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Credit Suisse: Bevorstehende Entlassungswelle sorgt nicht nur für Verlierer:innen

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Die Entlassungen bei der grössten Schweizer Bank stellen die Aufnahmefähigkeit des Finanzsektors auf die Probe. Keystone

Vor einem Jahr waren die Mitarbeitenden der Credit Suisse fassungslos über den plötzlichen Niedergang ihrer Bank. Dieser gipfelte im Notverkauf an ihre grosse Konkurrentin UBS. Viele kämpfen nun um ihre Karriere, denn 3000 Schweizer Stellen sollen ab diesem Jahr bei ihrem neuen Arbeitgeber UBS gestrichen werden.

Ein Mitarbeiter der Credit Suisse bezeichnete die Übernahme durch die UBS gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Schweizer Fernsehen SRF als «surreal». Der Mitarbeiter, der nicht namentlich genannt werden wollte, befindet sich nun im Überlebensmodus. «Wenn es hart auf hart kommt, will man der Erste sein, der Bewerbungen abschickt – bevor der grosse Kahlschlag kommt», sagte er.

Bis Ende letzten Jahres hatte die fusionierte Bankengruppe, die nun von der UBS geführt wird, 16’000 Stellen abgebaut, und verschiedene Medien gehen davon aus, dass noch weitere Tausende von Stellen verschwinden werden.

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Die erste Welle des Stellenabbaus im vergangenen Jahr war über die Schweizer Grenzen hinaus spürbar, insbesondere in New York und London, als die UBS die problematische Investmentbankingabteilung der Credit Suisse verkleinerte.

Auch andere Regionen der Welt sind davon betroffen. Laut Bloomberg plant die UBS, zwei Drittel der Investmentbanker:innen der Credit Suisse im asiatisch-pazifischen Raum zu entlassen. Dazu gehören laut Reuters auch 80% der Investmentbanker:innen der Credit Suisse in Hongkong.

Weltweite Entlassungen

Die internationalen Medien haben auch über Entlassungen in Japan, Singapur, China und der Türkei berichtet. Die UBS lehnt es ab, sich zu den Einzelheiten des Stellenabbaus zu äussern.

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Die Mitarbeitenden in der Schweiz waren bisher mit der Integration der Geschäfte der Credit Suisse in die UBS beschäftigt – ein Prozess, der bis Ende 2026 dauern wird. Laut UBS werden die Entlassungen in der Schweiz jedoch in der zweiten Hälfte dieses Jahres beginnen.

«Die Entlassungen werden für einige Personen eine Tragödie bedeuten», sagt Erik Wirz, Gründer und geschäftsführender Partner der Schweizer Personalberatung Wirz & Partners, gegenüber SWI swissinfo.ch.

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«Wer 20 oder 30 Jahre lang bei der Credit Suisse oder der UBS im gleichen Bereich aufgestiegen ist und einen mittelmässigen akademischen Hintergrund hat, wird es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben.»

«Die Karten richtig ausspielen»

Inmitten der Turbulenzen profitieren einige Mitarbeitende. In den letzten Monaten sind eine Reihe von Vermögensverwaltungsteams der Credit Suisse zu anderen Schweizer Banken gewechselt. Andere haben sich dafür entschieden, ihre eigenen unabhängigen Finanzunternehmen zu gründen, anstatt darauf zu warten, dass die UBS ihr Schicksal bestimmt.

Und trotz der Vorwürfe von schlechtem Management und schlechter Unternehmenskultur bei der Credit Suisse erzielten einige Geschäftsbereiche gute Ergebnisse, selbst als die Bank zusammenbrach.

«Die Mitarbeitenden in den richtigen Positionen spielen jetzt ihre Karten aus, prüfen ihre Optionen und gehen zurück zur UBS, um bessere Bedingungen auszuhandeln», so Wirz. «Sie sind in der Lage zu entscheiden, ob sie bleiben oder gehen.»

Die Credit Suisse hatte den Ruf einer «unternehmerischen» Bank, die sich auf die Betreuung kleiner und mittlerer Unternehmen spezialisiert hat, die das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft bilden. Dies sei ein Bereich, in dem die Credit Suisse die UBS stets übertraf, so Wirz.

«Diese Teams sind eine Fundgrube für die UBS, um nach versteckten Perlen zu suchen. Es gibt einige sehr talentierte Leute, aus denen ausgewählt werden kann.» Die UBS kämpfe nun darum, sie zu halten.

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Verstärkter Wettbewerb

«Andere Schweizer Banken beklatschen die Umstrukturierung, weil sie ihnen die Möglichkeit gibt, Teams zu rekrutieren und Marktanteile zu gewinnen», so Wirz. «Es ist ein neuer Wettbewerb im Bankensektor entstanden, den es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat.»

Die UBS bestreitet diese Tatsache nicht. «Der Zusammenbruch der Credit Suisse hat einen aussergewöhnlichen Wettlauf um Kunden, Talente und Marktanteile auf dem Schweizer Bankenmarkt ausgelöst», schrieben UBS-Chef Colm Kelleher und CEO Sergio Ermotti kürzlich in einer Mitteilung an die Investor:innen.

Die Mitarbeitenden in den Back-Office-Funktionen wie IT-Support, Marketing, Personalwesen und Rechtsdienst blicken dem kommenden Stellenabbau nervös entgegen.

«Banken sind im Grunde genommen grosse Technologieunternehmen. Alles basiert auf technologischen Systemen und den Menschen, die diese Maschinerie zum Laufen bringen», sagt William Andreae-Jones von der Personalberatungsfirma Robert Walters gegenüber SWI swissinfo.ch.

«Das Schweizer System hat nicht die Kapazität, all diese Leute über Nacht aufzunehmen.» Die meisten Banken seien in Bezug auf ihre Infrastruktur recht gut ausgestattet. Es gibt nicht viele freie Stellen.

«Aber die Indikatoren deuten darauf hin, dass ein schrittweiser Personalabbau dies bis zu einem gewissen Grad ausgleichen wird», fügte er hinzu.

Ebbe und Flut

Der Schweizerische Bankpersonalverband zeigte sich gegenüber SWI swissinfo.ch «zuversichtlich», dass die meisten der ausscheidenden Credit-Suisse-Mitarbeitenden vom Schweizer Finanzsystem übernommen werden, und fügte hinzu, dass «die UBS vor allem ältere Mitarbeitende über 55 Jahre gut schützen muss».

Die Auswirkungen der Entlassungen auf den Arbeitsmarkt im Schweizer Finanzsektor werden sich in den nächsten Jahren zeigen.

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Die Zahl der Beschäftigten ist seit der Jahrtausendwende relativ stabil geblieben, trotz des Bankenzusammenbruchs im Jahr 2008 und des anschliessenden harten Vorgehens der Vereinigten Staaten gegen das Bankgeheimnis. Im Jahr 2000 waren mehr als 186’000 Mitarbeitende bei Banken, Versicherungen und anderen Finanzunternehmen beschäftigt, die bis Ende 2023 auf 221’000 gestiegen sind, obwohl die Zahl der Beschäftigten in den dazwischen liegenden Jahren schwankte.

Der Anteil der Beschäftigten im Finanzsektor an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen ist jedoch rückläufig. Im Jahr 2000 waren 5,7% der gesamten Schweizer Arbeitskräfte bei Banken und anderen Finanzunternehmen beschäftigt. Dieser Anteil ist bis Ende 2023 auf knapp 5,2% gesunken.

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Gastgeber/Gastgeberin Tomoko Muth

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Editiert von Reto Gysi von Wartburg. Übertragung aus dem Englischen: Janine Gloor

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