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Die Label-Flut stiftet Verwirrung

Dafür bezahlen Konsumenten gerne mehr: Mutterkuh mit ihren Kälbern auf einer Bündner Alp. Keystone

In der Schweiz sorgen die unzähligen Lebensmittel-Label nicht nur für Verwirrung bei den Konsumenten. Das Fehlen eines einheitlichen Bio-Labels erschwert auch den Export in die EU.

Ein Bericht nimmt den Schweizer Label-Dschungel kritisch unter die Lupe.

Label-Produkte liegen im Trend: Immer häufiger greifen Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten tiefer in die Tasche, um Lebensmittel zu kaufen, die mit einem speziellen Gütesiegel ausgezeichnet sind.

Welchen Mehrwert sie sich damit aber tatsächlich erwerben, ist häufig unklar, denn die Vielzahl an Labels verursacht eher Konfusion als Klarheit. Allein im Lebensmittelbereich existieren in der Schweiz weit über zwanzig Labels, an die unterschiedliche und oft wenig durchschaubare Bedingungen geknüpft sind.

Die vier führenden Umwelt-, Konsumenten- und Tierschutzorganisationen der Schweiz (WWF, Stiftung für Konsumentenschutz, Fédération romande des consommateurs und Schweizer Tierschutz) haben es sich nun zur Aufgabe gemacht, den überforderten Verbrauchern einen kritischen Überblick zu verschaffen. Herausgekommen ist ein 62 Seiten langer Bericht, in dem die gängigsten Labels detailliert bewertet werden.

Bio-Labels sind zuverlässig



Am besten schneiden die Bio-Labels ab, und dies sowohl bei den tierischen als auch bei den pflanzlichen Produkten. Sie erfüllen strenge Umwelt- und Tierschutzkriterien und gehen alle über die seit 1998 gesetzlich vorgeschriebenen Mindestnormen für Bioprodukte hinaus.

Durchgefallen sind dagegen eine Reihe bekannter Labels wie das Gemüse- und Obst-Label IP, das Fischlabel Dolphin Safe und die vier Fleisch-Gütesiegel Swiss Prim, Bell Natura, IP Suisse und 7-Punkte-Garantie der Migros.

Ein Label müsse gegenüber dem gängigen Standard der Schweizer Landwirtschaft einen klaren Mehrwert bieten, meinen die Konsumentenschützer.

Diesen Anspruch erfüllten die kritisierten Labels nicht, da sie kaum über die Vorschriften des Ökologischen Leistungsnachweises (ÖLN) hinausgingen. Den ÖLN müssen die Bauern erfüllen, um Direktzahlungen zu erhalten.

Viele Labels überflüssig



Die Umwelt- und Konsumentenverbände erklären denn auch, dass eine beachtliche Zahl der heutigen Labels überflüssig seien und eine Vereinheitlichung zur Klärung der unübersichtlichen Lage beitragen würde.

Doch Produzenten und Grossverteiler zeigen bisher wenig Interesse an einer solchen Bereinigung, vielmehr werden immer neue Labels kreiert, ohne dass die qualitativen Anforderungen an die Produkte wesentlich erhöht werden.

Es stelle sich die Frage, meinen die Konsumenten-Verbände, ob der Handel bewusst einen «Labelsalat» produziere. Dies im Wissen um den beschränkten Kenntnisstand der Konsumenten und um das allgemeine Vertrauen der Käufer in Label-Produkte.

Die Situation ist für die Verbraucher zwar ärgerlich, doch will niemand deshalb die Politik zu Hilfe rufen. Allgemein herrscht die Meinung, dass die Lancierung eines neuen Labels nicht Aufgabe des Staates sei, da Labels Marketing-Instrumente sind und nicht gesetzliche Vorschriften.

Abgelehnt wird auch eine stärkere Regulierung der Produktions-Methoden: Ein entsprechender Vorstoss im Nationalrat, der klare gesetzliche Bestimmungen etwa für Freilandhaltung verlangte, wurde deutlich abgelehnt.

