Dolomit am Gotthard wurde fast zum Stolperstein
Gegen 6 Milliarden hat er auf der grössten Baustelle der Schweiz für den längsten Bahntunnel der Welt verbaut. Jetzt ist der Chef von Alptransit Gotthard im Ruhestand.
Peter Zbinden arbeitete seit 1992 bei den SBB für das Grossprojekt. Im Gespräch mit swissinfo blickt er auf seine 15-jährige Tätigkeit zurück.
Als im Mai 1998 die Alptransit Gotthard AG (ATG) als Tochtergesellschaft der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) gegründet und vom Bund mit der Realisierung der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) beauftragt wurde, übernahm Zbinden den Vorsitz der Geschäftsleitung.
Unter seiner Leitung wurden über 60% des Tunnelsystems für den Gotthard-Basistunnel ausgebrochen. Ende März ging der 61-jährige Bauingenieur in Frühpension.
swissinfo: Bei der Amtsübergabe an ihren Nachfolger Renzo Simoni überreichten Sie ihm einen Rucksack samt «Selbstretter», einer Art Atemgerät. Herrscht im Tunnelbau dicke Luft?
Peter Zbinden: Nein. Aber auf unseren Baustellen haben alle, die den Tunnel besuchen, einen «Selbstretter»-Rucksack. Das war einfach eine symbolische Übergabe an meinen Nachfolger.
swissinfo: Was hat Sie während Ihrer Tätigkeit für das Projekt Alptransit Gotthard am meisten gefreut?
P.Z.: Es gab viele Höhepunkte; der aller wesentlichste war aber der 2. Juni 2006 mit der Grundsteinlegung für den Ceneri-Basistunnel, also für die eigentliche Flachbahn am Gotthard.
swissinfo: Und was hat Sie am meisten geärgert?
P.Z.: Das vergisst man, wenn man positiv zum Leben und positiv zu diesem Projekt eingestellt ist. Dann gehen einem die weniger schönen Zeiten rasch aus dem Sinn.
swissinfo: 2006 war das turbulenteste Jahr seit Baubeginn am Gotthard: Streitereien innerhalb der ATG-Geschäftsleitung, zweimalige Anfechtung der Vergabe des letzten Loses für den Tunnelrohbau, Politiker-Schelte. Haben Sie gelitten?
P.Z.: Wenn ich nicht nur 2006 anschaue sondern insgesamt die 15 Jahre meiner Tätigkeit, dann waren die turbulentesten Jahre 1996, 97 und 98.
Drei Jahre, in denen wir die Piora-Mulde sondierten und zunächst auf zuckerförmigen Dolomit stiessen. Heute wissen wir ja, dass wir einen harten Dolomit-Sandstein haben. Zuckerförmiger Dolomit hätte Mehrkosten von 800 Mio. Franken und eine Bauzeit von mindestens acht Jahren zur Folge gehabt.
swissinfo: Im Zusammenhang mit der Werkvertrags-Vergabe fielen die härtesten Vorwürfe. Der Glarner Bauunternehmer und Ständerat der Schweizerischen Volkspartei (SVP), This Jenny, sprach von «Mauscheleien» und «bananenrepublik-ähnlichen Zuständen». Hat Sie das verletzt?
P.Z.: Es hat mich nicht persönlich gekränkt. Es waren ungerechtfertigte Anschuldigungen an meine Mitarbeiter.
Ich bin deshalb sehr froh, dass nicht nur unabhängige Fachleute, sondern auch die NEAT-Aufsichtsdelegation, eine parlamentarische Kommission, in ihren Untersuchungen zum Schluss kamen, dass wir die Arbeit professionell und rechtens gemacht und weder den einen noch den anderen bevorzugt oder benachteiligt haben.
Bis heute hat sich noch niemand für diese unberechtigten Vorwürfe entschuldigt. Aber ehrlich gesagt: Haben Sie dies erwartet? Ich jedenfalls nicht.
swissinfo: Wie war das Einvernehmen mit den Behörden, die im Namen des Volkes die NEAT-Projekte steuern? In der Bundesverwaltung hiess es bisweilen, der Umgang mit Ihnen sei schwierig.
P.Z.: Ja, das habe ich auch einige Male gehört. Vielleicht liegt es daran, dass man bei der Führung eines solchen Werkes manchmal etwas hartnäckig sein muss.
