Ein Schweizer als Mister Knigge in China
Während Europäern der Reis weiterhin zwischen die Stäbchen fällt, üben immer mehr Chinesen den korrekten Schnitzel-Schnitt und Weinglas-Griff.
Asien- und Gastro-Geschäftsmann Andy Mannhart, seit zwei Jahren in Schanghai, berät chinesisches Führungs- und Firmenpersonal in westlichen Benimm-Fragen.
Selbständig erwerbende Auslandschweizer waren immer schon auf gute Marktnischen angewiesen. Andy Mannhart, 52, schafft sich seine seit über 30 Jahren selbst. Als Koch wanderte er mit 22 Jahren nach Australien aus. In den 70er-Jahren packte ihn dann das Asien-Fieber. Das hat ihn bis heute nicht mehr losgelassen.
Wie man mit Asiaten geschäftet, lernte er als Vertreter schweizerischer Küchen- und Hotelbedarf-Firmen in Singapur. Mitte der 80er-Jahre machte er sich mit seiner Frau selbständig, kam in die Schweiz zurück und nahm die asiatischen Bestellungen für Geräte aus Europa in Eigenregie auf.
Als Verkäufer reiste er viel, während seine Frau zu Hause das Geschäft in Ordnung hielt. Während der vielen Geschäftsessen wurde er immer häufiger von chinesischen Partnern um Rat angegangen, was «Rules and Regulations» im westlichen Benimm- und speziell im Tischbereich betrifft.
swissinfo: Andy Mannhart, wir Europäer empfinden die Abwesenheit von Tischregeln in China oft belustigend, natürlich, fast schon befreiend. Uns wurde ja das Suppe-Schlürfen und Spaghetti-Zerhacken von Kind an ausgetrieben. Weshalb dürfen es die Chinesen
Andy Mannhart: Das Benehmen ist in China in erster Linie eine Frage der Schichtzugehörigkeit. Zweitens ging während der Kulturrevolution viel Benimm-Know-how vergessen. Oft fehlt es auch an internationalem Umgang, das Land war ja über Jahrzehnte hinweg abgeschottet.
Heute verpflegen sich viele Chinesen nur noch. Folglich fehlt es an «Service»-Kultur. Das Freundliche, Höfliche, Zuvorkommende ist noch nicht wiedergekehrt. Kein Wunder, hatte doch die Regierung den Leuten strikt vorgeschrieben, was für Berufe sie auszuüben hatten – ob sie das nun wollten oder nicht.
Doch viele Leute in China beginnen zu spüren, dass es für ihre Zukunft wichtig ist, sich die Verhaltens-Regeln neu anzueignen. Die Nachfrage ist riesig.
swissinfo: Für uns Europäer gelten doch gerade Asiaten als höflich und gut erzogen. Wie kreuzt sich das mit ihrem Manko an Ess-Kultur?
A.M. China hat oft zwei Gesichter. In vielen Aspekten ist das Benehmen viel strikter als unseres. Dies paart sich dann mit einer masslosen Disziplinlosigkeit in anderen Bereichen – immer mit unseren Augen gesehen.
Besonders schlimm steht es um das Verhalten im Verkehr, oder eben mit dem Essen. Dieselbe Person, die chaotisch und lebensgefährdend durch die Strassen kurvt und im Restaurant auf den Boden spuckt, verbeugt sich kurz darauf ehrfürchtig vor ihrem Lehrer.
swissinfo: Wo liegt das Schlüssel-Benimmproblem der Chinesen, aus unserer Sicht?
A.M. So wie ich das empfinde, ist die Spuck-Unart sehr schwierig zu bekämpfen. Meine Kunden müssen sich äusserst stark konzentrieren, um ein Verhalten zu ändern, das sie während 20 oder mehr Jahren als völlig in der Norm liegend erachtet haben.
swissinfo: Wer ist denn lernfähiger bei den Chinesen? Frauen oder Männer?
