Der Triumph der Aktionäre
Die Schweizer Presse ist sich einig: Die Aktionäre haben in einer historischen Abstimmung der Grossbank UBS die Leviten gelesen. Doch mehrere Kommentatoren haben Zweifel, ob die Ex-UBS-Manager eines Tages wirklich vor Gericht kommen könnten.
Von «UBS-Führung in der Zwickmühle» über «Sieg in der Niederlage», «Schuss vor den Bug» und «Votum für neue UBS» bis «Der Mut der Aktionäre» titeln die Schweizer Zeitungen am Donnerstag.
Am Tag zuvor hatten die Aktionäre der Schweizer Grossbank UBS das desaströse Geschäftsjahr 2007 der Bank nicht hingenommen und der damaligen Führung um Marcel Ospel die Entlastung verweigert – eine Premiere.
«Ein Beispiel dafür, dass die angeblich zu schwach entwickelte Aktionärsdemokratie auch im bestehenden gesetzlichen Rahmen funktionieren kann – und das sogar sehr differenziert», schreibt die Neue Zürcher Zeitung.
Dass die Aktionäre die letzten beiden Jahre abgesegnet hätten, zeige, dass diese Kaspar Villiger und CEO Oswald Grübel zutrauten, «dass sie das Institut wieder nachhaltig auf Kurs bringen».
«Obwohl – oder gerade weil – die Verweigerung der Décharge weitgehend symbolischen Charakter hat, wird der UBS-Verwaltungsrat daher gut beraten sein, nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen», so die NZZ.
Der Verwaltungsrat werde den beschlossenen Verzicht auf eine Klage gegen die nicht entlasteten Mitglieder der früheren Führungsmannschaft nun noch einmal überprüfen müssen. «Der Verwaltungsrat steht hier als Diener der Aktionäre in der Pflicht.»
Schlussstrich ziehen?
Ganz ähnlich sieht es der Kommentator in Tages-Anzeiger und Der Bund: Die verweigerte Decharge für Ospel und Co. «ist ein Triumph für die Aktionärsdemokratie in der Schweiz». Beide Zeitungen zeigen denn auch Karikaturen, auf denen die Aktionäre den gegenwärtigen Chefs ihre Vorgänger entgegenwerfen, respektive Ospels Kopf auf einem Silbertablett präsentieren.
An der Generalversammlung in Basel sei aber auch etwas anderes passiert: «Die versammelten Aktionäre haben dem aktuellen Management und auch Kaspar Villiger für 2009 das Vertrauen ausgesprochen.»
Nun sei die neue Führungsriege aber gut beraten, noch einmal zu überlegen, ob sie nicht doch Verantwortungsklagen gegen die ehemaligen Manager vorbereiten sollte, «damit die GV 2010 für die UBS wirklich zum Schlussstrich wird».
Mehr als nur ein Zeichen?
«Das ist in der neusten Wirtschaftsgeschichte noch nie geschehen», schreibt die Westschweizer Zeitung 24 heures. «Mehr als die Hälfte der Aktionäre haben den ehemaligen Chefs die Absolution verweigert.»
Die Lausanner Zeitung konstatiert: «Sie haben es gewagt, sie sind alle gekommen, die Ethos, die Actares und andere ethisch geführte Fonds. Zusammen haben sie ein ganzes Volk von Kleinaktionären und angelsächsischen Grossinvestoren um eine vernichtende Wahrheit versammelt: Jene, die dies verantwortet haben, kommen nicht ungeschoren davon.»
Le Matin macht sich keine Illusionen: Dieser «Schluckauf aus Völlegefühl» der Aktionäre, die sich abreagierten gegen «die Arroganz und das abartige Verhalten der Bankiers».
Die Zeitung sieht auch «eine Form der Gruppentherapie», die riskiere, ohne Folgen zu bleiben. «Der Prozess gegen Ospel und Co. wird nicht morgen und vermutlich nie durchgeführt. Nur die Bank allein hätte die Mittel, dies anzufachen, und alles deutet darauf hin, dass sie keine Lust darauf verspürt.»
Verwaltungsräte unter der Lupe
Es sei kaum damit zu rechnen, vermutet auch der Kommentator der Aargauer Zeitung und der Neuen Luzerner Zeitung. «Der UBS-Verwaltungsrat wehrt sich immer noch mit Händen und Füssen gegen eine Klage. Es wäre eine grosse Überraschung, wenn er sich vom gestrigen Resultat erweichen liesse.»
Trotz allem sei die Abstimmung «mehr als nur ein symbolisches Ereignis, von dem schon in Kürze niemand mehr reden wird». Erstmals seien «Manager einer Schweizer Grossfirma nämlich von den Aktionären in die Schranken gewiesen worden. Es war höchste Zeit für diesen Schuss vor den Bug.»
