Der Schatten der italienischen Schwarzen Liste
Bundesrat Johann Schneider-Ammann reist am Donnerstag nach Rom. Der Besuch des neuen Wirtschaftsministers bei seinem Amtskollegen Paolo Romani fällt in eine schwierige Zeit. Italien hat Handelshemmnisse aufgebaut, weil die Schweiz als Steuerparadies betrachtet wird.
Laut offizieller Mitteilung werden die bilateralen wirtschaftlichen Beziehungen und die KMU-Politik in der Schweiz und in Italien im Vordergrund der Gespräche stehen. Schneider-Ammann hat die Beziehungen der Schweiz zu ihren Nachbarländern zur ersten Priorität erklärt. Italien ist nach Deutschland der zweitwichtigste Handelspartner der Schweiz innerhalb der EU.
Obwohl die beiden Länder eng verbunden sind, gestaltet sich das wirtschaftliche Zusammenleben nicht leicht. In jüngster Zeit hat Italien sogar neue bürokratische Hürden aufgebaut, welche die Tätigkeit von Schweizer Unternehmungen in Italien massiv erschweren.
Seit 1. Juli ist ein Gesetz in Kraft, wonach Unternehmungen mit Domizil in Steuerparadiesen, die Waren oder Dienstleistungen im Rahmen einer Ausschreibung nach Italien liefern wollen, einer Bewilligungspflicht unterstehen. Für Italien ist die Schweiz nach wie vor ein Steuerparadies. Daher figuriert sie auf einer so genannten Schwarzen Liste.
Black List als grösstes Problem
Diese Massnahme sorgt für viel böses Blut. Denn sie stellt de facto ein gravierendes und neues Handelshemmnis in den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Nachbarländern dar. Schweizer Firmen müssen nachweisen, dass sie in der Schweiz ordentlich versteuern und nach Italien entsprechende Daten liefern.
«Die Schwarze Liste ist zur Zeit unser grösstes Problem mit Italien», sagt denn auch Botschafterin Monika Rühl Burzi, Delegierte des Bundesrates für Handelsverträge und Leiterin Bilaterale Wirtschaftsbeziehungen im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco).
Sie verlangte Anfang dieser Woche bei einem Treffen in Como mit Vertretern des italienischen Wirtschaftsministeriums, diese Massnahmen umgehend aufzuheben. «Sie sind störend, beunruhigend, diskriminierend und überflüssig», erklärte sie nach dem Treffen gegenüber swissinfo.ch. Sie hält diese Massnahmen für unvereinbar mit den bilateralen Verträgen zwischen der Schweiz und der EU.
Italiener pochen auf Doppelbesteuerungsabkommen
In Italien sieht man das natürlich anders. «Sobald ein neues Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen ist, wird die Schweiz automatisch von der Black List gestrichen», betonte Amadeo Teti, Generaldirektor für internationale Handelspolitik im italienischen Ministerium für Wirtschaftsentwicklung.
Die ergriffenen Massnahmen seien «nicht diskriminierend gegen die Schweiz», sondern beträfen alle 70 Länder, mit denen Italien über kein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) verfüge. Es handele sich um einen Automatismus. Unbeantwortet liess er die Frage, ob dadurch nicht die bilateralen Verträge verletzt würden.
Für die Aushandlung eines neuen Doppelbesteuerungsabkommens sind allerding nicht die Wirtschafts-, sondern die Finanzministerien zuständig. Zwischen der Schweiz und Italien sind die Verhandlungen festgefahren; der Zeitpunkt eines Abschlusses eines neuen DBA steht in den Sternen.
Kein automatischer Informationsaustauch?
Allerdings scheint Bewegung in das Dossier zu kommen. «Wir wollen ein Doppelbesteuerungsabkommen, wie es die Schweiz mit Frankreich ausgehandelt hatte», sagte Teti diese Woche. Dies bedeutet konkret einen Verzicht auf die bisherige Forderung nach einem automatischen Informationsaustausch.
Mit Frankreich wurde 2009 im Rahmen der DBA-Revision eine erweiterte Amtshilfe und ein Informationsaustausch nach OECD-Standard vereinbart. Das heisst: Information auf Anfrage, nicht automatisch.
Schweizer Teilnehmer des Gipfeltreffens in Como reagierten denn auch positiv auf diese Nachricht. Denn die Schweizer wehren sich gegen den automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen, um das Bankgeheimnis zu retten.
Die Ankündigung aus dem Wirtschaftsministerium muss aber mit Vorsicht genossen werden. In Italien gibt es momentan eine Regierungskrise und selbst Neuwahlen scheinen nicht ausgeschlossen. Eine neue Regierung könnte wieder am automatischen Informationsaustausch festhalten wollen.
Italien ist der zweitwichtigste Handelspartner der Schweiz. Es ist der dritte Exportmarkt und der zweite Zulieferer.
2009 hat die Schweiz laut Seco Güter im Wert von CHF 18,0 Mrd. aus Italien importiert und Waren im Wert von CHF 15,8 Mrd. exportiert.
Nachdem der Handel zwischen den beiden Ländern 2009 aufgrund der Wirtschaftskrise um 16% eingebrochen war, ist er im laufenden Jahr dabei, sich zu erholen: Zwischen Januar und September 2010 haben die Exporte nach Italien im Vergleich zur Vorjahresperiode um 3,2% zugenommen und die Importe aus Italien um 4,9%.
Auch bezüglich Direktinvestitionen spielt Italien eine wichtige Rolle.
Ende 2008 beliefen sich die Schweizer Gelder in Italien auf CHF 22 Mrd. und finanzierten 78’200 Arbeitsplätze, womit die Schweiz der sechstgrösste ausländische Investor in Italien ist.
Gleichzeitig investierte Italien rund CHF 6 Mrd. in der Schweiz und sicherte damit 13’700 Arbeitsplätze, was Italien zum neuntgrössten ausländischen Investor in der Schweiz macht.
Die Schwarze Liste, auf der die Schweiz als Steuerparadies fungiert, ist nur eines der zahlreichen bilateralen Probleme.
Dies zeigte die Traktandenliste von Como.
Da ging es von spezifischen Zollfragen bis zu erhöhten Landegebühren für Swiss-Flugzeuge und Dumping-Löhnen bei entsandten Arbeitnehmern in die Schweiz.
Umgekehrt wurden aber auch neue Möglichkeiten der Kooperation und Zusammenarbeit geprüft, von der Einrichtung eines Ablegers der italienischen Industrie- und Handelskammer in Lugano bis zur Weltausstellung Expo 2015 in Mailand.
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