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«Die Sünde ist beidseitig»

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Im Calvin-Jahr lassen Finanzkrise und Sinnfrage sogar Kapital und Kirche zusammenrücken. Laut Privatbanquier Konrad Hummler erlagen neben den Bankern auch die Bankkunden den Versuchungen der steten "Überrendite" – die Sünde sei deshalb beidseitig.

Oft war in letzter Zeit zu hören, dass die Finanzkrise die echten Privatbanquiers weniger betreffe als die auswechselbaren Führungskräfte der Grossbanken. Grund: Grossbanker reagierten auf Lohn- und Bonizusagen.

Demgegenüber hafteten Privatbanquiers auch mit ihrem privaten Vermögen für mögliche Verluste ihrer Bank, und hätten auch höhere moralische Standards. Laut Konrad Hummler ist dies ein Teil des Erbes der calvinistischen Tradition der Schweiz.

Dieses Erbe wahrt Konrad Hummler von der Bank Wegelin in St. Gallen. Die Bank liegt nur einige Schritte entfernt vom bekannten Kloster der Stadt, einem nationalen Symbol des Katholizismus. Dass es aber seit den Zeiten des Reformators Ulrich Zwingli in der Altstadt St. Gallens auch eine protestantische Gemeinde gibt, ist sogar vielen Schweizern nicht bekannt.

swissinfo: Kürzlich haben Sie anlässlich des Calvinjahrs als Banquier mit Theologen und Volkswirtschaftern der Uni St. Gallen über Geld und Gott und den christlichen Umgang mit Geld debattiert. Gibt es einen derartigen Umgang überhaupt?

Konrad Hummler: Der Genfer Reformator Calvin, dessen 500. Geburtstag dieses Jahr gefeiert wird, gilt international als ein Wegbereiter des Kapitalismus. Denn im Gegensatz zur papsttreuen Kirche liess er im 16. Jahrhundert das Kreditgeschäft zu.

Aber er knüpfte den Kreditzins an hohe moralische Bedingungen. Aufrichtigkeit, Vertragstreue, Diskretion und eine gewisse Sparsamkeit galten deshalb im Ausland lange Zeit als Ur-Tugenden der Schweizer und ihrer Banquiers, bevor diese jüngst als ‹Banker› etwas von ihrem Nimbus eingebüsst haben.

swissinfo: Hat mit dem Geschäftsmodell der ‹Banker› auch Calvins Geschäftsmodell an Nimbus eingebüsst?

K.H.: Seit den Negativ-Schlagzeilen rund um die UBS und andere Schweizer Banken lese ich dies in Schweizer Medien. Aber ich persönlich glaube nicht daran.

Was wir in der Schweiz in den letzten 25 Jahren erlebten, war eine Invasion der angelsächsischen Geisteshaltung. Sie brachte Gepflogenheiten, Geschäftsideen und eine Geschäftsmoral, die uns eigentlich fremd sind.

Zum Beispiel das im Investment Banking übliche Entschädigungsmodell mit hohen Boni, das dann in unser Swiss Banking hinein gekommen ist. Mit Calvin hat das nichts zu tun.

Dieses ‹Banker-Modell› verträgt sich nicht sehr gut mit der Schweizer Mentalität. Diese ist weniger als die angelsächsische auf «Boom and Bust» ausgerichtet, also auf eine zyklische Abfolge von Grosserfolgen, denen dann Einbrüche und Entlassungen folgen.

swissinfo: Worin besteht das Schweizer Geschäftsmodell?

K.H.: Das Schweizer Modell war immer eines mit Konstanz. Deshalb wird die Schweiz als Wiege des Calvinismus und als internationaler Finanzplatz weiterhin Bestand haben.

Es ist falsch zu glauben, dass Calvins Erlaubnis vor 500 Jahren, Zins für Kredite zu verlangen, einem Freipass für hemmungsloses Banking gleichkommt.

swissinfo: Doch ist Calvins Geist dem Swiss Banking etwas abhanden gekommen, oder? Gerade in der Calvinstadt Genf, wo sich einige Banquiers verspekuliert haben.

K.H. Auch in der Calvinstadt Genf gaben ausserhalb des relativ kleinen Kreises der unbeschränkt haftenden Privatbanquiers zahlreiche Banken in den letzten vier Jahren der Versuchung der so genannten Überrendite nach, denn sie war schon beinahe zum Normallfall geworden.

Doch taten sie das parallel zu ihrer Kundschaft, die das wollte. Deshalb ist für mich dieser Sündenfall ein beidseitiger.

swissinfo: Dennoch finden die ‹Banker› zur Zeit wenig Gnade – zumindest vor der öffentlichen Meinung. Was würde Calvin sagen? Fänden sie Gnade vor Gott?

