Der schmerzhafte Abstieg des Hugo Koblet
So schnell Hugo Koblet den Radsport-Olymp erklomm, so schnell setzte seine Talfahrt ein. Der 81-jährige ehemalige Radioreporter Sepp Renggli erinnert sich.
Eine Dopingspritze, damals legal, machte aus der personifizierten Noblesse im Sattel eine Leidensfigur – Teil II.
«Koblets Stil war Superklasse, ich habe nie jemanden gesehen, der auf dem Velo so elegant gewirkt hat», kommt Renggli noch heute ins Schwärmen. «Er fuhr mit spielerischer Eleganz, sein runder Tritt war einzigartig.» Die historischen Fotos sprechen Bände: Während Koblet selbst in den steilsten Pässen entspannt wie auf einer Trainingsfahrt wirkt, sind die Gesichter der Konkurrenten an seinem Hinterrad zu Grimassen verzogen.
Dann das Kobletsche Eitelkeits-Ritual: «Wenn er solo ankam, machte er vor oder nach dem Ziel schnell Toilette, reinigte sich mit einem nassen Schwamm das Gesicht, zückte den Kamm und brachte die Frisur in Ordnung», erzählt Sepp Renggli. Der «Pédaleur de charme» wusste, was er Fotografen, Ehrendamen und der Welt schuldig war.
Koblets Horizont hörte nicht an der nächsten Kurve auf. Er liebte elegante Kleidung, Jazz, feines Essen und amerikanische Wagen. Und die schönen Frauen liebten ihn. Aber obwohl ein Star, hat der Zürcher aus dem Arbeiterquartier Aussersihl die Bodenhaftung nicht verloren.
Die Solidarität zu seinen Helfern war sprichwörtlich. 1954 überliess er gar seinem Domestiken, dem Tessiner Carlo Clerici, den Sieg im Giro und begnügte sich mit dem Ehrenplatz. Renggli hat ihn über all die Jahre so gesehen: «Er hat sich in allen Gesellschaftsschichten souverän bewegt. Er hatte gute Manieren und war ein freundlicher und angenehmer Typ.»
Kaputt- statt «fit»-gespritzt
Das Verhängnis nahm nur einen Sommer später seinen Anfang: An der Tour de Suisse 1952 ist Koblet das Aushängeschild, als er krank wird. Der offizielle Tour-Arzt spritzt ihn auf Geheiss des Renndirektors «fit», mit einer Ampulle des aggressiven Amphetamins Akzedron. Doping, das damals im Unterschied zu heute legal war.
Koblet zahlt einen hohen Preis: Kollaps und Aufgabe in der nächsten Etappe. Was schlimmer war: Er trägt einen irreversibler Herzschaden davon. 20% des gepumpten Blutes fliesst durch kaputte Herzklappen gleich wieder zurück statt in die schwer arbeitenden Muskeln.
Die Spritze habe ihn zehn Jahre seines Lebens gekostet, wie er sich einmal gegenüber Renggli geäussert hatte. Koblet kehrte später zwar wieder zum Siegen zurück, aber die Unwiderstehlichkeit der beiden Sommer 1950/51 war für ewig vorbei.
Sorgloses Verhältnis zu Geld
1958, nach drei erfolgreichen Jahren als Bahnfahrer, steigt Koblet endgültig vom Rad. Der Einstieg ins Berufsleben – mit einem Intermezzo als Vertreter in Venezuela – misslingt. In der Lebensschule Radrennsport, der er so vieles verdankte, hatte Koblet eines nie gelernt: Den Umgang mit Geld.
«Er war zu grosszügig, hat vielen Leuten vertraut, die nur Geld von ihm wollten», schildert Renggli. Die Säumigen an ihre Zahlungspflichten zu erinnern, das brachte der gutmütige Koblet nicht übers Herz.
Brillanter Analyst
Reporter Renggli gibt dem Strauchelnden eine Chance – als Ko-Kommentator des Schweizer Radios bei grossen Radrennen im In- und Ausland.
Bei seinem «Frontwechsel» brilliert der ehemalige Champion noch einmal: «Koblet war ein hervorragender Analyst, vergleichbar nur mit Bernhard Russi bei den heutigen Ski-Übertragungen», so das Urteil des Reporters. Mit seinem guten Auge, seiner rhetorischen Begabung und seinen exzellenten Fremdsprachenkenntnissen sei Koblet die Idealbesetzung gewesen.
Zwischen den Beiden entstand eine Freundschaft, die aber auf die gemeinsame Radio-Arbeit beschränkt geblieben sei. Ihr letzter gemeinsamer Einsatz waren die Bahnweltmeisterschaften 1964. Dann kam der Unfall. Zwar war sich Renggli der Probleme Koblets bewusst, doch an Selbstmord mochte er anfänglich nicht glauben.
«Der Chef der Verkehrspolizei des Kantons Zürich hat mir dann später gesagt, dass Koblet einen Abschiedsbrief hinterlassen habe, in dem mein Namen stehe – als einer der letzten ihm verbliebenen Freunde.» Manchmal hatte er noch einen Blumenstrauss unter den Birnbaum gelegt. Dann wurde dieser gefällt – weil er keine Früchte mehr trug.
swissinfo, Renat Künzi
Hugo Koblets Sieg an der Tour de France 1951 gilt als der grösste Triumph in der Geschichte des Schweizer Radsports.
Der Bäckerssohn aus dem Zürcher Arbeiterquartier Aussersihl avancierte damit zum ersten internationalen Sportstar der Schweiz.
Dies auch wegen seiner bis heute unerreichten Eleganz auf dem Rennvelo.
Eine Dopingspritze machte Koblets Herz dermassen kaputt, dass dieser nie mehr die Form von 1950/51 fand.
Nach seinem Rücktritt 1958 schaffte er den Übergang ins Leben «danach» nicht.
Koblet starb 1964 im Alter von 39 Jahren nach einem Autounfall. Er hinterliess einen Abschiedsbrief.
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