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Der Herr über David und Goliath des Eishockeys

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Mindestens zwei Spiele pro Tag will René Fasel an der Eishockey-WM in der Schweiz live verfolgen. Der Präsident des Eishockey-Weltverbandes (IIHF) äussert sich auch zum WM-Modus, dem Verhältnis zur NHL, und einem grossen Hockey-Zwerg.

swissinfo: Die Zürcher Löwen gewannen die Champions Hockey League gegen Metallurg Magnitogorsk – eine optimale PR für die WM im eigenen Land. Welche Bedeutung hat dieser Sieg für das Schweizer Eishockey?

René Fasel: Er kam auch für uns völlig unerwartet. Er zeigt, dass im Eishockey David Goliath auch einmal schlagen kann. (Jahresbudget Magnitogorsk: 67 Mio. Franken; ZSC: 10 Mio. Franken, die Red.).

Es ist auch ein Signal an kleinere Nationen wie die Schweiz, dass sie mit seriöser Arbeit, Konzentration und Enthusiasmus die Schweden, Finnen, Tschechen und Russen schlagen können.

swissinfo: Zur WM: Wissen Sie schon, welche Spiele Sie live verfolgen werden?

R.F.: Nein, ich entscheide mich immer sehr kurzfristig und nach Gefühl. Es werden mindestens zwei Partien pro Tag sein. Es gibt sowohl in Bern und Kloten sehr attraktive Spiele. Zum Glück sind die Wege dazwischen sehr kurz, die Zugfahrt dauert nur etwas mehr als einer Stunde.

swissinfo: Was erhoffen sie sich auf sportlicher Ebene für die Schweiz als WM-Gastgeber?

R.F.: Ralph Krueger hat in den letzten Jahren sehr gute Arbeit geleistet. Da der Druck bei einer Heim-WM grösser ist, wird er die Spieler speziell auf die Auftritte vor eigenem Publikum vorbereiten. Die Spieler sollten ja auch nicht übermotiviert sein, denn die Gruppe mit Russland, Deutschland und Frankreich ist keine einfache.

swissinfo: Eine WM ist immer eine Chance für das Gastgeberland, sich im Schaufenster darstellen zu können. Welche Zielsetzungen haben Sie für den Grossanlass?

R.F.: Wir versuchen immer, die Organisatoren zu motivieren, neue Eishallen zu bauen oder Bestehende zu renovieren. Dieses Ziel haben wir in den letzten zehn Jahren praktisch immer erreicht. Auch diesmal: In Bern wurde die Postfinance-Arena völlig erneuert. Auch in Koten wurde investiert. Das ist gut, es war aber auch notwendig.

Auf sportlicher Ebene hoffe ich, dass die WM neuen Schwung in das Schweizer Eishockey bringt, analog zur Fussball-Europameisterschaft 2008 oder der Ski-WM 2003 in St. Moritz.

swissinfo: Eishockey ist weniger populär als Fussball. Sie haben die Champions Hockey League und den Victoria Cup initiiert. Hat der IIHF-Präsident auch neue Ideen für das WM-Turnier?

R.F.: Das aktuelle Format mit 16 Teams sorgt bei den Organisatoren immer wieder für Diskussionen. Sie möchten die Zwischenrunde abschaffen, weil man nicht weiss, wer dort auf wen trifft.

Ein Vorschlag ist die Reduktion auf 14 Teilnehmer, die in zwei Gruppen mit je sieben Mannschaften spielen würden. Die beiden Finalisten müssten in zwei Wochen neun Partien bestreiten, was eindeutig zu viel wäre.

Eine andere Variante wären zwei Sechser-Gruppen. Dies hätte den Nachteil, dass vier Länder weniger teilnehmen könnten, was im Widerspruch zu unserer Aufgabe stünde, Eishockey populärer zu machen.

Ein Beispiel: Ungarn hat sich erstmals für eine WM qualifiziert. Obwohl die Ungaren in der Schweiz Mühe haben werden, herrscht im Land momentan eine richtige Hockey-Euphorie. Genau das ist unser Ziel. Deshalb stehe ich voll hinter dem Modus mit 16 Teams. Die WM bietet Eishockey auf höchstem Niveau, was mit riesigem Zuschauerinteresse honoriert wird.

swissinfo: Nordamerika, sprich die NHL, ist immer noch ein eigener Eishockey-Planet. Wie wollen Sie diesen Graben verkleinern?

R.F. (lachend): Das haben wir in den letzten Jahren geschafft. Unser Ziel ist es, die zwei verschiedenen Welten zusammenbringen. Klar, die Klubbesitzer und die Spielergewerkschaft NHLPA vertreten ihre Interessen.

