Einbruch kam heftig und schnell
Die Autoindustrie steckt in vielen Ländern in der Krise. Davon betroffen sind auch zahlreiche Schweizer Unternehmen, die zwar selber keine Automobile produzieren, aber als Zulieferfirmen von dieser Branche abhängen.
Anfang Woche ist bekannt geworden, dass Nexis Fibers in Emmenbrücke, die 1906 gegründete Viscosuisse, vor dem Bankrott steht. Grund: Die schlechte Marktsituation in den Hauptsegmenten, unter anderem im Automobil-Sektor.
Der Garn-Hersteller Nexis Fibers ist eines der zahlreichen Unternehmen in der Schweiz, das man nicht auf den ersten Blick als Auto-Zulieferer identifiziert. «Man kann die Branche nicht richtig fassen», sagt der Industrie-Analyst der Bank Vontobel, Patrick Laager, gegenüber swissinfo. Viele Zulieferer arbeiten diversifiziert.
Grosse Branche – schwer zu fassen
Bei der Bieler Unternehmung Feintool seien es 85 Umsatzprozente, die mit Fahrzeug-Komponenten gemacht würden, bei Sulzer nur 5%. Insgesamt erzielt die Branche der Schweizer Automobil-Zulieferer einen Umsatz von 16 Mrd. Franken und beschäftigt rund 34’000 Mitarbeiter.
Eine neue Studie der ETH-Zürich hält ausserdem fest, dass von den über 300 Zuliefer-Firmen 17% ausschliesslich für die Fahrzeugindustrie produzieren – obwohl es in der Schweiz seit langem keinen eigentlichen Fahrzeug-Hersteller mehr gibt.
Unter diesen 300 Unternehmen gibt es grosse börsenkotierte Namen wie GF und Rieter, oder andere bekannte Traditions-Firmen wie Arbonia Forster oder Scintilla, aber auch in Konzernen integrierte Tochterfirmen wie Eftec (Teil der EMS-Gruppe), Sia Abrasives (Bosch), sowie viele kleine mittelständische Entwicklungs- und Ingenieurbüros aus der Maschinenindustrie.
Global tätig, dem Wettbewerb ausgesetzt
Die Branche ist global ausgerichtet, also stark vom Export und damit auch vom Wechselkurs abhängig. «Ganz trübe Aussichten», fasst Laager den Ausblick der «Automotive» Zuliefer-Branche zusammen: «Bis 2010 sieht man keine positive Trendumkehr».
Etwas weniger pessimistisch gibt sich der Vertreter der Maschinenindustrie: Der Branche gehe es unterschiedlich, sagt Ruedi Christen von Swissmem. In einigen Zweigen flache der Verlauf ab, in andern sei er eingebrochen.
Das Problem sei vor allem, dass die Komponenten-Käufer von den Banken weltweit keine akzeptablen Kredite mehr erhielten. «Die Banken zahlen mit den staatlichen Hilfspaketen lieber Dividenden! Aber der Aufschwung kommt wieder», so Christen gegenüber swissinfo.
Nicht viel anders als auch schon
Christen sieht in der gegenwärtigen Abwärtsbewegung vor allem eine konjunkturelle Angelegenheit: «Zuerst trifft der Abschwung immer die Textilmaschinen, dann kommen die Auto-Zulieferer dran – so gesehen läuft diesmal kaum etwas anders ab als früher auch schon.» Neu sei diesmal nur, dass der Einbruch derart schnell und heftig kam.
Die Probleme auf dem Schweizer Arbeitsmarkt hingegen seien strukturell bedingt: Es mangle weiterhin an Ingenieuren und Fachleuten. Das zeige sich auch daran, dass bei dieser Art von Mitarbeitenden kaum Personal abgebaut würde.
Grosse Wertschöpfung in der Zulieferindustrie
Hinter den bekannten Marken stünden immer mehr die Zulieferer selbst, sagt Laager: «Inzwischen gehen 70% der Wertschöpfung der Fahrzeuge auf die Zulieferer zurück.»
