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Eine Überraschung in einem multikulturellen Land

Protestaktion mit Kerzen gegen die Minarettverbots-Befürworter auf dem Berner Bundesplatz. Reuters

Weltweit wurde das Abstimmungs-Ergebnis in der Schweiz zur Kenntnis genommen. Die Schweiz handle sich damit weitere Probleme ein, vermuten die Medien. Kritisiert wurde es von Seiten der EU.

Oslobodjenje, eine Wochenzeitung für alle Volksgruppen in Bosnien und Herzegowina, unterstreicht, die Aussage der Schweizer Antrirassismus-Kommission, dass das Minarettverbot in der Schweiz «Hass hervorrufe». Die Zeitung hält fest, dass die meisten Muslime in der Schweiz Kriegsflüchtlinge aus Bosnien seien.

Obwohl es sich bei den rund 200’000 Kosovaren in der Schweiz meist nicht um strenggläubige Muslime handle, fühlten sich diese betroffen vom Votum der Schweizer Stimmbürger, sagte der kosovarische Botschafter Naim Malaj. «Das ist ein bedauerlicher Entscheid», der eine «schlechte Botschaft» vermittle, sagte Malaj.

Reaktionen aus der arabischen Welt

«Nein zu Minaretten – ein Schock für die Muslime in der Schweiz», schreibt die Site Islam online. Konfusion und Überraschung herrsche bei den Schweizer Muslimen vor.

Die Site zitiert Hicham Abou Maizer, den Präsidenten der Vereinigung der Muslimischen Organisationen in der Schweiz: «Wir wollen nicht, dass Schweizer Fahnen verbrannt werden oder dass man den Interessen der Schweiz im Ausland schadet, denn solche Aktionen sind weder nützlich noch gut, aber wir appellieren an die Vernuft und verlangen, dass die rassistischen Intitianten beobachtet werden.»

«Katastrophal»

Die libanesische Zeitung Annahar schreibt, dass es eine «grosse Überraschung» sei, dass die Inititiative so viel Zustimmung erhalten habe. Diese Abstimmung setze die Schweiz an einen der vorderen Plätze in Sachen Konfrontation mit dem Islam in Europa.

Die Zeitung zitiert auch Tariq Ramadan, einen in Genf lebenden Muslim, der das Abstimmungsresultat als «katastrophal» bezeichnet. Die Schweizer hätten ihre wahren Ängste ausgedrückt und die tiefgreifende Problematik der Anwesenheit des Islams in der Schweiz aufgezeigt.

«Demütigung»

Der ägyptische Mufti betrachtet das Abstimmungsergebnis in der Zeitung Emirats aujourdhui als «Demütigung». Dieses Zitat wurde von mehreren arabischen Medien aufgegriffen, da es von den arabischen Agenturen verbreitet wurde.

Der Urnengang wurde allerdings in den arabischen Medien nur beschrieben, nicht gross kommentiert. Zur Zeit ist das islamische Opferfest in Gang.

Reaktion aus dem bevölkerungsreichsten islamischen Staat

Die wichtigste muslimische Organisation in Indonesien verurteilte den Entscheid als Ausdruck von Hass und Intoleranz gegen den Islam.

«Es ist ein Zeichen des Hasses der Schweizer auf die Muslime. Sie wollen keine Präsenz des Islams in ihrem Land. Diese Ablehnung macht sie intolerant», sagte der Chef von Nahdlatul Ulama (NU), Maskuri Abdillah.

«Wut-und Frust-Votum»

Als «Wut- und Frust-Votum», eine «Katastrophe» für die Schweiz wird das Ja zum Minarett-Verbot in der Schweiz in der deutschsprachigen internationalen Presse kommentiert. Letztlich gelangen die Kommentatoren zum Schluss, dass sich die Schweiz damit neue Probleme eingehandelt hat.

Das Verbot werde folgenschwere Auswirkungen haben und die «Schweiz international vor grosse Probleme stellen», heisst es im Kommentar des Spiegel. Darunter leiden würden sowohl die Wirtschaft und die Banken, aber wohl auch der Tourismus. Und zudem «wird es die Schweiz für muslimische Länder auch in ihrer Glaubwürdigkeit als Vermittlerin beschädigen».

Die Partei hinter alldem

Der Zürcher Korrespondent der britischen Financal Times schreibt, die Abstimmung in der Schweiz werde «möglicherweise zu einer Gegenreaktion in der muslimischen Welt führen. Der gefühlsbeladene Urnengang, angeheizt durch eine umstrittene Plakatkampagne, die Minarette wie Geschosse zeigte, erzielte eine unerwartet hohe Stimmbeteiligung».

Kommentiert wird die Partei, die hinter der Initiative stand:»Die Partei, die seit 15 Jahren stetig gewachsen ist und die Politik durch scharfen Populismus dominiert, hat die Islamisierung der Schweizer Gesellschaft heraufbeschworen, zusammen mit Ausländerkriminalität und Sozialmissbrauch.»

