«Das WEF ist zum ‹courant normal› geworden»
Davos ist die höchste Stadt in Europa, aber auch Tourismus- und Kongressdestination und Forschungs-Standort. Ebenfalls zu Davos gehören die ländlichen Gemeinden im Landwassertal.
Im Gespräch mit swissinfo plädiert Landammann Hans Peter Michel für eine tourismusfreundliche Verdichtung der Kernzone und einen schonenden Umgang mit den landschaftlichen Ressourcen.
swissinfo: Was reizt Sie jeden Morgen neu, in Davos zu leben und zu arbeiten?
Hans Peter Michel: Ich kann arbeiten, wo andere Ferien machen. Im Ernst: von der Grösse her ist Davos äusserst interessant. Viele Herausforderungen, die wir hier haben, kennt man sonst nur in grösseren Städten. Und ich meine damit nicht nur das WEF.
swissinfo: Wo liegen denn die Schwierigkeiten für die Gemeinde beim World Economic Forum?
H.P.M: Bei den Rahmenbedingungen. Denken Sie an den Verkehr, an die notwendige und hier oben immer wieder diskutierte Erweiterung des Kongresszentrums, an die Demonstranten, die zwar immer friedlicher werden, oder an die Notfalldienste wie Feuerwehr oder Ambulanzen. Da passiert viel, das auch der Gemeinde nicht ganz egal sein kann.
Von der Überwachung des Luftraumes durch die Armee, merken wir als Gemeinde relativ wenig. Wir müssen allerdings auch mit unseren Bürgern kommunizieren, damit deren Seelenfrieden nicht zu arg strapaziert wird.
Aber diesbezüglich ist eine spürbare Beruhigung eingetreten. Das WEF ist zum «courant normal» geworden.
swissinfo: Welches Dossier macht Ihnen am meisten zu schaffen?
H.P.M: Das anspruchsvollste Dossier ist die Raumplanung, weil man hier langfristige Leitlinien setzen kann. Zu kämpfen habe ich allerdings am meisten mit den Anliegen einzelner Bürger.
Sie kommen mit Begehren, die aus ihrer Sicht in Ordnung sind, die ich jedoch ablehnen muss, weil es kurzfristige persönliche Interessen sind, die nicht in einen langfristigen Gesamtrahmen passen.
Da bringe ich mit dem besten Willen nicht immer alles unter einen Hut. Das beschäftigt mich auch menschlich. Ich leide, wenn ich den Leuten nicht helfen kann.
swissinfo: Wie soll sich die Stadt weiter entwickeln? Anders gefragt: In welche Richtung eben gerade nicht?
H.P.M: Wichtig ist, dass wir den Ast, auf dem wir sitzen, nicht absägen. Es darf nicht geschehen, dass die Hotels verschwinden. Die Kernzone muss noch urbaner werden, muss sich möglicherweise noch mehr verdichten.
Darum herum dürfen wir zwar nicht ein Museum entstehen lassen, aber wir müssen sehr zurückhaltend sein und mit diesen Landressourcen vorsichtig umgehen.
swissinfo: Wieweit ist es ein Problem, dass der Ort im Winter voll belegt ist, sich nach der Saison jedoch praktisch von einem Tag auf den andern entleert?
H.P.M: Das Problem ist bei uns weniger akzentuiert als in reinen Tourismusorten. Davos hat eine andere Grösse. Wir haben die Forschungsinstitute, Bauunternehmen und zahlreiche Geschäfte.
Es gibt zwei Kamelbuckel, einen grossen im Winter und einen kleineren im Sommer. Dazwischen sind die Löcher.
Von der Wirtschaftlichkeit her müssen wir einen grösseren Ausgleich anstreben. Im Mai ist Davos jedoch nicht so attraktiv wie im Winter oder im Hochsommer, und daher wird es immer eine gewisse Baisse geben.
Im subjektiven Empfinden ist es jedoch gar nicht so unangenehm, mal durchatmen zu können und nur Einheimische auf der Strasse zu sehen.
swissinfo: Soll die Frage der Städte und Agglomerationen im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen thematisiert werden?
H.P.M: Mir ist es eigentlich egal, ob das thematisiert wird. Die Idee mit dem Ausgleich, mit den beiden Kammern im Parlament, mit dem National- und dem Ständerat, ist gut und wichtig. Denn wir werden auch daran gemessen, wie wir mit unseren Minderheiten umgehen. Da kann die Schweiz weltweit ein gutes Beispiel abgeben.
swissinfo: Es stört Sie also nicht, dass die ländlichen Gegenden proportional mehr zu sagen haben als die grossen Agglomerationen?
H.P.M: (lacht) Ich bin Landwirt und komme vom Land. Aber wenn der Mix nicht mehr stimmt und die Unzufriedenheit wächst, dann muss man das Problem ernst nehmen. Es darf nicht sein, dass die Unzufriedenheit ansteigt und der Tenor vorherrscht: «wir werden ja diktiert von diesen Hinterwäldlern».
swissinfo: Ist Davos also eine Stadt mit ländlichem Charakter?
Ja, das stimmt, aber sehen Sie: ich komme aus der kleinen Teilgemeinde Monstein, aus einer uralten Bauernfamilie. Trotzdem haben mich die Leute zum Landammann gewählt.
Der schonende Umgang mit Minderheiten kann auch der Mehrheit etwas bringen, indem die Minderheit auch auf die Mehrheit Rücksicht nimmt.
Konkret: Wenn Gäste durch unsere Wiesen gehen, dann zeigen die Bauern grosse Toleranz. Sie wissen, dass sie vom Zentrum profitieren. Da gibt es in beiden Richtungen einen Ausgleich.
swissinfo, Andreas Keiser, Davos
Seit 2005 Landammann (Stadtpräsident) von Davos
Mitglied der Freisinnig Demokratischen Partei
Oberst der Schweizer Armee
Vater von 5 Kindern
War vor seiner Wahl Biobauer und Psychologe
Davos liegt 1560 Meter über Meer und ist die höchst gelegene Stadt Europas.
Zur «Landschaft Davos Gemeinde» gehören: Davos Dorf, Davos Platz und die ländlichen Fraktionen Frauenkirch, Glaris und Monstein.
Auf 13’000 Einwohner kommen 24’000 Betten in Hotels und Ferienwohnungen.
Höchster Punkt der mit einer Fläche von Fläche von 254 km2 zweitgrössten Gemeinde der Schweiz ist das Flüela-Schwarzhorn mit 3146 Meter über Meer.
45% der Fläche sind Weiden, 29% Ödland, 16% Wald, 8% Wiesen und je 2% Seen und überbautes Gebiet.
1853 kam der deutsche Arzt Alexander Spengler als Flüchtling nach Davos. Er entdeckte das Klima als Heilfaktor gegen die Tuberkulose.
In der Folge entstand der grösste Lungenkurort Europas.
Nach der Weltwirtschaftskrise und mit dem Bau der Parsennbahn (1930: Wandlung vom Nobel- zum Volkskurort mit Betonung Sport.
Neue Methoden in der Behandlung der Tuberkulose (Antibiotika) brachten nach 1950 die Sanatorien zum Verschwinden.
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