit PKD.

Das vom Bund lancierte Projekt «Fischnetz» fordert Gegenmassnahmen:

– Die Verbesserung der Lebensräume; Uferverbauungen sollen rückgängig gemacht werden.

– Ersatz von schwer abbaubaren Stoffen v.a. bei Massenchemikalien wie Reinigungsmitteln.

– Reduktion des Pestizid- und Düngereinsatzes in der Landwirtschaft.

– Förderung des Biolandbaus.

– Konsequentere Umsetzung des Gewässerschutzgesetzes.

– Die Sanierung und Leistungssteigerung der Kläranlagen.

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