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Das ganz andere Hotel im Unterengadin

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Im Unterengadin zieht eine neue Moderne ein: Im malerischen Dorf Vnà setzt eine Stiftung ein neuartiges Hotelkonzept unter Miteinbezug der Bevölkerung um.

Es geht um neue Formen des Tourismus und eigenständiger Kultur, mit denen man dem Beton-Boom des Oberengadins einen Riegel schieben will.

Wer sich im Oberengadin vom Bauboom- und Beton-Groove abgeschreckt, aber von der grandiosen Landschaft dieser Region angezogen fühlt, der fahre ins Unterengadin – dem Fluss Inn entlang nach Osten.

Wer sich dazu als nicht gänzlich konventioneller Tourist fühlt, der fahre nach Schuls (Scuol) bei Ramosch den Sonnenhang hinauf, bis ins Bilderbuch-Dorf Vnà.

Absterben hinter Bilderbuchfassaden

Doch hinter seinen malerischen Fassaden verbergen sich Überalterung und Abwanderung. Das grösste Haus im Dorfzentrum steht seit Jahren leer – eine alte Herberge, in der die Dorfbewohner ganz früher noch ihr Tanzbein geschwungen hatten.

Diesem Haus, dem Kenner grosses räumliches Potenzial attestieren, und damit auch dem Dorf soll wieder neues Leben eingehaucht werden. Eine einheimische Projektgruppe hat ein Konzept rund um ein dezentrales Dorfhotel erdacht.

Die alte Herberge soll zum «Gast- und Kulturhaus Piz Tschütta» werden.

Damit sollen dem ehemaligen Mittelpunkt des 70-Seelen-Dorfs Vnà neue Gäste zugeführt und gleichzeitig Jobs geschaffen werden. «Wir wollten die Bevölkerung von Beginn an einbinden», sagt Urezza Famos gegenüber swissinfo.

Famos, eine im Unterengadin bekannte Unternehmerin und Kulturmanagerin, ist Mitgründerin und Mitglied der «Fundaziun Vnà». Diese Stiftung möchte aus dem Piz Tschütta ein «dezentrales Hotel» machen.

Einzigartiger Stiftungs-Mix

Denn das zentrale Hotelgebäude selbst wird nur vier Zimmer und eine Suite anbieten. Das Konzept sieht deshalb vor, das Bettenangebot durch Zimmer und Apartments in den anderen Häusern des Dorfs zu erhöhen. Damit würden die Dorfbewohner an der touristischen Arbeit wie am Nutzen beteiligt.

«Die Leute waren es gar nicht gewohnt, ernst genommen zu werden», sagt Famos. In der Zwischenzeit seien jedoch viele Stiftungs-Mitglieder geworden. Vom Landwirt über den Rentner bis zum Architekten: «Diese Konstellation ist einzigartig», so Famos.

Sie, die sich mit dem Management des nahen Zollfrei-Einkaufszentrums Acla da Fans in der Gegend einen Namen gemacht hat, bekämpft über diese Stiftung auch das durch die Entvölkerung entstandene kulturelle Vakuum.

«Cultural Creatives»

«Auch Touristen und Gäste mit viel Eigeninitiative sind als Aktionäre angesprochen», sagt Stiftungs-Sprecherin Brigit Leicht. Das Profil der angesprochenen Gästeschicht bezeichnet die Tourismusfachfrau als «Cultural Creatives».

Mit solchen Gästen wirke man dem «seelenlosen Zweitwohnungsbau» entgegen, sagt Leicht. Davon sei das Unterengadin vorläufig noch verschont. Im Oberengadin hingegen liegen über 70% der Wohnungskapazitäten über 10 Monate brach, weil es sich um Zweitwohnungsobjekte handelt.

Anderseits seien die Dorfbewohner, da sie am Projekt auch finanziell partizipieren, bereit, die Rolle als Gastgeber zu übernehmen. «Es gibt so keinen Überdruss an Touristen.»

Und die Gäste müssen nicht anonyme Hotelzimmer oder Ferienwohnungen mieten, sondern sie werden Gäste einer Familie, eines lebenden Haushalts.

Eine dieser Familie heisst Mayer. Linard Mayer, auch er Stiftungsmitglied, ist Landwirt und züchtet Rinder. Er knüpft an früher an: «Einst hatten wir in Vnà zwei Pensionen, und die Einheimischen offerierten damals schon Zimmer.»

Das möchte er wieder beleben. Mayer arbeitet daneben im Winter als Skilehrer und Tourenführer. Ausserdem bietet er in seinem Haus ein separates, im alten Engadiner Stil gehaltenes Apartment an.

Business ohne Kultur ist kein Geschäftsmodell

In Kombination mit dem drohenden Zweitwohnungs-Retortenbau könnte dieses Kulturvakuum dem Unterengadin existenziell zusetzen. Das Dorfleben droht zu zerfallen, die kulturhistorische Position von Vnà droht zum Dekor ausgehöhlt zu werden. Auf dieser Sonnenterrrasse geht es ums Überleben.

Als Initialprojekt der Stiftung soll nun eine Aktiengesellschaft gegründet werden, die Tschütta AG. Dabei sollte die Stiftung Vnà zwar eingebunden, aber mitgliedermässig nicht mit dem Aktionariat vermischt werden.

Denn aus Erfahrung weiss Famos: «Es darf keinen Hauptaktionär geben.» Sonst gehe die ursprüngliche Idee der Stiftung kaputt, nämlich die lokale Zusammenarbeit zwischen Bauern, Tourismusfachleuten, Gewerbe und Gemeinde.

Anderseits sehe das Finanzierungsmodell Hilfe von aussen vor. Maximal 1,65 Mio. Franken sind laut Stiftungsprospekt als Investition vorgesehen. Davon soll die Stiftung rund 400’000 Franken aus Erträgen beitragen, das Aktienkapital soll 200’000 Franken betragen.

Gastgeber, keine Aussenstehenden

Mit diesem Ansatz versuchen die Initianten, einem der grossen Kritikpunkte der touristischen Schweiz entgegen zu steuern: Der oft beklagten fehlenden Gastfreundlichkeit. Das Konzept «Piz Tschütta» dürfe deshalb nicht isoliert touristisch, sondern nur vernetzt angegangen werden.

Ausserdem, so glaubt Leicht, fürchtet sich die Engadiner Bevölkerung vor Aussenstehenden, die irgend etwas in ihr Dorf und ihr Hotel reinprojizieren. Einer, der darüber wacht, obschon er ursprünglich selbst Aussenstehender war, ist Christof Rösch. Als Baukünstler sitzt auch er im Stiftungsrat des Hotelprojekts.

Rösch, Kurator des Kulturzentrums Nairs in Scuol, möchte in Vnà «einen offenen Kulturbegriff in die Praxis umsetzen» und Tradition und Gegenwart miteinander verschmelzen. «Mit dem Einbezug des ganzen Dorfs ist ein ganzheitliches Projekt viel eher zu erarbeiten, als wenn ein aussenstehender Investor kommt und etwas baut, was er schon vorher im Kopf hatte.»

swissinfo, Alexander Künzle, Vnà

Vnà liegt 20 (Post-)Autominuten vom Badezentrum Scuol entfernt.
In der Nähe liegen: Skigebiet Scuol/Ftan/Sent; Einkaufsparadies Samnaun; Nationalpark; Engadiner Dörfer wie Guarda; Golfplatz Vulpera; Dreiländereck.
Als Gäste angesprochen sind naturnahe Touristen mit Eigeninitiative, Wanderer/Bergsteiger, Velo-Mountainbiker, Kulturinteressierte, Seminarteilnehmer.

Die «Fundaziun Vnà» zieht im Unterengadiner Dort Vnà ein dezentrales Hotelkonzept auf.

Um ein zentrales historisches Gebäude im Dorfkern entstehen weitere Ferienwohn-Angebote in den Dorfhäusern.

Gegessen wird zentral, im Hotelgebäude. Kontakt mit den Einheimischen ergibt sich von selbst.

Den Ansässigen bringt das Konzept auch wirtschaftliche Vorteile.

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