Auch die New York Times sieht die Gefahr einer Gegenreaktion. «Der Ausgang der Abstimmung ist eine Überraschung in einem Land, das stolz darauf ist, Einwandernde zu integrieren und in dem ein Fünftel der Bevölkerung Ausländer sind.»

Ähnliche Ergebnisse in Frankreich?

Die französische Tageszeitung La Croix schreibt am Montag zu der Abstimmung über Minarette in der Schweiz:

«Man kann die Schweizer stigmatisieren, mit ihrem Willen, ihre Besonderheit und ihren Wohlstand zu schützen. Aber würde eine solche Abstimmung in anderen Ländern nicht ähnliche Ergebnisse bringen? In Zeiten, in denen die Arbeitslosigkeit hoch ist, zieht man sich auf sich selbst zurück, der Fremde erscheint als Bedrohung. Eine Mischung aus Furcht und Unwissenheit erklärt das Ergebnis. Der Islam wird mit den Extremisten gleichgesetzt, die die internationalen Nachrichten bestimmen. Und es stimmt auch, dass die Gegenseitigkeit der Religionsfreiheit nicht gegeben ist. Solange islamische Länder wie Saudiarabien den Bau von Kirchen nicht erlauben und die Rechte der Christen nicht anerkennen, kann von Gegenseitigkeit keine Rede sein.»

Die Europäische Union kritisiert

In der Europäischen Union (EU) ist heftige Kritik am Bauverbot für Minarette in der Schweiz geübt worden.

«Ich glaube an die Freiheit. Und ich denke nicht, dass wir ein neues Europa ohne das Recht auf Meinungsäusserung bauen können», sagte die schwedische Justizministerin und derzeitige EU-Ratspräsident Beatrice Ask am Montag in Brüssel am Rand eines Treffens der EU-Justiz- und Innenminister.

Ausdruck der Intoleranz

Auch der französische Aussenminister Bernard Kouchner hat das Minarett-Verbot in der Schweiz scharf kritisiert. Beim Entscheid des Schweizer Stimmvolks handle es sich um einen «Ausdruck der Intoleranz», sagte Kouchner am Montag im Radiosender RTL.

Er hoffe, dass die Schweiz «möglichst schnell» auf den Entscheid zurückkomme: «Wenn man keine Minarette bauen kann, heisst das, dass man eine Religion unterdrückt», sagte Kouchner. Er sei «etwas schockiert» über den Ausgang der eidgenössischen Abstimmung vom Sonntag.

Vereinbar mit internationalem Recht?

Die UNO will laut einem Sprecher prüfen, ob die Vorlage, über die abgestimmt wurde, mit den internationalen Recht zu vereinbaren ist.

Das Votum der Schweizer Bevölkerung für ein Minarett-Bauverbot ist auch im Europarat auf massive Kritik gestossen. Dieser Entscheid gebe Anlass zu «tiefer Besorgnis», erklärte der Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, Lluis Maria de Puig.

Das Verbot von Minaretten sei nicht geeignet, das Übel des Fundamentalismus an den Wurzeln zu packen. Die Massnahme stehe auch im Widerspruch zu den Werten, für die der Europarat eintrete – etwa Toleranz gegenüber Religionen, hiess es in einer Mitteilung de Puigs.

Eveline Kobler, swissinfo.ch und Agenturen

Nach dem Ja zum Minarett-Verbot nutzte Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf einen Routinebesuch in Brüssel dazu, EU-Vertretern das Abstimmuns-Resultat zu erklären. Sie habe «Verständnisschwierigkeiten» begegnen können, sagte Widmer-Schlumpf anschliessend. «Man respektiert, dass dies das Resultat einer direkten Demokratie ist.» einer direkten Demokratie ist», sagte sie.

Die Justizministerin traf sich auch mit dem EU-Justizkommissar Jacques Barrot. Laut Barrot ist es nun am Bundesrat, den Dialog mit den Religionsgemeinschaften fortzusetzen.

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey ihrerseits empfing am Montagnachmittag in Bern einige Botschafter der arabischen Staaten. Die Reaktionen seien von Erstaunen geprägt gewesen. Dieses Ergebnis habe man gerade von der Schweiz nicht erwartet, sagte Calmy-Rey.

In den Augen Libyens hat die Schweiz mit dem Nein zu Minaretten ihre rassistische Schlagseite bekräftigt. Die amtliche Agentur Jana verwies auf den Einfluss des umstrittenen SVP-Plakates mit der verschleierten Frau und den Raketen-ähnlichen Minaretten.

Mit dem Entscheid werde die «religiös-rassistische Aktion» in der Schweizer Verfassung festgeschrieben. Damit zeige das Land seinen rassistischen Trend, schreibt Jana weiter.

Das Verhältnis zwischen Bern und Tripolis ist seit der Verhaftung des Sohnes von Machthaber Muammar Gaddafi vor eineinhalb Jahren angespannt.

Die beiden Schweizer Geschäftsleute, die seit über einem Jahr als Geiseln in Libyen festgehalten werden, werden laut dem libyschen Aussenministerium wegen angeblichen Steuer- und Visavergehen noch dieses Jahr vor Gericht gestellt.

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