Die Schweiz manövriert sich durch die Inflation
Zentralbanken in aller Welt halten Sparende und Hausbesitzer:innen mit ihren Zinssätzen in Atem. Die Schweiz brach mit einer Zinssenkung im März von 1,75% auf 1,5% aus der Reihe. Die Prognosen werden dadurch erschwert, dass die einzelnen Länder unterschiedlichem Inflationsdruck ausgesetzt sind.
In den Jahren 2022 und 2023 wurde die Inflation in vielen Teilen der Welt von einheitlichen Faktoren angetrieben. Dazu gehörte vor allem ein enormer Anstieg der Energiepreise nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine. Hinzu kam eine Welle aufgestauter Konsumausgaben, die durch die Covid-19-Pandemie und globale logistische Engpässe gebremst worden waren. Die Verbraucherausgaben wurden weltweit auch durch die extrem niedrigen Zinssätze angeheizt.
Dies zwang die Zentralbanken, die Zinssätze zu erhöhen, um den Preisanstieg zu bekämpfen. Zu Beginn dieses Jahres rechnete man mit einer Abkühlung der Inflation auf unter 2%, was die Zinssätze weltweit senken würde. In Wirklichkeit ist die Situation in den verschiedenen Teilen der Welt jedoch uneinheitlich.
Die Schweiz, Schweden, die Tschechische Republik und Ungarn haben die Zinssätze in diesem Jahr gesenkt. Ebenso wie China, das im Februar eine stärkere Senkung als erwartet vornahm, um den angeschlagenen Immobiliensektor des Landes zu entlasten.
Japan hob die Zinsen im März zum ersten Mal seit 17 Jahren in den positiven Bereich an und reagierte damit auf eine Flut von Lohnerhöhungen. Die US-Notenbank hat die Zinssätze beibehalten und sich am 2. Mai weniger enthusiastisch über zukünftige Zinssenkungen geäussert als zu Beginn des Jahres. Die Europäische Zentralbank bleibt ebenfalls unschlüssig, sendet aber positivere Signale hinsichtlich einer möglichen Zinssenkung im Sommer.
Was machen die USA?
Als grösste Volkswirtschaft und dominierendes Finanzsystem der Welt übernehmen die USA normalerweise die Führung bei der Festlegung der Zinssätze. Doch dieses Mal haben andere Länder weniger Anreize, einfach dem Beispiel der Federal Reserve zu folgen, so Stefan Gerlach, Chefökonom der EFG Bank.
«Alles hängt davon ab, ob die hartnäckig hohe Inflation in den USA durch globale oder lokale Bedingungen angetrieben wird», sagt Gerlach gegenüber SWI swissinfo.ch. Wenn globale Faktoren wie geopolitische Instabilität oder ein weltweiter Anstieg der Preise für fossile Brennstoffe die Ursache für die hohe Inflation in den USA sind, hätte dies auch die gleichen Auswirkungen auf andere Länder. In diesem Fall werden andere Zentralbanken wahrscheinlich denselben Weg einschlagen wie die Federal Reserve.
Gerlach sieht jedoch Anzeichen dafür, dass die Inflation in den USA durch rein inländische Faktoren verursacht wird. So sind beispielsweise die ausufernden US-Staatsausgaben, die sich im vergangenen Jahr auf 6,13 Billionen Dollar (5,56 Billionen Franken) beliefen, teilweise für die Ankurbelung der Verbrauchernachfrage und die Inflation verantwortlich. Hinzu kam eine Aktienmarktrallye Ende 2023, die die privaten Aktienportfolios und Rentenfonds der Verbraucher:innen in die Höhe trieb.
Sei die US-Notenbank gezwungen, die hohen Zinsen in den USA hauptsächlich aufgrund inländischer Bedingungen beizubehalten, könnte dies dazu führen, dass andere Länder eine ganz andere Geldpolitik verfolgen, argumentiert Gerlach.
Der Sonderweg der Schweizerischen Nationalbank
Wenn das Wachstum in den USA durch hohe Zinssätze gebremst wird, könnte dies die Aussichten in anderen Ländern dämpfen, die untrennbar mit der stärksten Wirtschaft der Welt verbunden sind. Dies würde andere Zentralbanken dazu ermutigen, die Zinssätze zu senken, um ihre Volkswirtschaften anzukurbeln. «Die Fed könnte eine doppelte geldpolitische Dynamik auslösen, die weltweit in entgegengesetzte Richtungen zieht», sagte Gerlach.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat als eine der wenigen Zentralbanken, die in diesem Jahr die Zinssätze gesenkt haben, ihren eigenen WegExterner Link eingeschlagen.
Die Inflation in der Schweiz ist seit Juni 2023 auf unter 2% gesunken und lag im März dieses Jahres bei 1%. Doch kaum hatte die SNB die Zinsen gesenkt, stiegen die Verbraucherpreise im April auf 1,4% im Jahresvergleich. «Im gegenwärtigen Umfeld bleibt die Unsicherheit erhöht, und neue Schocks können jederzeit auftreten», sagte SNB-Chef Thomas Jordan am 26. April.
Die Bank Raiffeisen Schweiz weist zudem darauf hin, dass sich die Auswirkungen der im Dezember erfolgten Erhöhung des Referenzzinssatzes für den Schweizer Mietmarkt erst Mitte dieses Jahres zeigen werden.
Weitere Zinssenkung in der Schweiz erwartet
Einige Ökonom:innen erwarten jedoch eine weitere Zinssenkung in der Schweiz noch in diesem Jahr. Die Schweiz wurde von den schlimmsten Auswirkungen der Inflation verschont, da sie viel Energie aus Wasser- und Kernkraftwerken produziert und der Schweizer Franken die Kosten für Importe niedrig hält.
«Da die Energiepreise wieder sinken und bei den Dienstleistungspreisen aufgrund der schwachen Binnennachfrage eine weitere Normalisierung erwartet wird, sind die Voraussetzungen für eine erneute Senkung des Leitzinses durch die SNB im Jahr 2024 gegeben. Vielleicht schon bei der nächsten Sitzung im Juni», so GianLuigi Mandruzzato, Ökonom der EFG Bank.
Ein Teil des Anstiegs der Inflation im April war laut dem Bundesamt für Statistik auch darauf zurückzuführen, dass die Menschen ihre Hotels und Flüge für die Sommerferien buchten.
Auch die LGT Bank mit Sitz in der Schweiz ist optimistisch, dass die Zinsen in der Schweiz eher früher als später sinken werden. So schrieb sie in einem Anlegerschreiben am 2. Mai: «Die Inflationsrisiken sind zwar noch nicht vollständig überwunden, dennoch ist zu erwarten, dass die Schweizerische Nationalbank die Zinsen im Laufe des Jahres weiter senken wird.»
Editiert von Virginie Magnin/ts. Übertragung aus dem Englischen: Giannis Mavris
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