Seit Mittwoch nämlich müsse sich in der Schweiz jeder Verwaltungsrat überlegen, «welche Sonderprivilegien er dem Management zuschanzen will. Treibt er es zu bunt, riskiert er heftige Opposition, vielleicht gar eine Abfuhr».
Symbolischer Akt
Die Regel, dass Aktionärsversammlungen «reine Alibiveranstaltungen» seien, wurde am Mittwoch «in einem symbolträchtigen Akt gebrochen», schreibt die Berner Zeitung.
Auch wenn die direkten rechtlichen Folgen dieses Akts marginal seien, dürfe man dessen Symbolkraft nicht unterschätzen: «Das Nein erhöht massiv den Druck auf die heutige UBS-Führungscrew, die Möglichkeit von Verantwortlichkeitsklagen gegen Marcel Ospel und Co. nochmals zu prüfen. Und die UBS täte gut daran, diese Klage auch tatsächlich einzureichen. Die Erfolgsaussichten sind zwar gering; in Sachen Glaubwürdigkeit kann die Bank aber nur gewinnen.»
Vertrauen zurückgewinnen
Die Tessiner Zeitung La Regione sieht im Votum vom Mittwoch ein «politisches Zeichen», auch wenn «es praktisch unmöglich ist, dass einer der Ex-Bosse eines Tages vor einem Gericht erscheinen sollte».
Auch wenn die Rückkehr in die schwarzen Zahlen laut der Regione «diesen Coup der kleinen Aktionäre mit der Zeit schmälern kann, ist die grosse Bank noch nicht im Trockenen, und das verlorene Vertrauen wieder aufzubauen, bleibt die schwerste Aufgabe für die derzeitige Führung.»
Villiger in der Kritik
Die rote Karte vom Mittwoch wertet Le Temps als «scharfe Missbilligung» für Kaspar Villiger. «Die Aufgabe des Bankpräsidenten ist es, die politischen Dossiers wie jenes der Décharge oder der Abstimmung über den Vertrag mit Washington zu regeln, während der CEO die Geschäfte wieder auf Kurs bringen muss. Der alt Bundesrat hat daher versagt.»
Für die Genfer Zeitung sind die Auswirkungen der nicht erteilten Decharge deshalb auch politisch: «Sie wird die Unterstützung für die Initiative Minder (gegen Lohn-Exzesse) verstärken. Wie sie auch Finanzminister Hans-Rudolf Merz dazu zwingen könnte, eine Steuer auf Boni vorzubereiten. Das wäre ein Paradigmenwechsel.»
«Schluss mit ‹Schwamm drüber'», schreibt schliesslich der Blick und gibt im Kommentar gleich die Marschrichtung vor: «Was Villiger jetzt tun muss.»
«Eine neue Untersuchung anordnen. Mit einem unabhängigen Team von aussen. Möglichst mit einem prominenten, glaubwürdigen Kopf. Und am Ende verschwindet der Bericht nicht wie all die bisherigen in der Schublade, sondern wird veröffentlicht. Damit wir nachlesen können, warum angeblich niemand schuld ist.»
Christian Raaflaub, Pierre-François Besson, Daniele Mariani, swissinfo.ch
Kaspar Villiger, seit 1 Jahr VR-Präsident, ist mit 96% der Stimmen wiedergewählt worden – trotz kritischen Stimmen im Vorfeld.
Sämtliche Verwaltungsratsmitglieder, deren Wiederwahl anstand, wurden deutlich wiedergewählt.
Neu im UBS-VR Einsitz nehmen wird der Lufthansa-
Konzernchef Wolfgang Mayrhuber. Er erhielt 89,24% der Stimmen.
UBS: Die Grossbank gehörte weltweit zu den am stärksten von der Finanzkrise betroffenen Instituten.
Besonders schwach war ihre Position im amerikanischen Risikokreditbereich.
Verluste: Das Geschäftsjahr 2008 endete in einem historisch einmaligen Verlustloch von 20 Mrd. Franken. 2007 waren es 5,2 Mrd., 2009 betrug der Verlust 2,74 Mrd.
Staatliche Rettung: Der Bund hat in Form einer Wandelanleihe 6 Mrd. Franken Kapital in die UBS investiert. Und die Nationalbank wurde beauftragt, die ‹toxischen› Papiere der UBS vorläufig zu übernehmen.
PUK: Wie hat der Bundesrat als Regierung das UBS-Debakel gemanagt? War die Kontrolle über die UBS genügend? Wurde die Finanzmarktkontrolle Finma ihrer Rolle gerecht?
Auf all diese Fragen könnte eine Parlamentarische Untersuchungskonmission (PUK) Antworten geben. Ob sie eingesetzt wird, wird frühestens im Sommer entschieden.
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