EU schafft einheitliches Label



Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass auch innerhalb der EU ein beachtlicher Label-Dschungel besteht. Jedes Land hat diverse Gütesiegel mit unterschiedlichstem Profil. Allein in Deutschland gibt es neun grosse Anbauorganisationen, die alle eigene Labels führen.

Ohne diese Vielfalt anzutasten hat es die EU jedoch bereits vor über zehn Jahren geschafft, alle fünfzehn Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Linie zu bringen und in der ganzen Union Mindestnormen für Bio- und Öko-Produkte festzulegen. Seit 1993 gibt es die Europäische Öko-Verordnung, die seit 2000 auch tierische Produkte mit einbezieht.

Damit gelten heute vom heissen Spanien bis ins kühle Finnland, und nach der Osterweiterung im Frühling 2004 auch vom kleinen Malta bis zum Agrarriesen Polen einheitliche Normen, die durch ein einheitliches EU-Öko-Label garantiert werden. Jedem einzelnen Land steht es zudem offen, für nationale Produzenten strengere Regeln zu erlassen.

Konkurrenzkampf in der Bio-Branche



Das EU-Label und die stattlichen Fördermittel aus Brüssel haben dem Bio-Landbau einen mächtigen Aufschwung gebracht, der auch bereits in den osteuropäischen EU-Beitrittsländern zu spüren ist. Denn die technisch veraltete und sehr extensive Landwirtschaft in Osteuropa ist für eine Umstellung auf ökologische Produktion durchaus geeignet.

Für einzelne Länder wie Deutschland dagegen, die einen kleinstrukturierten und sehr traditionellen Bio-Markt haben, bedeutet der grenzenlose Bio-Binnenmarkt vor allem harte Konkurrenz.

Zwar werden in Deutschland fast 3 Mrd. Franken umgesetzt, das heisst ein Viertel des gesamten Bio-Lebensmittelumsatzes in der EU. Doch die Produkte kommen immer seltener aus Deutschland, sondern aus Italien, aus Grossbritannien oder aus den osteuropäischen Staaten, wo Bioweizen etwa fünfzehn Prozent günstiger ist als in Deutschland.

Die Umweltverbände machen dafür vor allem die niedrigeren EU-Standards verantwortlich. Häufig sind die ausländischen Anbieter aber auch schlicht effizienter und punkto Marketing professioneller.

Um dieser Konkurrenz standzuhalten, werden sich die unzähligen nationalen und regionalen Label-Organisationen um die Konsumenten neu bemühen müssen und ihnen den Preisunterschied mit Hinweis auf die strengeren Anforderungen erklären.

Kein EU-Label für Schweizer Produkte



Für Schweizer Produzenten ist es heute schwierig, in diesen lukrativen europäischen Bio-Wettbewerb einzusteigen. Denn ohne EU-Label ist das Vertrauen der europäischen Käufer nur unter grossem Marketingaufwand zu gewinnen.

Um die Exportchancen zu erhöhen, wollte das Bundesamt für Landwirtschaft (BWL) vor zwei Jahren ein einheitliches Schweizer Bio-Label lancieren, doch das Interesse für ein Bio-Staatslabel war derart gering, dass die Übung wieder abgebrochen wurde. Noch scheint offenbar der inländische Markt gross und sicher genug, um der Bio-Branche Wachstum zu ermöglichen.

swissinfo, Katrin Holenstein

«Sehr empfehlenswert» mit drei Sternen haben abgeschnitten: Bio Suisse, Bio Engagement, demeter, Bio NaturPlus (pflanzliche und tierische Lebensmittel), kagfreiland, Bio Weide-Beef, Natura-Beef Bio Suisse, fidelio und Marine Stewardship Council (nur Fleisch, Fisch) sowie Delinat (nur pflanzliche Lebensmittel).

Zwei Sterne («empfehlenswert»): Agri Natura (beides), Natura-Beef, Swiss Premium Rindfleisch, Coop Naturaplan und IP Suisse (Fleisch).

Ein Stern («nicht empfehlenswert»):M Engagement, Bell Natura, Swiss PrimGourmet, Dolphin Safe, IP Suisse (Fleisch) und IP/PI (Obst und Gemüse).

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