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«Die Schweiz reiht sich ein»

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Die Schweizer Presse hat die Lockerung des Bankgeheimnisses einhellig begrüsst. Damit sei Schlimmeres, nämlich die Schweiz auf der Schwarzen Liste der OECD, verhindert worden. Doch der schwierige Teil, die Verhandlungen, stehe noch bevor.

Titel wie «Die Schweiz reiht sich ein» in der Neuen Zürcher Zeitung, «Der Damm ist gebrochen» bei Le Temps, «In letzter Sekunde» im Tages-Anzeiger und «Die Kapitulation» im Blick zeigen die Stossrichtung: Die Schweiz habe sich dem übergrossen internationalen Druck schliesslich doch gebeugt. Dem Bundesrat wurde aber vorgeworfen, zu lange gewartet zu haben.

Der Tages-Anzeiger hofft, dass seit dem Bundesratsbeschluss die Chance bestehe, «dass das Problem in letzter Sekunde entschärft worden ist». Das im Sinne der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) neu interpretierte Bankgeheimnis sei mehrheitsfähig, denn «die normale Bankbeziehung wird (…) diskret bleiben, den ‹gläsernen Kunden› wird es nicht geben».

«Neue Ära»

Für den Berner Bund hat eine «neue Ära» begonnen. Der Jahrzehnte alte, wichtige Pfeiler des Schweizer Finanzplatzes sei innert kürzester Zeit gefallen. Im Ringen um das Bankgeheimnis sei es weniger um Moral als um den Kampf um Steuergelder gegangen.

Die Landesregierung sei ausserstande gewesen, «rasch auf den zunehmenden Druck aus dem Ausland zu reagieren», schreibt Die Südostschweiz in ihrem Kommentar. Der Entscheid vom Freitag sei nun «nichts als ein logischer Schritt. Ähnlich tönt es in der Südschweizer Zeitung Regione Ticino, die von «der Unfähigkeit» spricht, «eine offensive Initiative zu ergreifen».

Für das St. Galler Tagblatt ist am Abschied vom Bankgeheimnis «erstaunlich, wie locker-lässig er verkündet wurde». Wenn angeblich alle davon profitierten, müsste man die Beschöniger fragen, weshalb die Schweiz die OECD-Standards nicht schon früher übernommen und sich viele böse Worte vom Ausland erspart habe.

Die international entstandene «Dynamik konnte der Bundesrat nicht mehr kontrollieren», schreibt die Basler Zeitung. Über den entstandenen Scherbenhaufen, den «Bundesrat Merz gestern schönzureden versuchte, kann sich eigentlich nur einer freuen: der ehrliche Steuerzahler», meint die BaZ.

In Diplomatie investieren

Die NZZ kommentiert, dass die Schweiz beim neu Aushandeln der Doppelbesteuerungs-Abkommen mit Gegenforderungen die zu erwartenden Schäden für den Finanzplatz kompensieren werde. Das brauche geschickte Unterhändler. Der Landbote findet, die Hausaufgaben seien gemacht. Die Knochenarbeit stehe aber noch bevor.

Für «kräftige Investitionen in die Diplomatie» plädiert die Neue Luzerner Zeitung. Die heftige Wirtschaftskrise offenbare auch innerhalb Europa den rücksichtslosen Umgang mit Kleinstaaten. Ein EU-Beitritt bringe in dieser Hinsicht nichts.

Die Berner Zeitung fordert, dass die Schweiz zur Wahrung ihrer Interessen Verbündete in Europa suchen müsse. Zu einem automatischen Austausch von Bankkundendaten dürfe es nicht kommen.

Die Mittelland Zeitung erwartet, dass die weltweit tätigen Schweizer Banken wegen der Amtshilfe gegenüber der ausländischen Konkurrenz «kaum dramatisch Terrain verlieren».

Spielausschluss riskiert

Die Waadtländer Zeitung 24 heures zieht einen Vergleich mit der Sportwelt: Das schweizerische Bankgeheimnis sei von den mächtigsten Ländern der Welt auf die Dopingliste gesetzt worden. Ohne Zugeständnis hätte die Schweiz riskiert, vom Spiel ausgeschlossen zu werden.

Auch die Tribune de Genève bedient sich des Sport-Jargons: «Das ist nicht das Ende des Sprints, sondern der Beginn des Marathons». Und ähnlich tönt es im Corriere del Ticino: «Das Spiel bleibt offen.»

Und die Genfer Zeitung Le Temps spricht von einem fürchterlichen Schlag für den Finanzplatz, auch wenn «Zuverlässigkeit, Fachwissen und die Schweizer Stabilität Trümpfe» blieben. Aber es seien ein Kulturwandel und eine Gewissensprüfung in Gang gesetzt worden.