Denn die Autohersteller mussten, getrieben vom Aktionariat und an Rendite interessierten Investoren, seit Jahren Kosten drücken und einsparen. So ist das Rennen um energie- und umweltschonendere Fahrzeuge immer mehr im vorgelagerten Bereich der Zulieferer ausgefochten worden.
Bis 10 Umsatzprozente sind im Bereich Kraftfahrzeug-Technik in neue Technologien investiert worden – beim Hersteller Daimler selbst hingegen nur noch 4%. Seit 2000 hat sich in der deutschen Zuliefer-Industrie auch die Zahl der Hochschulabsolventen verdoppelt.
Die Treibstoff sparenden Hybridsysteme der deutschen Automarken gehen auf Entwicklungen von Zulieferern und nicht von Autobauern zurück, ebenso die Forschung um leistungsfähigere Batterien.
Nischen und Innovation
Solche Nischenproduktionen und eine hohe Innovationskraft würden den meisten Schweizer Zulieferern helfen, die Rezession zu überstehen, schätzt Laager.
«Der Trend zeigt zwar, dass bei den Schweizer börsenkotierten Zulieferern die Marge in den letzten Jahren gesunken ist.» Dennoch glaubt der Vontobel-Analyst, dass wohl alle grossen Unternehmen in der Schweiz überleben werden. Im Gegensatz zum Ausland, wo er Konsolidierungen sprich Übernahmen kommen sieht.
Doch die Gefahr von Übernahmen wächst: Edgar Oehler, Hauptaktionär der Arbonia Forster Gruppe, beklagt gegenüber dem Schweizer Fernsehen den Umstand, dass sich dank fallenden Aktien die Aktienkapitalisierung von Unternehmen wie seinem halbiert habe.
«Diese entspricht nicht einmal mehr dem realen Wert des Unternehmens.» Oehler könne sich glücklich schätzen, Mehrheitsaktionär von Arbonia Forster zu sein, sonst müsste er befürchten, dass ihm gewiefte Financiers durch Aktienkauf die Firma auskauften.
Zu solchen Übernahmen ist es während der letzten Rezession verschiedentlich gekommen. Jetzt könnten sich diese Szenarien wiederholen.
swissinfo, Alexander Künzle
Neben den bekannten börsenkotierten Zuliefer-Unternehmen wie Georg Fischer oder Rieter gibt es in der Schweiz Dutzende von KMU-artigen Firmen, die ganz oder teilweise auch für die Automobilindustrie arbeiten.
Die geografische Verteilung der Firmensitze innerhalb der Schweiz zeigt regionale Schwerpunkte, im Mittelland und der (Nord-)Ostschweiz. Allein im Kanton Solothurn figurieren über 40 Firmen als Zulieferer.
Die Branche umfasst ausserdem bei weitem nicht nur Hardware-Bestandteile von Fahrzeugen. Im Fertigungs-Bereich liefert sie auch Automatisierungs- und Montageanlagen sowie Sondermaschinen.
Dazu kommen Software-Angebote sowohl für die Automobil- als auch für die Zulieferindustrien selbst.
Stark entwickelt haben sich innerhalb der Zulieferbranche auch die Dienstleistungen: Prozessberatung, Ingenieurbüros, Marketing- und Werbebüros liefern den Fahrzeug-Herstellern ebenso zu wie es Bestandteil-Produzenten tun.
Das Bonmot, wonach die Schweiz von der Grippe befallen werde, wenn Deutschland zu husten beginnt, trifft vor allem für die Zuliefer-Industrie zu.
Mit Automarken wie Mercedes, VW, Audi oder BMW gilt Deutschland als das Land der Fahrzeugindustrie schlechthin.
Aber auch Bosch als weltgrösster Auto-Zulieferer, Mahle und ZF sind deutsche Unternehmen.
Erstaunlicherweise gehören diese Grossen unter den Zulieferern nicht Aktionären, sondern sind Stiftungen.
Damit werden sie, im Gegensatz zu den zyklisch viel anfälligeren AG, viel resistenter gegen (un-)freundliche Übernahmen.
Gegenüber dem Hauptkonkurrenten Japan sind in Deutschland die Zulieferer viel weniger abhängig von den Autobauern.
Grund: Japanische Autokonzerne halten Kapitalanteile an ihren Zulieferern.
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