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Die SBB-Gotthardstrecke – das alte Eisen?

Ein Güterzug überquert vor dem "Kirchlein von Wassen" einen Viadukt. Keystone

Die Gotthardstrecke mit ihren berühmten Kehrtunnels hat einen hohen historischen Wert. Noch ist nicht entschieden, was nach der NEAT-Eröffnung geschieht.

Der Architekt Karl Holenstein erstellt für die SBB ein Inventar der Bauten. Eine Aufnahme ins Unesco-Kulturerbe wird diskutiert.

Holenstein verbrachte in den vergangenen Monaten einen grossen Teil seiner Zeit damit, die Strecke abzugehen und ein Inventar der Architektur- und Ingenieurobjekte zu erstellen.

Das Inventar ist ein Pilotprojekt für ein landesweites Inventar der schutzwürdigen Objekte der SBB. Initianten waren das Bundesamt für Kultur sowie die Kantone Uri und Tessin.

Seine Arbeit dient auch dazu, abzuklären, ob es sich lohnt, die bisherige Gotthardlinie nach der Fertigstellung des Basistunnels der Neuen Eisenbahn-Alpen-Transversale (NEAT) weiterzuführen. Die Eröffnung des Basistunnels ist zwischen 2015 und 2017 vorgesehen.

Zur Diskussion steht das Projekt, die ganze Region in das Weltkulturerbe der Unesco, der UNO-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur aufnehmen zu lassen.

Holensteins Feldarbeit für ist nun getan, das Endprodukt wird ein Katalog mit Einzelblättern sowie eine DVD über die Gotthardlinie sein.

Jedes Gebäude hat seine Geschichte

Das architektonische Inventar enthält Gebäude entlang der Linie von Kilometer 40 bis Kilometer 110, nicht aber die Kehrtunnels der Nord- und Südrampe und auch nicht den Gotthardtunnel.

Das Inventar umfasst Gebäude wie Bahnhöfe, Güterschuppen, Depots, Kraftwerke, Unterhaltsräume, Kabelschuppen, Verwaltungsgebäude, Schulen und Unterkünfte.

Für das Inventar der Ingenieurbauten prüfte Holenstein Böschungs-Mauern, Brücken, Wasserleitungen, Über- und Unterführungen sowie Tunnels.

«Eine der Herausforderungen dieser Arbeit war es, nicht nur den gegenwärtigen Zustand der Objekte zu registrieren. Wir brauchen auch Hintergrundinformationen, und deshalb gingen wir sehr ins Detail», erklärt Holenstein gegenüber swissinfo.

«Neben dem heutigen Zustand schauten wir uns auch die Archive genau an, um zu wissen, wie alles am Anfang aussah, als die Objekte gebaut wurden, und wie sich diese über die Jahre entwickelt haben.»

Der Katalog und die DVD werden den SBB, den Kantonen Uri und Tessin sowie den Bundesbehörden die Grundlagen liefern, um zu entscheiden, was besonders erhaltenswert ist.

Gefährdetes Symbol «Kabelbude»

Laut Holenstein sind die architektonischen Besonderheiten der Linie nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen: «Die überall anzutreffenden typischen Bahnhöfe sind faszinierend und wurden sehr sorgfältig geplant.

Eine weitere Besonderheit der Jahre 1920 bis 1930 sind die so genannten «Kabelbuden», die entlang der Linie alle 800 Meter auftauchen. Die kleinen Gebäude schützen die Kabelenden vor der Witterung.

Die Kabel dienten der Kommunikation, wurden aber mit dem Aufkommen der Funk- und Satelliten-Technik mehr oder weniger überflüssig.

Laut Holenstein sind die Gebäude gefährdet, wenn die Kabel einmal gar nicht mehr gebraucht werden. «Meiner Ansicht nach sind die ‹Kabelbuden› absolut schützenswert. Sie sind aber zur Zeit stark gefährdet. Für die Reisenden sind sie eine Art Symbol der Gotthardbergstrecke.»

Der Druck der Felsmassen

Und dann ist da der Gotthardtunnel selber: «Eigentlich ist er ein Gebäude. Er ist faszinierend, aber für Reisende sehr schwer als solches zu erkennen.»

Holenstein beschreibt, wie sich wegen der Feuchtigkeit, die eine Besonderheit dieses Tunnels ist, die Fenster der Bahnwagen beschlagen.

«Wenn man die Möglichkeit hat, im Tunnel anzuhalten und hinauszugehen, fühlt man den Druck der Felsmassen über dem Tunnel viel stärker als im Zug», führte er aus.

Rückbau auf eine Spur?

«Wir sind überzeugt, dass die ganze Kulturlandschaft um den Gotthard herum ins Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen werden sollte. Das heisst, wir müssen all die Veränderungen anschauen, die es in der Region gab. Und ebenso die verschiedenen Transportarten über die Alpen im Verlauf der Geschichte.»

Es ist zwar noch verfrüht, um sagen zu können, was mit der Bergstrecke geschieht, wenn der neue Basistunnel dereinst offen ist. Karl Holenstein jedenfalls ist optimistisch, dass sie weiter geführt wird.

«Persönlich bin ich absolut überzeugt, dass die Gotthardberglinie weitergeführt wird. In welcher Form genau, ist noch offen. Vielleicht wird die Doppelspur auf eine Spur zurückgebaut. Wenn die SBB eine Alternativroute für Güterzüge wollen, oder für den Fall, dass es ein Problem mit dem Basistunnel gibt, wäre es vernünftig, die Linie doppelspurig weiterzuführen.»

swissinfo, Robert Brookes
(Übertragung aus dem Englischen: Charlotte Egger)

Das Inventar der 1882 eröffneten Gotthard-Bergstrecke wird zwischen 300 und 400 Objekte auf der Nordseite und zwischen 400 und 600 auf der Südseite umfassen.

Im Bericht des Bundes-Amtes für Kultur vom Dezember 2004 an die Unesco ist sie in der Kategorie «zurückgestellte Objekte» aufgeführt.

Der Grund: Die SBB haben noch nicht entschieden, was nach dem Bau des NEAT-Tunnels mit der alten Strecke geschehen soll.

Die Schweizerischen Bundesbahnen, SBB, werden am 20. August 2005 für ihr Engagement im Bereich Baukultur mit dem Wakker-Preis des Schweizer Heimatschutzes ausgezeichnet.

Der Schweizer Heimatschutz feiert 2005 sein 100-jähriges Jubiläum.

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