Schweiz macht auch im Ausland Schlagzeilen

Für die britische Financial Times war der Beschluss des Bundesrats am Samstag der Frontaufmacher. Die Steuerparadiese seien nach der Schweizer Kapitulation auf dem Rückzug, heisst es in einem Beitrag mit Reaktionen aus anderen Ländern und einer Liste samt Karte von zwölf weiteren Finanzplätzen. Im Kommentar wird auch die Situation Grossbritanniens erwähnt, das in mit Nachsicht behandelten Überseeterritorien und assoziierten Gebieten mit der Schweiz in der Vermögensverwaltung in Konkurrenz stehe.

Die Kreditklemme habe etwas erreicht, was die Welt seit über 70 Jahren versucht habe: die Schweizer zu mehr Informationen darüber zu bewegen, wer wie viel auf den geheimen Bankkonten versteckt habe, kommentierte der britische Independent. Allerdings bleibe die Frage, wie ehrenhaft die Absichten der Schweiz tatsächlich seien. Sollte es sich nur um heisse Luft halten, müsse die OECD für anhaltenden Druck sorgen.

«Schweiz gibt ihr heiliges Bankgeheimnis auf», heisst es über dem Frontaufmacher der deutschen Zeitung Die Welt, für die die Lockerung des Bankgeheimnisses einer Sensation gleichkommt. In einem Kommentar weist das Blatt darauf hin, dass die Steueroasen nur ein Symptom seien. So werde gerade der deutsche Fiskus diesen «Sieg» nicht in höhere Erträge ummünzen können, wenn sich nicht grundsätzlich etwas ändere.

Das «Ende der Geheimnisse» sagt hingegen die Süddeutsche Zeitung voraus. Wie in vielen anderen Berichten wird das Nachgeben der Schweiz und anderer Länder auf den Druck der G-20-Länder zurückgeführt.

Die amerikanische International Herald Tribune kommt zum Schluss, dass nach den Beschlüssen der Schweiz, Österreichs und Luxemburgs nur noch eine Handvoll von Plätzen wie Gibraltar oder Panama übrig bleibe, die als wirkliche Steueroasen gelten könnten. Die New York Times fordert in einem Kommentar weitergehende Massnahmen der US-Regierung und auf internationaler Ebene gegen die Steuerflucht.

Für die Römer Repubblica haben am Freitag dem 13. die Totenglocken für das Schweizer Bankgeheimnis geläutet. Vom Fall einer Mauer auf dem grössten Offshore-Finanzplatz der Welt schrieb der Mailänder Corriere della Sera. Im Pariser Figaro wurde auf die Genugtuung von Präsident Sarkozy hingewiesen, der das Nachgeben der Schweiz, Österreichs und Luxemburgs auf die Entschlossenheit Frankreichs und Deutschlands im Kampf gegen die Steuerflucht zurückführe. Für den Wiener Standard, der die Entscheidungen in Wien, Bern und Luxemburg zusammenfasste, wird das Bankgeheimnis nur ein bisschen gelüftet.

swissinfo und Agenturen

Die Schweiz ist nicht nur wegen des Bankgeheimnisses, sondern auch wegen ihrer Steuerpolitik seit längerem im Fadenkreuz anderer Staaten oder Staatengemeinschaften. Die wichtigsten Steuerkonflikte der letzten zehn Jahre:

2000: Die OECD setzt die Schweiz auf eine Liste mit 47 Ländern mit «potenziell schädlichem Gebaren» in Steuerfragen.

2004: Schweiz macht Zugeständnisse bei der Besteuerung von Holdings und wird wieder von der Liste gestrichen.

2001-2005: Bei den Verhandlungen mit der EU über die bilateralen Verträge II kommt es in der Frage der Zinsbesteuerung zu Spannungen zwischen der Schweiz und der EU. Mit dem Abschluss der Bilateralen II kann dieser Streit beigelegt werden.

Seit 2005: Streit zwischen der Schweiz und der EU über kantonale Steuerprivilegien für Unternehmen. Die Schweiz weist wiederholt EU-Vorwürfe zurück, diese verstiessen gegen das Freihandelsabkommen von 1972.

2007: Die EU-Kommission erhält vom Ministerrat ein Verhandlungsmandat über den Steuerstreit mit der Schweiz. Der Bundesrat zeigt sich aber nur zu einem Dialog, nicht zu Verhandlungen bereit.

2008: Die Schweiz gerät in den Strudel des deutsch-liechtensteinischen Steuerstreits. Deutsche Politiker verschärfen ihre Drohungen gegenüber Steueroasen «wie der Schweiz».

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