Auch meine Kritik am Gebrauch der finanziellen Reservemittel für politisch beschlossene Projekt-Änderungen wurde in Bern nicht gerne gehört. Dennoch hatten wir ein sehr gutes Einvernehmen mit der NEAT-Aufsichtsdelegation.
swissinfo: Finden Sie die Porta Alpina, die unterirdische Station im neuen Gotthard-Tunnel, sinnvoll?
P.Z.: Wenn ich mein Herz in die Surselva verlege, dann verstehe ich die Bewohner dieser Region. Sie möchten mit der Porta Alpina die Chance packen, um auch von dieser direkten Verbindung zu profitieren.
Der Gotthard-Basistunnel wurde aber nicht für den regionalen Verkehr projektiert. Man muss sich überlegen, ob der Tunnel mit einer Porta Alpina noch ausbaubar ist – ich denke insbesondere an einen Halbstundentakt zwischen Lugano und Zürich. Und: Wer will die enormen Betriebskosten für eine solche Station bezahlen?
swissinfo: Sind Sie letzten Endes wegen all der Turbulenzen vorzeitig am 1. April in den Ruhestand getreten?
P.Z.: Meine Pensionierung wurde immer in Zusammenhang mit dem Jahr 2006 gebracht. Das ist aber überhaupt nicht der Fall.
Ich hatte mit meiner Frau schon im vorletzten Jahr bestimmt, dass ich Ende 2005 in Pension gehe – allerdings erst nach der Grundsteinlegung des Ceneri-Basistunnels. Dies passierte dann leider erst im Juni 2006.
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swissinfo: Was haben Sie vor in Ihrer neuen Lebensphase? Modelleisenbahn-Spielen, oder haben Sie schon Angebote aus der Privatwirtschaft erhalten?
P.Z.: Modelleisenbahn? Nein. Hingegen habe ich schon sehr viele Angebote erhalten, von Wien bis Solothurn. Bis heute habe ich zu allen Nein gesagt, weil ich nicht in Pension gegangen bin, um weiter zu arbeiten. Jetzt will ich das Leben geniessen und meine Wanderungen, die ich in den letzten Jahren zurückstecken musste, nachholen.
swissinfo-Interview: Jean-Michel Berthoud
Das Projekt der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) wurde 1998 in einer Volksabstimmung angenommen:
Ausbau der Gotthard-Achse durch den Bau eines neuen Basistunnels (57 km) zwischen Erstfeld (Kanton Uri) und Bodio (Tessin). Baubeginn: 1999; voraussichtliche Inbetriebnahme: 2017.
Ausbau der Lötschberg-Simplon-Achse. Vorgesehene Inbetriebnahme des neuen Lötschberg-Basistunnels (34,6 km) zwischen Frutigen (Kanton Bern) und Raron (Kanton Wallis): 2007.
Integration der Ostschweiz ins NEAT-System. Ausbau der Achse St. Gallen-Arth Goldau (Kanton Schwyz).
Länge Ceneri-Basistunnel: 15,4 km
Länge neuer Gotthard-Basistunnel: 57 km
Fahrzeit Zürich-Mailand (2007): 4 h 26
Fahrzeit Zürich-Mailand (mit NEAT): 2 h 40
Der erste vom Parlament 1999 bewilligte Kredit für die NEAT belief sich auf 12,6 Mrd. Franken.
2001 wurde der Kostenvoranschlag der Teuerung angepasst und kletterte auf 14,7 Mrd. Franken. Später wurden die Gesamtkosten auf 16,5 Mrd. Franken geschätzt.
Laut Bundesamt für Verkehr könnte sich die Rechnung am Ende auf 24 Mrd. Franken belaufen.
Geb. 1945 in Frutigen. Schulen und Lehre in Frutigen, anschliessend Technikum in Burgdorf.
17 Jahre für Elektrowatt im Raum Zürich, von 1983 bis 1986 an der Neubaustrecke Hannover-Würzburg tätig.
1986 bis 1992 Umbau-Projektleiter des SBB-Hauptbahnhofs Zürich.
Seit 1992 Stellvertreter des SBB-Delegierten für das Projekt Alptransit Gotthard.
Vorsteher der 1998 ausgelagerten SBB-Tochter Alptransit Gotthard AG (ATG).
Ab 1. April 2007 Eintritt in den Ruhestand.
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