K.H.: Calvin hatte seine eigene Theologie von der Gnade Gottes. Die wurde zwar oft kritisiert, käme jetzt aber sehr gelegen. Laut Calvin ist das geschäftliche Gelingen ein Zeichen der Gnade Gottes, nicht des eigenen Verdienstes.

Das hat aber zur Folge, dass das Gewicht des Einzelnen im Unternehmen relativiert wird – inklusive seiner Ansprüche, zum Beispiel im Lohnbereich.

Oder, im heutigen Banker-Jargon ausgedrückt: Ein CEO erarbeitet eben den Return on Equity seines Unternehmens kaum im Alleingang. Deshalb würde Calvin heute sagen, legt wieder mehr Bescheidenheit an den Tag!

swissinfo: Hat Calvin auch ein Rezept gegen das stark gewachsene Auf und Ab der Wirtschaftszyklen?

K.H.: Aus dem Umstand, dass sich der Erfolg aus der Gnade Gottes ergibt, ergibt die Calvinistische Sicht meiner Meinung nach eine gewisse Schockresistenz bei Wirtschafts- und Finanzkrisen.

«Gott hat’s gegeben, Gott hat’s genommen – gelobt sei der Herr», sagte Hiob. Und dieser Gedanke findet bei Calvin seine Fortsetzung.»

Ich bin sogar überzeugt, dass diese Schockresistenz langfristig mehr zum wirtschaftlichen Erfolg protestantischer Weltgegenden beigetragen hat als der oft zitierte Fleiss und die Fähigkeit, Geld zu machen.

Denn ich sehe die Schockresistenz als Pendant zur Risikonahme. Gesellschaften, die nicht bereit sind, Risiken auf sich zu nehmen, und Schocks gar nicht akzeptieren, sind längerfristig nicht erfolgreich.

Investoren aus risikobereiten Gesellschaften wissen hingegen, dass sie etwas gewinnen können, denn sie vermögen mit Schocks umzugehen.

swissinfo: Wenn es also ein «Calvinist Banking» gäbe, was würde die Anlagestrategie dann beinhalten?

K.H.: Ein «Calvinist Banking» wäre also ein Banking, das den Bankkunden zum vornherein transparent erklärt, wieviel Risiken sie eingehen, wenn sie ihr Geld anlegen.

Wir haben als eine der ersten Banken im Lande bei anlagestrategischen Beratungsgesprächen das Risiko auch zu beziffern und grafisch zu illustrieren versucht.

swissinfo-Interview, Alexander Künzle, St. Gallen

Konrad Hummler wurde 1953 in St. Gallen geboren und ging dort zur Schule.

Er studierte Jus in Zürich und Wirtschaft in Rochester, USA.

Heute lebt der Vater von vier Töchter in Teufen, Appenzell Ausserrhoden.

1981 bis 1989 arbeitete er für die UBS, als persönlicher Assistent des VR-Präsidenten Robert Holzach.

1989 wurde er Direktor in der St. Galler Privatbank Wegelin & Co., die 1741 gegründet und somit eine der ältesten Bank der Schweiz ist.

Seit 1991 ist er auch Teilhaber, haftet also als Privatbanquier auch mit seinem persönlichen Vermögen.

Die Stadt St. Gallen ist vor allem wegen ihres (katholischen) Klosters bekannt.

Sie ist eine Unesco-Welterbe-Stadt.

Weniger bekannt ist, dass St. Gallen nach Zürich die zweite Stadt der Eidgenossenschaft war, die sich für die Reformationen entschieden hatte (1527 Abendmahl-Feier wie in Zürich bei Zwingli)

Dieser Entscheid ist auf den Stadtarzt Joachim von Watt zurückzuführen, der als Humanist Vadian genannt wird.

Bis 1798 war die Stadt die einzige reformierte Gemeinde weit und breit, und von der Fürstabtei (dem Kloster) umschlossen.

Wie pragmatisch-eidgenössisch sich die «calvinistische» Zusammenarbeit zwischen der Ost- und Westschweiz gestaltet, zeigt das Spezialbier, das Genf für den 500. Geburtstag ihres Reformators Calvin in Auftrag gab.

Die Handelskammer St. Gallen-Appenzell ist stolz, dass der Auftrag an eine der Brauereien in ihrem Einzugsgebiet ging.

Und zwar nicht an eine Brauerei im protestantischen Appenzell Ausserrhoden, sondern an eine im katholischen Innerrhoden.

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