Die Visionen des Mister Gotthard
Als Projektleiter für die "Region San Gottardo" arbeitet Jean-Daniel Mudry an der Zukunft der zentralen Alpenregion. Erste Schritte eines Zusammenwachsens im Herzen der Schweiz sind getan.
Der Sankt Gotthard ist ein Pass, aber auch seit Hunderten von Jahren ein Mythos. Autobahn und Eisenbahn am Gotthard sind die wichtigsten Nord-Süd-Verkehrsachsen der Schweiz.
Der Gotthard ist Zentrum Europas und Seele der Schweiz. Doch was ist die Gotthard-Region? Wo beginnt sie und wo hört sie auf?
«Das ist gar nicht so leicht zu sagen», meint Jean-Daniel Mudry und zeigt eine Karte, die von Luzern bis Bellinzona und von Brig bis Chur reicht.
Kernzonen wechseln mit rot schraffierten Umgebungszonen. Einen klaren Grenzverlauf für die Gotthard-Region gibt es nicht.
Aufeinander zu statt auseinander
Kein Wunder, denn die Region San Gottardo ist ein abstrakter Begriff, zu der keine eindeutige regionale Identität passt. Vier Kantone und Sprachen stossen hier aufeinander: Wallis, Uri, Tessin und Graubünden.
Und die Bewohner «stehen alle mit dem Rücken zueinander und schauen ins Tal zu den Hauptorten hinunter: nach Sion, Altdorf, Bellinzona und Chur», wie Mudry sagt. Das soll sich ändern: «Wir müssen Schulter an Schulter stehen statt Rücken an Rücken.»
Jean-Daniel Mudry weiss, wovon er spricht. Als Projektleiter für die «Region San Gottardo» mit einem kleinen Büro in Airolo bildet er seit März 2008 den Dreh- und Angelpunkt eines ambitionierten Gemeinschaftsprojekts der Kantone Uri, Tessin, Wallis und Graubünden, wonach das Gebiet um den Gotthard zu einem zusammenhängenden Lebens- und Wirtschaftsraum entwickelt werden soll.
Dies gilt besonders für die gemeinsame Vermarktung von Tourismusleistungen und einer Positionierung unter der gemeinsamen Dachmarke «San Gottardo». Bis 2015/2016 soll ein Destinationsmanagement als kantonsübergreifende Region umgesetzt sein. Eine grosse Vision, die es in vielen kleinen Schritten umzusetzen gilt.
«Mister Gotthard»
Der 64-jährige Mudry ist in diesem Prozess der «Mister Gotthard», wie ihn Wirtschaftsministerin Doris Leuthard scherzhaft nannte. Das Attribut passt. Zumal sich für diesen Job kaum eine bessere Persönlichkeit vorstellen lässt.
Als ehemaliger Kommandant der Zentralen Gebirgskampfschule in Andermatt kennt er das Gebiet wie seine Westentasche. Aufgewachsen ist er in Salgesch, auf der Grenze zwischen Unter- und Oberwallis.
Seit 1973 und bis heute lebt er in Tessiner Hauptort Bellinzona, wo er seine Familie gegründet hat. Und in Chur hat er seinerzeit im Abendtechnikum Chemie studiert und in den Ems-Werken gearbeitet.
27 Jahre lang war Mudry Berufsoffizier. Das hat ihn geprägt. Doch das Projekt Gotthard lässt sich nicht mit militärischen Mitteln durchsetzen. Im Gegenteil: «Dieses Projekt muss langsam von unten, von der Basis wachsen», sagt Mudry.
Zu diesem Zweck führt er Hunderte von Gesprächen. Mit den Kantonen, mit Verkehrsvereinen, mit Leistungserbringern wie Bergbahnen oder Hotels, aber auch Vertretern der lokalen Behörden.
Zu Gute kommt Mudry dabei seine Erfahrung als Generaldirektor der Olympiakandidaturen von «Sion 2002» und «Sion 2006»: «Schon dort habe ich gemerkt, dass die Leute allein schon durch die Arbeit an einem gemeinsamen Projekt näher rücken.»
Mit Überzeugungskraft gegen Widerstände
Aber Mudry kennt auch die Widerstände bestens. Neid und Kirchturmdenken, Campanilismo, ist überall verbreitet. Da braucht es viel Zeit und Überzeugungsarbeit, um Ziele umzusetzen und die Vorteile einer Zusammenarbeit klar zu machen.
