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Dialog: Ja – aber keine Verhandlungen

Bundespräsidentin Calmy-Rey mit Finanzminister Merz an der Medienkonferenz in Bern. Keystone

Die Schweizer Regierung ist im Steuerstreit mit der Europäischen Gemeinschaft nur bereit zu reden, nicht aber für Verhandlungen. Diese Haltung hat der Bundesrat bekräftigt.

Kein Vertrag verpflichte die Schweiz, so der Bundesrat, ihre Unternehmensbesteuerung der EU anzupassen. Deshalb gebe es auch nichts zu verhandeln.

Auch zwei Tage, nachdem der EU-Ministerrat das Verhandlungsmandat in der Steuerangelegenheit verabschiedet hatte, lehnt der Bundesrat Verhandlungen ab. Es sei offen, welche Änderungen die EU genau von der Schweiz verlange, sagte Finanzminister Hans-Rudolf Merz am Mittwoch vor den Bundeshausmedien.

Was man wisse, sei, dass es sich um eine wirtschaftlich bedeutende Angelegenheit handle. Es gehe um etwa 20’000 in- und ausländische Holdings mit einem gesamten Steueraufkommen, das schätzungsweise 7 Mrd. Franken einbringe.

«Wenn man dieses jetzt aufhebt, dann hätten wir ein grösseres finanzpolitisches Problem», sagte Merz. Er rechne aber keinesfalls damit, dass diese Unternehmen abwandern würden in die EU, sie würden sicher Off-shore-Plätze suchen.

Steuersouveränität wahren

Der Bundesrat habe am Mittwoch seine Interessen definiert: Für den Bund und die Kantone sei der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Schweiz von zentraler Bedeutung. Dieses Interesse gelte es zu verteidigen.

Ausserdem müsse die Schweiz ihre Steuersouveränität wahren. Sie wolle in dieser Frage nicht in die EU eingebunden werden. Die Schweiz habe aber auch ein Interesse, dass der Weg des Bilateralismus fortgesetzt werden könne, bisherige Verträge sollten nicht gefährdet werden.

In der Frage der Holding-Besteuerung gebe es keine Verhandlungen auf der Basis des Freihandelsabkommens, sagte Merz weiter. Doch es werde einen Dialog geben. Der Bundesrat habe das Finanzministerium (EFD) beauftragt, den Dialog vorzubereiten. Dieser werde zu gegebener Zeit aufgenommen.

Die EU hatte der Schweiz vorgeworfen, das Freihandelsabkommen zu verletzen und durch unerlaubte staatliche Beihilfen den Wettbewerb zu verzerren.

Vertragliche Verpflichtungen einhalten

Die Schweiz stehe zu ihren vertraglichen Verpflichtungen und tue das Nötige, um die Verträge effizient umzusetzen und anzupassen, sagte auch Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey. Dies erwarte sie aber auch von der EU – das gelte auch beim Freihandelsabkommen.

Der Bundesrat werde nach Erhalt des Verhandlungsmandats dessen Inhalt genau prüfen. «Es muss sich nun weisen, ob die klare Haltung der Schweiz zur Kenntnis genommen wurde», so die Aussenministerin.

«Die Schweiz hat den Dialog mit der EU nie verweigert. Die EU hat es nun in der Hand, dass der Dialog so geführt werden kann, dass Resultate in beidseitigem Interesse erzielt werden können.» Calmy-Rey betonte, dass die Differenzen im Steuerstreit das Fundament der Beziehung nicht belasten sollen.

EU-Botschafter begrüsst Gesprächsbereitschaft der Schweiz

Der EU-Botschafter in Bern, Michael Reiterer, begrüsst die Gesprächsbereitschaft der Schweiz im Steuerstreit mit der EU. Dass der Bundesrat offiziell signalisiert habe, mit der EU-Kommission über das Problem reden zu wollen, sei richtig. Er nehme das zur Kenntnis.

Dass Finanzminister Hans-Rudolf Merz Verhandlungen mit der EU ausschloss, wollte Reiterer nicht konkret kommentieren. «Wir haben gesagt, dass wir mit der Schweiz reden wollen», sagte Reiterer. «In einer ersten Phase wollen wir nicht ‹tricky› sein, was nun ein Gespräch ist und was nicht, was eine Verhandlung ist und was nicht.»

swissinfo und Agenturen

Für die EU-Kommission stehen die Steuerprivilegien, die gewisse Schweizer Kantone ausländischen Unternehmen gewähren, im Widerspruch zum Freihandelsabkommen von 1972 zwischen der Schweiz und der EU.

Die Schweiz vertritt die Haltung, die Steuervergünstigung gewisser Kantone für Auslandgeschäfte von Holdings, Verwaltungsgesellschaften und gemischten Gesellschaften falle nicht unter das Freihandelsabkommen.

Im September 2005 beanstandet die EU-Kommission in einem Brief nach Bern die Steuerpraktiken in den Kantonen Zug und Schwyz.

Im Juli 2006 verschärft Kommissionspräsident José Manuel Barroso den Ton: Die Steuerpraxis einiger Kantone verstosse gegen die Regeln des EU-Binnenmarktes.

Im November 2006, nach der Zustimmung des Schweizer Stimmvolkes zur Kohäsionsmilliarde für die neuen EU-Staaten, droht der Generaldirektor für Aussenbeziehungen der EU, die Kommission werde ein Dokument an alle EU-Staaten verschicken, das die Schweiz auffordert, sich den EU-Regeln anzupassen.

Im März 2007 wirft Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey der EU schlechten Stil und inakzeptable Forderungen im Steuerstreit vor.

Ende April 2007 kündigte Finanzminister Hans-Rudolf Merz eine Reform der Unternehmensbesteuerung an, mit dem Ziel, die Gewinnsteuern zu senken.

Am 24. April 2007 einigen sich die Fachdiplomaten der EU auf ein Verhandlungsmandat für die EU-Kommission, das der Ministerrat am 14. Mai offiziell verabschiedet.

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