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Der Phönix kriecht aus der Asche

Historische Pressekonferenz: der Zürcher Regierungsrat Ruedi Jeker, die Bundesräte Kaspar Villiger, Moritz Leuenberger und Pascal Couchepin. Daneben Rainer E. Gut und Peter Siegenthaler, Direktor der Schweizerischen Finanzverwaltung. (v.l.) Keystone

Nach dem Grounding liess der Bund Milliarden fliessen, um der Schweiz eine nationale Airline zu erhalten.

Der Erfolg der neuen swiss ist ausschlaggebend für das Urteil über die Bruchlandung vom Oktober 2001: Schuss vor den Bug oder totales Debakel?

Man schrieb den 22. Oktober 2001. Die Schweiz erlebte im Bundeshaus für einmal eine historische Pressekonferenz. Sie sollte nach dem Swissair-Debakel einen Neubeginn in der Schweizer Luftfahrt markieren.

Die Lage war ernst. Nach dem Grounding hingen gleich mehrere Damoklesschwerter über dem Land: Massenentlassungen, die Beerdigung des Hubs Zürich-Kloten, der Ausverkauf des Wirtschafts-Standorts Schweiz.

2 Milliarden Steuergelder

Der Bund stelle insgesamt rund 2 Mrd. Franken Steuergelder zur Verfügung, erfuhr die staunende Öffentlichkeit von Finanzminister Kaspar Villiger. Auf der Basis der Regional-Fluggesellschaft Crossair entstehe eine neue nationale Airline. Diese werde 26 Lang- und 26 Kurzstrecken-Flugzeuge der Swissair sowie 82 Maschinen der Crossair umfassen.

“Viel zu gross für die Schweiz mit ihrem kleinen Heimmarkt!” monierten Aviatik- und andere Spezialisten im In- und Ausland, dieweil die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) sowie liberale Ökonomen gegen den “ordnungspolitischen Sündenfall” verbal zu Felde zogen.

Vergebens: Der so genannte Steuerungs-Ausschuss um Rainer E. Gut stellte im Auftrag des Bundes den Verwaltungsrat für die neue Fluggesellschaft zusammen. Darin war für den damaligen Crossair-Verwaltungsrats-Präsidenten Moritz Suter kein Platz mehr. Ganz zum Leidwesen der Mehrheit der Crossair-Kleinaktionäre, die den Patron als erfolgreichsten Unternehmer aller Zeiten verehrten.

Letzter Vorhang für Moritz Suter

Am 6. Dezember folgte der Showdown in der St. Jakobshalle in Basel. Suter trat nach einer emotionalen Rede überraschend schnell zurück, brandmarkte seine Entmachtung aber als “unnötig, verletzend und masslos ungerecht”. Der neue Verwaltungsrats-Präsident hiess Pieter Bouw, geboren 1941, aus Holland stammend, breite Erfahrung im Airline-Business.

Die neue Fluggesellschaft hatte nun zwar einen neuen Verwaltungsrat. Noch aber fehlte der Name des Kindes. Am 31. Januar 2002 lüftete Konzernchef André Dosé den Schleier über dem bestgehüteten Geheimnis seit Loch Ness: swiss – eine Schöpfung des aus Britannien herbei geeilten Marken-Spezialisten Tyler Brulé.

Ein Abschied mit Wehmut

Zwei Monate später hob die erste swiss-Maschine ab. Die Zeit der alten Swissair war endgültig abgelaufen. Sie hatte ihren Flugbetrieb während der Wintermonate dank der Bundesmilliarden aufrecht erhalten.

Über 4000 Mitarbeitende verabschiedeten sich während einer Feier auf dem Flughafen Zürich-Kloten von Crossair und Swissair. Fähnchen, Filme, Bigband. Das Ende einer Epoche.

Der Wehmut nicht genug: Das Landesmuseum Zürich eröffnete im Mai die Sonderausstellung “Remember Swissair”. Jede Menge Flugzeugmodelle, Kinderzeichnungen, Uniformen, ein Gästebuch für spontane Eintragungen der Besucherinnen und Besucher.

Grossteil der Entlassenen weiter vermittelt

Nach dem Swissair-Grounding erhielten in der Schweiz insgesamt 4900 Angestellte den blauen Brief. Acht Monate später gab das Arbeitsvermittlungs-Zentrum (AMZ) in Zürich bekannt, dass der Grossteil in der Zwischenzeit wieder eine Arbeit gefunden habe. Im Juni waren noch 920 Personen auf Jobsuche.

Offene Brände

Dieweil sich die Situation für die Entlassenen entschärft hat, lodern andernorts nach wie vor offene Brände: So gibt es eine lange Liste von Untersuchungen und Klagen im In- und Ausland im Zusammenhang mit dem Swissair-Debakel. Ausgang ungewiss.

Und auch bei der swiss, die seit April auf ihren Heckflossen das Schweizer Kreuz in alle Welt trägt, gibt es Gordische Knoten, die der Durchtrennung harren. So war es etwa bisher nicht möglich, die unterschiedlichen Kulturen von Swissair und Crossair unter dem Dach der swiss zu einer Einheit zu verschmelzen. Die Ex-Swissair- und Ex-Crossairpiloten liegen sich nach wie vor in den Haaren.

Die Piloten der Crossair fühlen sich gegenüber ihren Kollegen von der einstigen “grossen Schwester” benachteiligt. Ein Unruheherd, welcher den Erfolg der swiss massiv beeinträchtigt.

Weniger rot als budgetiert

Noch immer ist zudem der Beitritt zu einer Allianz unklar. Sie würde der swiss im garstigen Umfeld des internationalen Flugverkehrs ein gewisses Mass an Sicherheit gewähren. Swiss-Chef André Dosé kündigte wiederholt den Beitritt zur Allianz Oneworld mit American Airlines und British Airways an. Es blieb bei den Ankündigungen.

Im September präsentierte die swiss ihre ersten Halbjahreszahlen: ein Verlust von 447 Mio. Franken. Immerhin: Die Zahlen sind weniger rot als budgetiert.

Die swiss will künftlig mittels höherer Flugticket-Preise in die schwarzen Zahlen fliegen – das entscheidende Kriterium dafür, dass der Phönix der Asche auch wirklich entrinnt, aus der er seit knapp einem Jahr zu steigen versucht.

swissinfo, Felix Münger

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