Wir dürfen nicht vergessen: Die NHL mit ihren 30 Teams erzielt Jahreseinnahmen von zwei Milliarden Dollar! Es spielen also mehr Business-Aspekte mit als sportliche. Dennoch: Die Beziehungen sind relativ gut.

swissinfo: Europas Eishockey ist eine Zweitklassengesellschaft. Russland, Schweden, Finnland und Tschechien bleiben auch in der Vorbereitung unter sich. Die Schweiz misst sich immer mit Deutschland und dem «Lieblingsgegner» Slowakei. Für die Zuschauer wären doch Vergleiche mit den Grossen attraktiver!

R.F.: Sicher. Aber dies zu ändern ist nicht unsere Hausaufgabe, sondern die der Landesverbände.

Es ist wiederum eine finanzielle Frage. Die vier Grossen bestreiten jede Saison untereinander vier Turniere, die beträchtliche Einnahmen generieren. Sie haben nicht so grosses Interesse, gegen die Schweiz, Deutschland oder Frankreich zu spielen.

Eine Idee wären aber beispielsweise ein Europacup für Nationalmannschaften oder eine Europameisterschaft. Ich arbeite daran, mit den Grossen eine Lösung zu finden, die auch den Kleineren dient.

swissinfo: Auf der Eishockey-Weltkarte fehlt bisher China, sonst eine Sport-Grossmacht. Stösst das Reich der Mitte bald zu den Hockeynationen?

R.F.: Gute Frage! Das Potenzial Chinas ist immens. Wenn ich anderen die Frage stelle, wie viele lizenzierte Eishockeyspieler China habe, kommen immer Zahlen in Millionenhöhe. Von den rund 1,3 Milliarden Menschen sind es rund 200. Nicht Millionen, und auch nicht Tausend, sondern Zweihundert!

Von den wahrscheinlich 700 Mio. Chinesinnen haben 62 eine Spielerinnen-Lizenz. Dennoch hat sich das Frauen-Team sehr überraschend für die Olympischen Spiele von Vancouver 2010 qualifiziert.

Wir investieren für das Eishockey in Asien jährlich eine halbe Million Franken. Es braucht vor allem neue Eishallen. Wenn wir dort nur einen kleinen Schritt vorwärts kommen, ist mit China sicherlich zu rechnen.

Harbin bemüht sich um die Winterspiele 2018 oder 2022. Würde es klappen, gäbe das dem chinesischen Wintersport einen unheimlichen Aufschwung.

swissinfo-Interview, Renat Künzi

Vorrunde
Die 16 Teams wurden gemäss Weltrangliste in Vierergruppen eingeteilt. In der Round Robin spielt jeder gegen jeden (drei Matches pro Team). Die ersten drei ziehen in die Qualifikationsrunde ein. Die letzten vier Teams machen die beiden Absteiger aus.

Qualifikationsrunde
Im Titelrennen sind noch zwölf Teams, die in zwei Sechsergruppen eingeteilt sind. Alle Teams müssen in ihrer Gruppe drei weitere Spiele absolvieren.

Viertelfinale
Jeweils die ersten vier Teams pro Gruppe bestreiten nach der Qualifikationsrunde die vier Viertelsfinals. Die beiden letztplatzierten Mannschaften pro Gruppe scheiden aus dem Turnier aus.

Halbfinale
Die Gewinner der Viertelfinals bestreiten die zwei Halbfinals.

Spiel um die Bronzemedaille
Die beiden Verlierer der Halbfinal-Spiele machen im Spiel um die Bronzemedaille den 3. und 4. Rang unter sich aus.

WM-Final
Die Sieger der Halbfinals spielen im Final um den Weltmeistertitel.

Geboren 1950 in Freiburg. Zahnarzt. Verheiratet, vier Kinder.

Eishockey-Spieler (mit Freiburg-Gotteron in der zweithöchsten Liga), danach Karriere als internationaler Schiedsrichter.

1985 wurde er an die Spitze des Schweizerischen Eishockey-Verbandes gewählt.

1994 stieg er zum Präsidenten des Internationalen Eishockey-Verbandes (IIHF) auf.

Im Sommer 2008 wurde René Fasel ins Exekutivkomitee des Internationalen Olympischen Komitees (IOC, eine Art «Weltregierung des Sports») berufen. Dort ist er für die gesamte Sparte Wintersport zuständig.

Damit zählt der Schweizer zu den wichtigsten Vertretern der gesamten Sportwelt.

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