Eine Bedrohung der Privatsphäre
Die Stadt Zürich hat präventiv gehandelt und verboten, aus Schwimmbädern Fotos über Handys zu versenden.
Die Befürchtungen rund um missbräuchliche MMS sind nicht aus der Luft gegriffen, die Bilder finden rasch ihren Weg ins Internet.
Bis jetzt sind es nur Gerüchte oder unbestätigte Meldungen, dass Bilder, missbräuchlich mit dem Mobiltelefon aufgenommen, grossflächig verbreitet werden. Es geht dabei etwa um Angeklagte, die im Gerichtssaal fotografiert worden sein sollen oder gar um Filme von Vergewaltigungen, die via Internet zugänglich seien.
Gerätehersteller werben damit, dass mit dem Handy rasch und problemlos geknipst werden könne. Auf einem der Plakate für MMS («Multimedia Message Service») wird eine Frau (ein Star?) gezeigt, die versucht, ihr Gesicht vor dem MMS-«Fotografen» zu verbergen.
Kreative Anwender
«Die Anwender von neuen Technologien sind sehr kreativ, sie erfinden Anwendungen, welche die Hersteller nicht wirklich wollten», erklärt Kesia Trench, Soziologin an der Universität Zürich und Autorin einer Studie über die Nutzung von Mobiltelefonen durch Jugendliche.
Gemäss der Forscherin ist es sehr schwierig, die Anwendung von Mobiltelefonen zu regeln – beispielsweise sehe man das in den Schulen, die auf verschiedene Arten immer wieder versuchten, missbräuchlichen Handygebrauch zu unterbinden.
In der Stadt Zürich gibt es jedoch noch in anderen öffentlichen Räumen Regeln: In den städtischen Schwimmbädern sind MMS nicht erlaubt.
Die Massnahme ist nicht neu, aber sie gab wegen des grossen Andrangs in den Schwimmbädern in den vergangenen Wochen plötzlich zu reden.
«Wir haben bereits im letzten Winter eine solche Massnahme ergriffen», erklärt Hermann Schumacher vom Sportamt Zürich und verantwortlich für die Schwimmbäder.
Ein neues Pictogramm
Eröffnet worden war die Diskussion durch ein ähnliches Verbot für zwei Fitnessclubs der Stadt, das die Aufmerksamkeit auf diese neuen Probleme richtete.
Nun ist also zu den bisher bekannten Verbotsschildern ein neues Piktogramm mit einem rot durchgestrichenen Handy gekommen.
Die Stadt weitet damit das bestehende Verbot für Fotoapparate und Filmkameras aus. «Wir wollen unsere Gäste schützen. Schwimmbäder sind heikle Orte, und wir wollen lieber präventiv vorgehen», erläutert Schumacher.
Teilverbot
Das Verbot gilt nur für Fotos, die ohne Wissen oder Einverständnis der Fotografierten aufgenommen werden. Wer einen Nachmittag im Schwimmbad mit der Familie oder mit Freunden verewigen will, ob mit einem herkömmlichen Apparat oder einem Handy, kann das auch weiterhin tun.
Die bereits bisher geltende Ausweisung von Leuten, die andere ohne deren Einverständnis fotografieren, wird nun ausgeweitet. Wiederholungssündern kann der Eintritt in die entsprechende Badeanstalt verboten werden.
Die Schwimmbäder wollen aber keine Kontrollen durchführen. Badende, die sich belästigt fühlen, sollen ihre Rechte selber geltend machen.
Bei der Stadt sind bisher noch keine Klagen eingegangen, auch musste noch in keinem Schwimmbad gegen heimlich Fotografierende vorgegangen werden.
Gut angekommen
Der Datenschutzbeauftragte der Stadt begrüsst die Massnahme: «Die Schwimmbadverantwortlichen haben Recht, wenn sie präventiv vorgehen», erklärt Thomas Bärlocher. «Anders als die Videoüberwachung bietet diese Massnahme keine rechtlichen Probleme.»
Das Verbot von Handyfotos ist mit dem Datenschutzgesetz und dem Zivilgesetzbuch vereinbar, das den Schutz der Persönlichkeit und das Recht auf das Bild anerkennt. Wer ohne seine Einwilligung fotografiert wird, hat das Recht, sich dagegen zu wehren.
Begrüssenswerter Schritt
Auch wissenschaftliche Beobachter begrüssen den Zürcher Schritt. «Ich finde, Zürich hat Recht», sagt Nicolae Chiurtu vom Labor für mobile Kommunikation der ETH.
«Mit den MMS können die Bilder sehr schnell aufs Internet gelangen. Das ist nicht gleich wie bei einem Fotoapparat oder einer herkömmlichen Kamera.»
Frédéric Ischy vom Institut für Anthropologie und Soziologie der Universität Lausanne versteckt seine Überraschung über den Zürcher Entscheid nicht.
«In einer Forschungsarbeit über die Haltung der Behörden gegenüber neuen Technologien kamen wir zum Schluss, dass die Politiker immer eine sehr positive Haltung einnehmen. Sie haben Vertrauen, dass neue Technologien Probleme zu lösen vermögen. Wir haben in unseren Interviews keine misstrauische oder präventive Haltung gefunden, wie sie jetzt die Stadt Zürich zeigt.»
Scharf beobachtete Entwicklung
In der Romandie zeigt eine kurze Umfrage, dass die Verantwortlichen der Schwimmbäder bisher keinen Anlass zum Handeln sahen.
«Das Problem stellte sich noch nie, aber wir können natürlich nicht sagen, dass das so bleibt», sagt Jean-Paul Gaillard, stellvertretender Leiter des Sportamts Lausanne. «Wir schauen, wie sich die Situation entwickelt, bevor wir ein eventuelles Verbot aussprechen.»
«Wir beobachten die Anwendung dieser Apparate in den Schwimmbädern genau», erklärt Ignace Bichet vom Sportamt Sitten. «Fotoapparate sind schon heute verboten. Aber das Problem mit MMS hatten wir bisher nicht.»
Immer mehr MMS-Nutzer
Laut Swisscom nimmt die Zahl von MMS-Nutzern laufend zu. «MMS gibt es seit Mai 2002. Heute nutzen es rund 150’000 Personen, 100’000 davon regelmässig», erklärt Swisscom-Sprecher Christian Neuhaus.
Orange spricht von 60’000 Nutzern, Sunrise veröffentlicht keine Zahlen.
Für Christian Neuhaus ist die Diskussion rund um MMS falsch: «Nehmen Sie beispielsweise eine digitale Kamera. Einige davon sind sehr klein. Damit machen Sie bessere Bilder und können sie ebenfalls sehr schnell übers Internet verbreiten, Sie müssen sich einfach am nächsten Computer einloggen.»
Auch wenn nach allgemeiner Ansicht die Qualität zu wünschen übrig lässt, kann man sich damit einen Namen machen: Swisscom hat soeben den ersten MMS-Fotowettbewerb lanciert. Preis der Übermittlung: zwischen 20 und 90 Rappen, je nach Grösse der Daten.
swissinfo, Ariane Gigon Bormann, Zürich
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)
Der grösste Schweizer Anbieter Swisscom zählt 150’000 MMS-Nutzer, davon 100’000 regelmässig
Orange spricht von 60’000 Nutzern
Sunrise veröffentlicht keine Zahlen.
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