«Das wäre der Tod der Schweizer Landwirtschaft»
Schon jetzt haben viele Schweizer Bauern den Gürtel sehr eng geschnallt, so auch Paul Probst. Es reicht knapp zum Überleben, investieren liegt kaum mehr drin.
Die Furcht vor den WTO-Verhandlungen in Cancún ist gross: Billigprodukte könnten den Schweizer Kleinbauern das Leben noch schwerer machen.
18 Kühe und 21 Hektaren Land. Ein durchschnittlicher Betrieb mit integrierter Produktion im Schweizer Mittelland. Damit lasse sich heute nur noch knapp leben, sagt Landwirt Paul Probst bei einer Tasse Kaffee. «Wir spüren einen grossen Druck.»
Probst führt den Betrieb im solothurnischen Fulenbach zusammen mit seiner Frau Mary. Ab und zu helfe der Vater mit, von dem er den Hof vor zehn Jahren übernommen hat, erzählt Probst gegenüber swissinfo.
«In der Schweiz verdient eine Arbeitskraft in der Landwirtschaft ungefähr 2500 Franken. Da sind wir natürlich sehr tief unter dem durchschnittlichen Einkommen.» Angestellte können sich die Probsts nicht leisten, der Schweizer Mindestlohn liegt bei rund 3000 Franken.
Die Schweizer Agrarpolitik ist seit Jahren daran, die Stützung der Produktion zu vermindern. Dadurch sanken die Preise für verschiedene landwirtschaftliche Produkte.
«Man hat die Direktzahlung eingeführt. Diese ist an eine ökologische Leistung gebunden. Dadurch erlitten wir Produzenten eine Einbusse von ungefähr 30 Prozent», rechnet Probst vor.
Damoklesschwert Weltmarktpreis
Und nun droht die Welthandels-Organisation (WTO) mit der Abschaffung der Einfuhrzölle. Schlimm wäre das, wenn plötzlich Weltmarktpreise für die Schweizer Landwirtschaftsprodukte gelten würden, meint Probst. «Wir würden erneut ungefähr einen Drittel weniger erhalten», sagt er und fügt gleich Beispiele an:
«Der Weltmarktpreis von Weizen beträgt 20 Franken für 100 Kilo. Wir kriegen zur Zeit je nach Qualität zwischen 40 und 45 Franken. Der Milchpreis liegt im Moment bei ungefähr 70 Rappen, der Weltmarktpreis bei 18 bis 20 Rappen. Bei solchen Bedingungen können wir ganz sicher nicht mehr produzieren.»
Bei einer industrialisierten Bewirtschaftung könne man vielleicht mit den Weltpreisen leben, erklärt Probst. Doch in der Schweiz gälten andere Regeln: «In der Bundesverfassung steht ganz klar, dass eine nachhaltig produzierende Landwirtschaft auf einer familienbäuerlichen Basis gewünscht ist.»
Qualität hat ihren Preis
Und dies kostet natürlich einiges mehr, als industriell angebaute Produkte, die ohne Qualitätsstandards den Markt überschwemmen könnten. Dem wird der Schweizer Delegationsleiter, Bundesrat Joseph Deiss, in Cancún entgegenzuwirken versuchen.
«Wir versuchen ja zu erreichen, dass auch in der WTO das Labelling, zum Beispiel die Herkunftsdeklaration, berücksichtigt wird», versprach er im Schweizer Bauer.
Dies fordern auch die Schweizer Kleinbauern: Die Schweiz solle sich dafür einsetzen, dass die Multifunktionalität der Landwirtschaft durch die WTO ausdrücklich anerkannt werde. So solle sie zum Beispiel Direktzahlungen mit ökologischen Mindestanforderungen verteidigen.
Ohne Stützung keine Bauern
Probst präzisiert: «Wenn wir keine Direktzahlungen mehr kriegen würden, wäre das der Tod der Schweizer Landwirtschaft.»
Die nächsten Liberalisierungsschritte der WTO sollen die Exportsubventionen beschränken, die Zölle senken und interne Stützungsmassnahmen abbauen. Wenn die Importzölle sinken sollten, rechnet der Schweizerische Bauernverband (SBV) mit Einbussen von 500 bis 700 Millionen Franken pro Jahr.
«Da bin ich ziemlich fest überzeugt, dass es nicht mehr geht. Ohne nationale Stützung können wir nicht mehr leben», stellt Probst nüchtern fest.
Umsatteln ist keine Option
Nicht nur die Bauern leiden derzeit unter der Krise. Vielen Menschen bleibt nichts anderes übrig, als sich umzuschulen, sich neu zu orientieren. Für Paul Probst ist dies aber keine Option. «Ans Aufhören habe ich noch nie gedacht. Man ist in der Landwirtschaft anders verwurzelt als in der übrigen Industrie.»
Es seien Generationen, die den Betrieb aufgebaut und davon gelebt haben. «Da klammert man sich an so einen Betrieb.» Trotzdem arbeitet Probst ungefähr einen halben Monat pro Jahr auf der Gemeindeverwaltung.
«Aber sonst möchte ich schon, dass ich mit meinem Betrieb die Familie ernähren und auch die nötigen Investitionen erbringen könnte, die ich auf dem Hof machen muss», meint er.
Im Grunde eine gute Idee
Eigentlich habe er nichts gegen die WTO, sagt Landwirt Probst. «Wenn man den Grundgedanken der WTO anschaut, ist es eine gute Sache.» Doch wie beim Sozialismus sei die Idee in der Praxis «nicht durchführbar».
Mit dem Fallen der Exportschranken würde die industrielle Landwirtschaft bevorzugt, so Probst. «Es profitiert die Industrie. Die Bevölkerung auch in ärmeren Ländern wird kaum profitieren können.»
swissinfo, Christian Raaflaub, Fulenbach
Seit 1985 wurden ein Drittel der Bauernbetriebe aufgelöst.
1985: 98’759 Betriebe
2002: 67’421 Betriebe
In der Schweiz hat die Reform der Landwirtschaftspolitik bereits vor über einem Jahrzehnt eingesetzt.
Subventionen sind immer weniger an die Produktion gekoppelt. Neue Stichworte sind zum Beispiel Landschaftspflege und Erhaltung der Artenvielfalt.
In diesen Jahren rechnet der Bund in seiner Landwirtschaftspolitik mit jährlich rund 2000 Bauernfamilien, die ihre Existenz aufgeben müssen.
Das geplante Abkommen im Rahmen der Welthandelskonferenz (WTO) führt laut Experten dazu, dass es bis zu 4000 Schweizer Bauernfamilien jährlich treffen würde.
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