A.M. Eindeutig die Frauen. Es kommen auch mehr Frauen an meine Kurse. Chinesinnen wissen meist, dass man sich benehmen kann. Vieles kennen sie schon aus westlichen Filmen. Sie wissen nur nicht immer wie.
Im Vergleich zu Europa benehmen sich Männer in China auch weniger zuvorkommend gegenüber Frauen. Galant geben sie sich nur während der wenigen Monate, in denen sie verliebt sind.
swissinfo: Wie muss man sich denn einen Benimm-Kurs bei Ihnen vorstellen?
A.M. Vor zweieinhalb Jahren habe ich in einem Bürogebäude zwei schöne Schulungsräume eingerichtet. Seit zwei Jahren gebe ich die Kurse. Sie beginnen jeweils um 9 Uhr vormittags.
Zu Beginn gibts einen Film, wo sich ein (Schweizer) Paar bei Tisch daneben benimmt. Das wird dann diskutiert. Dann folgt eine Einführung in westliche Restaurations-Typen.
Wie soll ein Chinese in Europa eine Menu-Karte verstehen? Auch wenn er fliessend Englisch spricht, kann er sich ja unter einem «Wiener Schnitzel», «Rossini» oder «Stroganoff» nichts vorstellen.
swissinfo: Wie aber soll man die Sprache einsetzen, wenn man die Begriffe nicht kennt?
A. M. Ich rate den Leuten, den Empfehlungen des Kellners zu folgen statt den Finger auf ein unbekanntes Gericht auf der Karte zu halten und nachher enttäuscht zu sein.
Woher soll ein Chinese wissen, welches Glas für den Rotwein und welche Gabel für das Dessert bestimmt ist? Wir führen deshalb ein grosses Besteck-Sortiment und viele Gläserarten vor.
Dann essen wir uns korrekt durch ein Vier-Gang-Menu durch. Auch der Umgang mit Brot ist für Chinesen unbekannt.
swissinfo: Wenn die ganze chinesische Business-Elite Gabel und Messer beherrscht, was tun Sie dann?
A. M.: Bei der Grösse Chinas werde ich das nicht mehr erleben. Dank meiner Frau jedoch werden wir das Angebot in Schanghai bald ausbauen. Die Chinesen essen nicht nur gern westlich, sie möchten auch die Küche kennen, und zwar auch die Männer. Es gibt also bald Grundkochkurse in Westküche.
Schliesslich planen wir auch eine Hauswirtschafts-Schule nach Schweizer Massstab in China.
swissinfo-Interview: Alexander Künzle
Gutes Benehmen, Tischsitten und Galanterie haben viel mit dem Alltag und den Lebensumständen in der Umgebung zu tun, in der die Leute leben.
So ist es im europäischen Wohlstand einfach, sich einigermassen anständig aufzuführen, das Essen nicht laut schmatzend runterzuschlucken, Frauen die Tür zu öffnen oder vor der Kasse anzustehen.
Wenn hingegen wie in China der Alltag über Jahrzehnte hinweg von Schlangestehen und Mangelwirtschaft geprägt war, ändern sich auch Verhalten und Benehmen.
Viele Chinesen wollen sich heute in westlicnen Benimm-Regeln beraten lassen.
Andy Mannhart, 52, ist ein alter Asien-Kenner.
Als 22-Jähriger wanderte er nach Australien aus.
Als bereits erfahrener Verkäufer von Schweizer Hotel- und Cateringbedarf in Asien macht er sich 1985 zusammen mit seiner Frau selbständig und kommt in die Schweiz.
Nach 20 Jahren «Andy Mannhart AG» entschliesst er sich zum Verkauf seiner Firma.
Er eröffnet in Schanghai die «Andy Mannhart Business Consultancy (Shanghai) Co».
Bald werden mit Hilfe seiner Frau Grundkochkurse und eine Hauswirtschafts-Schule folgen.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch