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Das Postauto: Industriegeschichte in Gelb

Sicher - dank neuster Technologie. (PostAuto() PostAuto

Nostalgie, Pionierleistungen, Reiseträume, Alpen-Pathos, aber auch Modernität und urbanes Leben: Das Postauto - eine Schweizer Ikone - ist 100 Jahre alt.

Zum Ereignis ist ein Bildband erschienen. Er befasst sich mit der Entwicklung der Post zum grössten Schweizer Transportunternehmen.

Die Anekdote illustriert die rasante Veränderung der ländlichen Gesellschaft und der Umgangskultur im Land: Vor 20 Jahren nahm der Chauffeur auf seinen winterlichen Fahrten in die Tessiner Berge seine Skis mit. So konnte er auch dann ins Tal zurückkehren, wenn in der Zwischenzeit eine Lawine die Strasse verschüttet hatte.

Heute sperrt die Kantonspolizei bei Lawinengefahr die Strasse, damals fuhr das Postauto trotz Lawinengefahr. Der Chauffeur war in den abgelegenen Dörfern gleichzeitig auch eine Bezugsperson.

«Ich brachte nicht nur die Post, die Leute sagten mir auch, wenn Sie etwas aus der Apotheke brauchten», erzählt Alberto Marchetti im Buch «gelb fahren», das zum 100-jährigen Jubiläum des Postautos erschienen ist.

Bilder, die alle kennen

Postautos sind Teil der schweizerischen Identität. Das Postgelb ist so bekannt wie das Rot der Schweizer Fahne. Die Geschichte des Postautos reflektiert Mythen, Reiseträume, Erinnerungen an Schulreisen, aber auch industrielle Vergangenheit.

Martini, Saurer, Berna und FBW, das waren die klingenden Namen der einstigen Schweizer Nutzfahrzeug-Industrie. Die Post war während Jahrzehnten deren Hauptkundin. Heute werden die normierten Fahrzeuge auf dem internationalen Markt eingekauft.

Postautos verbinden die hintersten Weiler mit den Städten, schaffen Zusammenhalt zwischen den Landesteilen und stehen für Zuverlässigkeit, aber auch für Emotionalität. Das Postauto in einer Haarnadelkurve, dahinter schneebedeckte Berg-Gipfel – das Bild ist Teil der schweizerischen Befindlichkeit.

Alpine Panoramafahrten

In einer landesweiten repräsentativen Umfrage ging das Postauto kürzlich unter 1000 weltweiten Brands als «zuverlässigste Marke» hervor. Ganz linear ist die Erfolgsgeschichte indes nicht verlaufen.

Am 1. Juni 1906 ersetzte die Post auf der Strecke Bern – Detligen die Pferdekutschen mit drei Omnibussen. Zwischen Bern und Papiermühle wurden nach drei Jahren allerdings wieder Postkutschen eingesetzt.

Die Omnibusse hatten technische Probleme und sie verbrauchten mehr als 40 Liter Benzin auf Hundert Kilometer. Der Durchbruch gelang dem Postauto erst nach Ende des Ersten Weltkrieges und dank der Eroberung der Alpenpässe.

Nach dem Krieg verschenkte die Armee 100 nicht mehr benötigte Lastwagens-Fahrgestelle der Post. Die Eidgenössische Konstruktions-Werkstätte in Thun verpasste den Chassis offene Karosserien mit einem Scherenverdeck. Fortan keuchten die so genannten «Car alpin» mit ihren 40 PS die Pässe hoch. Die Chauffeure amteten als Fremdeführer, die Panoramafahrten der Alpenpost wurden weltberühmt.

Milchkannen und Hühner

Das Postauto brachte nicht lediglich Touristen in die Berge, sondern auch Briefe, Pakete, Milchkannen, Kühlschränke oder Hühner. Zur Mythenbildung beigetragen hat das charakteristische Dreiklanghorn, das ausschliesslich auf Bergstrecken erklingt.

In der Hierarchie stehen sie zuunterst, in der Wahrnehmung der Fahrgäste jedoch repräsentieren die Chauffeure Werte wie Sicherheit und Zuverlässigkeit. Sie werden intern auf den Fahrzeugen und spezifisch für jede Strecke ausgebildet.

«Wie nimmt man eine scharfe Kurve, wie weicht man einer tief hängenden Dachtraufe aus, wie fährt man sauber in die Haltestellen, so dass zwischen Trittbrett und Randstein kein Spalt bleibt?» – um solche Fragen dreht sich laut dem Fahrlehrer Thomas Rohrer der Unterricht.

«gelb fahren» lebt vor allem auch durch historische Aufnahmen der verschiedenen Fahrzeug-Generationen. Aktuelle Fotostrecken dokumentieren Fahrten in den Alpen, im Jura und in der Agglomeration Zürich.

Zürich und Bern vorbildlich

Die PostAuto AG ist heute die unbestrittene Nummer eins im öffentlichen Busverkehr der Schweiz. Den Grossteil ihrer Leistungen erbringen die Postautos nicht in den Alpen, sondern ganz profan als Bahnzubringer und Feinverteiler im Mittelland.

Trotz ihrem sauberen Image, haben die meisten Postautos eine Schattenseite. Von den knapp 2000 Fahrzeugen sind lediglich 400 mit einem Diesel-Russpartikelfilter ausgerüstet.

Die Verbreitung der umweltfreundlichen Technologie sei von Kanton zu Kanton verschieden, erklärt Post-Sprecher Richard Pfister gegenüber swissinfo. «Die Kantone sind die eigentlichen Auftraggeber bei Neuanschaffungen. Mit 75% ist der Anteil an Partikelfiltern in den Kantonen Zürich und Bern am höchsten.»

swissinfo, Andreas Keiser

Tü-Ta-Too – das Motiv stammt aus der Ouverture zu Rossinis «Willhelm Tell».

In den 1920er-Jahren verdrängten die Postautos die Kutschen auch auf den Pass-Strassen.

Der Postautobetrieb wird von der öffentlichen Hand subventioniert.

In touristischen Regionen subventionieren einzelne Kantone auch Ausflugslinien.

Die Geschichte der schweizerischen Nutzfahrzeugindustrie endete 1985 mit dem Niedergang von Saurer.

Sie lebte vor allem von den Aufträgen der beiden Schweizer Monopolisten Post und Armee und entwickelte technologisch hoch stehende und langlebige Fahrzeuge.

Länge Postautonetz: 10’000 Kilometer.

Fahrgäste jährlich: 100 Millionen.

Jährlich gefahrene Kilometer: 89 Mio., entspricht einer Tour von täglich sechsmal um die Welt.

Jahresumsatz 500 Mio. Franken.

Mitarbeiter: 2500

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