Cisalpino: Starke Neigung zu Wachstum
Die Cisalpino AG, die in den letzten Jahren stark gewachsen ist, investiert eine halbe Milliarde Franken in den alpenquerenden Bahnverkehr durch die Schweiz.
Sie tut dies im Hinblick auf das europäische Eisenbahnnetz, das ähnlich wie der europäische Luftraum bald liberalisiert wird.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten neigen sich die Pendolino-Kompositionen mittlerweile problemlos in die Kurven. Wie zuvor der Luft- wird nun auch der europäische Bahnverkehr dereguliert. Die Cisalpino AG will die Chance wahrnehmen und hat deshalb Investitionen in der Höhe von einer halben Milliarde beschlossen.
«Unser Jahres-Umsatz wird sich voraussichtlich von gegenwärtig rund 100 Mio. Franken bis 2008 auf rund 300 Mio. erhöhen», schätzt der geschäftsführende Direktor Lucio Gastaldi im Gespräch mit swissinfo.
Seit Juni 2004 übernimmt das zu gleichen Teilen im Besitz der Schweizerischen Bundesbahnen, SBB und Trenitalia stehende Unternehmen schrittweise den gesamten italo-schweizerischen, grenzüberschreitenden und alpenquerenden Personenfernverkehr von seinen beiden Mutterbahnen.
Stundentakt überforderte italienische Grenz-Bähnler
Die Cisalpino AG ist heute ein gewichtiger Player im Bahn-Sektor. Aber eigentlich verdankt sie ihre Entstehung einem technischen Engpass Anfang der 90er-Jahre: Bahnstrom- und Sicherheitssysteme unterscheiden sich in Italien und der Schweiz stark voneinander.
«Der Umstand, dass die aus der Schweiz in Richtung Mailand verkehrenden Schnellzüge neu im Stundentakt an der Grenze ankamen und alle neue Loks brauchten, vermochten die italienischen Bähnler finanziell nicht mehr zu tragen», sagt Cisalpino-Vizepräsident Paul Blumenthal.
Neuer Tunnel verkürzt die Fahrzeiten
«Deshalb gründeten die Italiener mit uns das Joint-Venture-Unternehmen, um mit Mehrstrom-Technologie bestückte Züge zu betreiben, die ohne Lok-Wechsel über die Grenze fahren. Damit fielen in Chiasso und Domodossola die mühsamen Lok-Wechsel weg», so Blumenthal.
Die Öffentlichkeit interessierte sich damals jedoch weit mehr für die neuartigen Neigezüge. «Trotz der Kinderkrankheiten waren uns die Italiener in dieser Technologie damals weit voraus», sagt Blumenthal.
Ab 2007 will die Cisalpino AG mit 14 Neigezügen und dank dem neuen NEAT-Lötschberg-Basistunnel mit reduzierten Fahrzeiten zum dominierenden Hochgeschwindigkeits-Anbieter im liberalisierten Nord-Süd-Verkehr werden.
Diese Zugskompositionen nutzen die Schienenwege ähnlich wie Flugzeuge die Luftwege. Reguliert werden Verkehr und Wettbewerb durch Verkehrs- und Landerechte. Verkehrsknoten-Bahnhöfe werden zu «Hubs».
Lehrstück Swissair-Schwäche und EWR-Nein
Die Schweizer Verkehrs-Manager haben aus dem Scheitern der Swissair ihre Lektion gelernt: Beispielsweise hatte die ehemalige nationale Fluggesellschaft, schon lange vor dem EWR-Nein als Nicht-EU-Carrier verkehrsrechtlich diskriminiert, in Europa nie Cabotage-Rechte erhalten.
Das heisst, sie durfte kaum Passagiere zwischen zwei im Ausland gelegenen Flughäfen befördern. Um sich aus der Schweiz in die EU nach Brüssel abzusetzen, kaufte die Swissair deshalb die Sabena – und übernahm sich vollends.
Cisalpino versucht, solche Diskriminierungen auf der Schiene schon gar nicht aufkommen zu lassen. So ist sie von Beginn weg in der EU implantiert, da die italienische Beteiligung beim Unternehmen 50% beträgt.
Cabotage-Probleme stellen sich somit in Italien keine. Ein Passagier darf in Mailand einen aus der Schweiz kommenden Zug in Richtung Florenz oder Rom besteigen.
Kein Alleingang im Bahnbereich
Das Cabotage-Problem in den andern EU-Ländern ist laut Blumenthal noch nicht gelöst. Denn im Cisalpino-Endausbau soll zwischen Frankfurt und Rom in allen grösseren Städten Ein- und Aussteigen erlaubt sein.
«Als Transitland kann sich die Schweiz den Alleingang im Bahnbereich nicht leisten, wie sie es im Luftverkehr nach wie vor versucht. Daher ist sie Schrittmacherin in der Liberalisierung des Schienenverkehrs in Europa», sagt der Bahnexperte Kurt Metz von Metz Consulting.
Zürich-Kloten mag luftfahrtpolitisch als Hub umstritten sein. Unbestritten jedoch ist, wenn es um die Schienenwege geht, die ganze Schweiz ein Hub.
swissinfo, Alexander Künzle
2003 wurden rund 3,5 Mio. Passagiere befördert; das Marktpotenzial ist aber viel grösser.
Die Umsätze werden von rund 100 Mio. Franken im Jahr 2004 bis auf rund 300 Mio. 2008 steigen.
Der Reinverlust des Jahres 1998 von fast 9,8 Mio. Franken hat sich ab 1999 in Gewinne umgewandelt: 2003 betrug er 8,7 Mio.
Die Cisalpino AG wurde 1993 gegründet, um alpenquerende Schnellzüge zu betreiben. Der Zugpark besteht aus 9 Pendolini ETR 470, die dank Neigetechnik und Mehrstromsystem die Reisezeit um rund einen Fünftel verkürzen.
Dabei helfen auch die neuen Alpentransversalen und die neuen italienischen Hochgeschwindigkeits-Strecken. Mailand dürfte nach dem Bau der neuen Strecken von Basel, Genf oder Zürich aus in rund 3 Stunden erreichbar sein.
Kürzlich hat die Cisalpino AG 14 neue Neige-Zukskompositionen bestellt. Damit dürfte die Konkurrenzfähigkeit der Bahn im alpenquerenden Nord-Süd-Verkehr in Zukunft um einiges zunehmen.
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