Die Deutschen kommen, und sind willkommen
Die Schweiz hat die USA als Lieblingsziel auswanderungswilliger Deutscher überholt. In Deutschland ist die Arbeitslosigkeit hoch, die Schweiz punktet mit hohen Löhnen und hoher Lebensqualität.
Auf dem ausgetrockneten Schweizer Arbeitsmarkt sind die gut ausgebildeten Deutschen sehr willkommen. Die Tendenz birgt mittelfristig aber auch Risiken.
14’409 Deutsche waren es genau, die sich letztes Jahr in der Schweiz niederliessen. Somit hat der kleine südliche Nachbar erstmals den bisherigen Spitzenreiter USA überholt, was die Gunst der deutschen Auswanderer betrifft.
Mittlerweile leben über 160’000 Deutsche in der Schweiz. Ob als Bosse von Grossunternehmen (z.B. Oswald Grübel bei der Credit Suisse oder Carsten Schloter bei Swisscom), in Ärzteteams an Spitälern, als Lehrende an Hochschulen, als gut qualifiziertes Fachpersonal in Forschungslabors, als Intendanten an Theaterhäusern oder im Gastgewerbe und auf dem Bau: Überall leisten die Deutschen geschätzte Arbeit.
Die Gründe dafür: Sie verfügen über Know-how, sind sehr gut ausgebildet und in ihrem Heimatland oft nicht gefragt. Im Juli lag die Arbeitslosigkeit in Deutschland bei knapp 12%.
Dort hohe Arbeitslosigkeit – hier Mangel an Fachkräften
In der Schweiz lag die Arbeitslosigkeit im Juli auf dem Tiefstand von 3,1%. Während der deutsche Wirtschaftsmotor seit Jahren stottert, zeigt die Wachstumskurve der Schweizer Wirtschaft weiter nach oben, wenn auch leicht abgeflacht.
«Läuft die Wirtschaft bei uns gut, finden die Unternehmen in der Schweiz kein Personal mehr und müssen deshalb im Ausland rekrutieren», sagt Charles Bélaz, Generaldirektor des Stellenvermittlers Manpower Schweiz, gegenüber swissinfo.
Diese Tendenz wird demographisch akzentuiert, indem immer weniger junge Schweizer auf den Arbeitsmarkt nachstossen.
Gutes Leben
Was Bélaz über die Chemie- und Pharmabranche sagt, wo renommierte Unternehmen mit attraktiven Arbeitsplätzen locken, hat generelle Gültigkeit: «Die Löhne in der Schweiz sind höher, aber auch die Nebenkosten.»
Ralf Bopp von der Handelskammer Deutschland-Schweiz sieht weitere Pluspunkte: Höhere Kaufkraft und gute Lebensbedingungen.
Nicht nur für Personen, auch für deutsche Unternehmen ist die Schweiz ein gefragter Standort, dank besseren steuerlichen Rahmenbedingungen, guter Infrastruktur und höherer Produktivität.
Kein Abwehr-Reflex
Als die Schweiz in der Hochkonjunktur der 1960er-Jahre Arbeiter aus Italien holte, um den Motor in Schwung zu halten, wollten selbsternannte Bewahrer schweizerischer Werte mit mehreren Überfremdungs-Initiativen die «Fremdarbeiter» aus dem Land bugsieren.
Solch rabiate Versuche zur Abwehr sind gegen die Zuwanderer aus dem Norden nicht in Sicht. Bei der Integration von Deutschen gibt es laut Eidgenössischer Ausländerkommission keine Probleme. Sie hätten die gleichen Lebensbedingungen erlebt und würden die gleiche Sprache sprechen, wenn auch nicht Dialekt.
Auch den Gewerkschaften sind grössere Spannungen unbekannt. Wegen des Personalengpasses, besonders ausgeprägt im Gesundheitswesen, gebe es kaum Konkurrenz um Arbeitsplätze, so der Sprecher eines Personalverbandes.
Brachliegendes Potenzial nutzen
Die Schweiz kann und soll sich aber nicht zu stark auf die Beiträge der Deutschen zur Mehrung des Brutto-Inlandprodukts der Schweiz verlassen, stimmen der Stellenvermittler Bélaz und der Standortförderer Bopp überein.
Weil die Entwicklung der Alterstrukturen ähnlich verlaufe, sei in fünf bis zehn Jahren fast überall mit einem Manko an qualifiziertem Personal zu rechnen, so der Manpower-Chef.
Um die Lücken zu schliessen, muss die Schweiz laut Charles Bélaz drei Potenziale ausschöpfen: Ältere Mitarbeiter länger im Arbeitsprozess behalten sowie bessere Bedingungen schaffen für den Wiedereinstieg von Frauen und Menschen mit Teilinvalidität.
Ralf Bopp erwartet nicht, dass sich die Schweiz lange auf den Lorbeeren als beliebtestes Auswanderungsland der Deutschen ausruhen kann. «Der Trend zeigt Richtung europäischem Wettbewerb um die besten Köpfe», sagt der Deutsche, der seit 16 Jahren in der Schweiz lebt. Die Player in diesem Markt mit dem Gut Know-how: Zürich, Genf, München, Stuttgart, Frankfurt, Wien, Lyon, Paris und London.
swissinfo, Renat Künzi
Ende 2004 lebten gut 1,6 Millionen Ausländer in der Schweiz.
Dies entspricht einem Anteil von 21,8 % an der Gesamtbevölkerung.
Davon sind rund 820’000 Ausländerinnen und Ausländer auf dem Arbeitsmarkt integriert.
Deutsche Top-Manager in der Schweiz: Oswald Grübel, Credit Suisse; Jasmin Staiblin und Jürgen Dormann, ABB; Roland Lösser, Clariant, Carsten Schloter, Swisscom.
Weitere Bereiche mit starker deutscher Präsenz:
Hochschulen (über 500 deutsche Professoren), akademischer Mittelbau, Spitalärzte, Pharma-Forschung, Informatik sowie Theaterbereich.
Facharbeiter im Gewerbe und auf dem Bau.
Von den 144’815 Deutschen, die 2005 ihre Heimat verliessen, kamen 14’409 oder 10% in die Schweiz.
Mitte 2006 lebten über 162’000 Deutsche in der Schweiz. Ihre Zahl hat sich seit 2002, als das bilaterale Abkommen über die Personenfreizügigkeit mit den Ländern der Europäischen Union (EU) in Kraft trat, fast verdoppelt.
Die Schweiz ist auch bei deutschen Studenten beliebt: 2004 waren knapp 7000 oder 10,3% der im Ausland studierenden Deutschen an Schweizer Unis eingeschrieben.
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