«In Goms arbeiten wir heute im Tourismus unter einer Dachmarke; das hat lange gedauert, ist aber nicht mehr umstritten», sagt Mudry, der auch als Präsident von Goms Tourismus amtet.
Auslöst wurde das Gotthard-Projekt seinerzeit durch die Porta Alpina, die geplante unterirdische Haltestellte des neuen Gotthard-Basistunnels, dessen Unterstützung der Bundesrat an ein regionales Entwicklungskonzept geknüpft hatte.
Nachdem der Bundesrat die Porta Alpina vorläufig aus Eis gelegt hat, beschlossen die vier beteiligten Kantone, das Projekt gleichwohl weiter zu spinnen. Selbst eine «Charta San Gottardo» wurde mittlerweile verabschiedet.
Vier Gründe für Vorzeigeprojekt
Mindestens vier Gründe nennt Mudry, die es nötig machen, ein regionales Wirtschafts-Entwicklungskonzept für die Region San Gottardo voranzutreiben.
Da ist namentlich der massive Abbau in Bundesbetrieben (Militär, Post, Bahn), welcher die Region massiv betroffen hat. Dann die Eröffnung des Neuen Gotthard-Basistunnels (Neat) Ende 2017, welcher die Region verändern wird.
Die Wirtschaftskrise müsse zudem Anlass sein, «in dieser Region zusammenzurücken». Und schliesslich müsse die Eröffnung des Resorts des Ägyptischen Investors Sawiris in Andermatt die ganze Umgebung anspornen, ein attraktives Angebot für Feriengäste zu entwickeln.
Inzwischen gilt die «Region San Gottardo» bereits als Vorzeigeprojekt im Rahmen der Neuen Regionalpolitik. Und wird vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in diesem Sinne unterstützt.
Mudry glaubt, dass man unbedingt auf zwei Grossanlässe hinarbeiten muss, um Personen in die Gotthard-Gegend zu locken: Die Weltausstellung 2015 in Mailand, und die (angedachte) Ausstellung Gottardo 2020 aus Anlass der Eröffnung der Alpentransversale.
Wenigstens ein Teil all der Autofahrer, die ständig über die Gotthard-Achse rauschen, soll bewegt werden, einen Halt einzulegen und das Herz der Schweiz kennenzulernen.
Sollte dieser Plan gelingen, wie es Mister Gotthard vorschwebt, droht ihm am Ende ein neuer Name. Dann könnte ihm das Attribut des Heiligen verliehen werden: Mister San Gottardo. Ganz im Einklang mit der Region, um die er sich kümmert.
Mehr
Neat
Mudry (64) ist seit Anfang März 2008 im Amt als Leiter des Projekts San Gottardo.
Der Walliser war ehemaliger Kommandant der Gotthard-Division und ist beim Militär mittlerweile pensioniert.
Schon als Generaldirektor der Olympiakandidaturen «Sion 2002» und «Sion 2006» hatte er es mit grossen Projekten zu tun, deren Ausgang alles andere als sicher war.
Er war fünf Jahre lang Direktor von Swiss Ski, dem Schweizerischen Skiverband.
Seit 35 Jahren lebt Mudry im Tessin. Er ist auch Präsident von Goms Tourismus (Wallis) und kennt die Nöte und die verschiedenen Mentalitäten der Bergregionen gut.
Die Idee zur einer Expo 2020 lancierte Marco Solari vor zwei Jahren erstmals im Zürcher Tages-Anzeiger.
Solari ist Präsident des Tessiner Verkehrsvereins, Präsident des Filmfestivals Locarno und ehemaliger Delegierter des Bundesrats für die 700-Jahre-Feierlichkeiten der Eidgenossenschaft 1991.
Der Regierungsrat des Kantons Tessin gab dem Tessiner Verkehrsverein im April 2008 ein offizielles Mandat, einen Rapport für eine Ausstellung unter dem Arbeitstitel Gottardo 2020 zu erstellen.
Ausgearbeitet wurde dieser Bericht vom «Projekt San Gottardo», das die vier Gotthard-Anrainerkantone (Uri, Wallis, Graubünden, Tessin) seinerzeit als «Projekt zur Raum- und Regionalentwickelung Gotthard» (Prego) lanciert hatten.
Leiter dieser regionalpolitischen Initiative ist Mister Gottardo Jean-Daniel Mudry.
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