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Die Schweiz und die Entschuldung der Ärmsten

Viele arme Länder geben mehr Geld für Schuldzinsen aus als für die Bildung der Jugend. Keystone Archive

Schweizer Hilfswerke fordern im Vorfeld der Jahrestagung von IWF und Weltbank die Entschuldung der armen Länder.

Das Finanzdepartement begrüsst die Diskussion, weist jedoch auf die eigene angespannte Finanzlage hin.

Die Bundesräte Hans-Rudolf Merz und Joseph Deiss sowie Nationalbank-Präsident Jean-Pierre Roth werden die Schweiz am Wochenende an der Jahresversammlung der Bretton-Woods-Institutionen in Washington vertreten.

«Die Schweiz muss den Druck für eine Entschuldung der armen Länder aufrecht erhalten», fordert Christine Eberlein von der Nichtregierungs-Organisation Erklärung von Bern (EvB).

Der britische Finanzminister Gordon Brown hat im Vorfeld der Versammlung die Industrieländer aufgefordert, die Zins- und Amortisations-Zahlungen für die ärmsten Länder zu übernehmen. Schlüssel dazu soll das finanzielle Engagement bei den multilateralen Institutionen sein. Grossbritannien selber will mit gutem Beispiel vorangehen.

Schuldendienst teurer als Bildung

Die Arbeitsgemeinschaft Schweizer Hilfswerke hat den Schweizer Delegationsleiter Merz aufgefordert, den britischen Vorschlag zu unterstützen.

Trotz früherer multilateralen Entschuldungs-Massnahmen müssten die meisten betroffenen Länder weiterhin mehr für den Schuldendienst als für Bildung und Gesundheit ausgeben, so die Arbeitsgemeinschaft.

Eine Entschuldung nach dem Vorschlag Grossbritanniens käme die Schweiz nach einer groben Schätzung jährlich auf rund 50 Mio. Franken zu stehen.

Unterschiedliche Stossrichtungen

Grossbritannien will mit gutem Beispiel vorangehen und den armen Ländern beim Schuldendienst mit jährlich 180 Mio. Dollar unter die Arme greifen. Die USA ihrerseits plädieren für einen vollständigen Schuldenerlass für die Ärmsten.

«Die Schweiz begrüsst diese Art von Initiativen», erklärt Martin Lanz vom Finanzministerium. Die Bedingungen müssten aber im Rahmen der Bretton-Woods-Institutionen verhandelt werden.

Aus diesem Grund stimmt sie dem von den USA befürworteten Schuldenerlass nicht zu. «Ein solcher könnte die Glaubwürdigkeit und die Kapazität der Institutionen in Mitleidenschaft ziehen», so Lanz.

Er hält aber fest, dass die Schweiz klar hinter dem Entschuldungs-Programm stehe, welches Weltbank und Währungsfonds 1996 für die ärmsten Länder aufgestellt hätten.

Umstrittenes Programm

Dieses Programm, das der Währungsfonds soeben um weitere zwei Jahre verlängert hat, strebt einen Schuldenerlass in der Höhe von 100 Milliarden Franken für 40 Länder an, die meisten von ihnen afrikanische Staaten.

«Diese Initiative ist ein Erfolg», erklärt Martin Lanz. «Vor ihrer Einführung haben die armen Länder 30% ihres Budgets für den Schuldendienst verwendet, heute sind es noch 11%.» Er erinnert daran, dass die Schweiz 1991 zu den ersten Länder gehört habe, die für einen Schuldenerlass für die ärmsten Länder plädiert hätten.

Bei der UNCTAD, der UNO-Organisation für Handel und Entwicklung, wird solcher Optimismus nicht geteilt. «Afrika hat zwischen 1970 und 2002 Kredite von 540 Mrd. Dollar erhalten. In derselben Zeit hat es 550 Mrd. Dollar Schulden getilgt», schreibt die Organisation.

Diese hätten Ende 2002 immer noch 300 Mrd. Dollar betragen. Die ärmsten Länder seien also noch weit von der Schuldenfreiheit entfernt.

Weg aus Schuldenfalle

Genauso sieht es Pauline Plagnat vom Genfer Institut für Entwicklungsfragen (IUED): «Die armen Länder können der Situation nur mit neuen Krediten, also mit neuen Schulden beikommen», beschreibt sie den Teufelskreis.

Aus diesem Grund leistet die Schweiz seit einigen Jahren Entwicklungshilfe in Form von A-Fond-Perdu-Beiträgen statt Krediten.

Budget-Kürzungen

Wie die anderen «reichen» Länder leidet die Schweiz aber mittlerweile selber unter der eigenen Schuldenlast. Folge davon: Mittel, die für Entwicklungsländer vorgesehen sind, werden gekürzt.

«Unser oberstes Ziel ist es, dass die Schweiz diese Beiträge nicht kürzt», sagt Bruno Gurtner von der Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke, einem Zusammenschluss von sechs NGO aus dem Entwicklungsbereich.

Die Schweiz kann so laut Gurtner ohne zusätzlichen Aufwand einen Beitrag zur Gesundung der Finanzen armer Länder leisten. Gleichzeitig trügen die Schweizer Bemühungen zum Kampf gegen die Steuerflucht bei, die solchen Ländern grossen Schaden zufüge.

swissinfo, Frédéric Burnand in Genève
(Übertragung aus dem Französischen: Andreas Keiser und Renat Künzi)

1991 beschloss die Schweiz einen Schuldenerlass für arme Länder in der Höhe von 500 Mio. Franken.
Die Schweiz zahlte an Weltbank und Währungsfonds zusätzlich 200 Mio. Franken, die für die Entschuldung armer Länder bestimmt sind.

Die Schweiz ist seit 1992 Mitglied von Weltbank und Währungsfonds.

Sie leitet dort die so genannte «Helvetistan»-Gruppe (Polen, Serbien-Montenegro, Aserbaidschan, Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan).

Die Schweiz gehört ebenfalls den Leitungsgremien von Weltbank und Währungsfonds an, in denen 24 Länder vertreten sind.

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