Die neue G-20-Weltordnung und die Schweiz
Bleiben vom G-20 Gipfel mehr als nur grosse Worte? Hat die Schweiz mit ihrem Platz auf einer grauen OECD-Liste das grosse Los gezogen oder droht der Untergang des schweizerischen Bankensystems? Wirtschaftsexperte Rudolf Strahm gibt Antworten.
swissinfo: Herr Strahm, der G-20-Gipfel ist zu Ende. Wie beurteilen Sie den Ausgang?
Rudolf Strahm: Es wurde mehr und verbindlicher beschlossen, als ich eigentlich erwartet hatte. Ich finde es gut, dass die Wirtschaftsmächte der Welt beieinander waren, und dass ein Programm entstanden ist, das in den Institutionen und Organisationen auch durchgesetzt wird.
swissinfo: Sind Sie überrascht, weil die Ausgangspositionen doch ziemlich unterschiedlich waren? Die USA und Grossbritannien wollten noch grössere Hilfspakete schnüren, Deutschland und Frankreich eher nicht.
R.S.: Das ist richtig. Ich hatte erst grosse Befürchtungen, weil da am Anfang 25 Punkte auf der Agenda standen. Und jetzt sind es wenige, aber dafür dezidierte Aussagen.
Beim Hilfsprogramm muss man etwas ins Detail schauen. Nicht alle Mittel der 1000 Milliarden-Dollar-Hilfe sind A-fonds-perdu-Beiträge. Ein grosser Teil läuft über den Internationalen Währungsfonds. Das sind keine Geschenke sondern verzinsliche Zahlungshilfen, aber das Paket hilft der Weltwirtschaft kurzfristig, die Rezession zu überwinden. Das muss man anerkennen.
swissinfo: Was sind die Auswirkungen auf die Schweiz? Der französische Präsident Sarkozy hat angekündigt, die Schweiz käme in Sachen Bankgeheimnis nicht auf eine schwarze, aber auf eine graue Liste.
R.S.: Eine graue Liste bedeutet, dass der internationale Druck auf das schweizerische Bankgeheimnis bestehen bleibt. Die Schweiz bleibt unter Beobachtung. Sie kann nicht die Strategie von Bundespräsident Merz weiterführen, nämlich Versprechen abgeben und das Problem aussitzen.
Unser Land muss nun bei bilateralen Verhandlungen Tatbeweise erbringen. Ich gehe davon aus, dass es keinen automatischen Informationsaustausch geben wird. Das ist im Musterabkommen Artikel 26 der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nicht vorgesehen.
Die Schweiz darf aber auf Anfragen ausländischer Behörden keine hohen Hürden einführen. Sie muss wohl auf einfache Anforderungen akzeptieren, dass zum Beispiel nur der Name der Bank oder des Kunden genannt wird, damit Auskünfte erhoben und geliefert werden. Es soll nicht eine ganze Beweiskette eingereicht werden müssen.
Weiter müssen die Rekursmöglichkeiten der ausländischen Steuerhinterzieher eingeschränkt werden, und eine Steueramnestie kommt wohl für das Ausland auch nicht in Frage. Kurz, die Schweiz ist gefordert. Es braucht jetzt politische Führung.
swissinfo: Besteht die Gefahr eines Kollapses?
R.S.: Ich persönlich glaube nicht, dass das einen Kollaps des Finanzplatzes Schweiz auslösen wird. Von den 330 Banken in der Schweiz werden 30 bis 40 Banken betroffen sein, die vor allem mit der Akquisition von privaten Kundengeldern aus dem Ausland, die natürlich auch Fluchtgelder sein können, ihre Geschäfte machten.
Aber der Finanzplatz Schweiz wird deswegen nicht kaputt gehen.
swissinfo: Könnten unter den Betroffenen auch die UBS und Credit Suisse sein, die grössten Bankinstitute der Schweiz?
R.S.: Ich glaube nicht, dass UBS und Credit Suisse am meisten betroffen sein werden. In absoluten Zahlen sicher. Aber relativ zu ihrer Grösse und zu den übrigen Geschäften werden sie wahrscheinlich weniger leiden.
Hingegen werden einige der 14 Privatbanken ihr Geschäftsmodell massiv ändern müssen.
swissinfo: Trauen Sie den G-20-Staatschefs zu, dass ihren grossen Worten nun auch grosse Taten folgen werden?
R.S.: Ich bin geneigt, daran zu glauben, wenn ich die bisherigen Anstrengungen in den USA anschaue, seit Obama regiert, was Gordon Brown in England, was auch Deutschland und Frankreich getan haben. Denn das sind die vier wichtigen Player.
Ich mute ihnen zu, das, was sie in ihren eigenen Ländern durchgeboxt haben, jetzt auch noch koordiniert auf internationaler Ebene durchzusetzen.
Aber der Teufel steckt im Detail. Für mich ist die Hauptfrage, was dann bei der Durchsetzung dieser Spiel- und Regulierungsregeln der Finanzmärkte geschieht, bei der Hedgefonds-Kontrolle, bei Rechnungslegungs-Systemen, bei den Ratingagenturen und so weiter.
Was für Sanktionen werden erwogen? Das Sanktionssystem ist noch nicht geklärt. Aber ich mute den betroffenen Staaten jetzt zu, dass sie schon aus eigenem Interesse Sanktionsregeln einführen werden.
swissinfo: Gab es schon mal einen derart bedeutenden Wirtschaftsgipfel wie den heutigen?
Ich halte den Vergleich mit der Bretton Woods Konferenz von 1944 für angemessen. Seither gab es nie so grosse Chancen, an der Weltfinanzarchitektur etwas zu ändern.
Erstmals in der Wirtschaftsgeschichte wird eine globale Koordination der Rezessionsbekämpfung bewerkstelligt. Das ist anders als 1929. Und erstmals in der Geschichte wird derart koordiniert auf ein globales Problem reagiert
swissinfo-Interview: Etienne Strebel
Geboren 1943 im Emmental.
Laborantenlehre in der Basler Chemie.
Chemiestudium Ingenieurschule Burgdorf (Dipl. Chemiker.)
Arbeit als Chemiker.
Studium Volks- und Betriebswirtschaft Uni Bern (Lic. rer. pol.).
Sekretär der «Erklärung von Bern» 1974-1978.
Lehrauftrag Uni Zürich 1977/78.
Zentralsekretär der Sozialdemokratischen Partei Schweiz (SP) 1978-1985.
SP-Nationalrat 1991-2004.
Preisüberwacher 2004-Oktober 2008.
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