Einkaufszentrum mit Hauptbahnhof
Der Hauptbahnhof in Zürich ist der grösste Schweizer Bahnhof. Und gleichzeitig das viertgrösste Einkaufszentrum.
Rund 350’000 Menschen strömen Tag für Tag durch den Bahnhof, der sich zu einer Art Stadt in der Stadt entwickelt hat. Ein Porträt.
«Jeden Tag kommen 350’000 Personen durch den Bahnhof», sagt Hans Baumann, Schulreferent und Zugsführer der SBB, der durch den HB führt. Den grössten Bahnhof der Schweiz kennt er wie die vielen Taschen seiner Weste.
Er steuert zügig durch die Haupthalle und erzählt begeistert von den Treffen mit Niki de Saint Phalle. Die vor zwei Jahren verstorbene Künstlerin hat die eineinhalb Tonnen schwere, farbige «Nana» 1997 an die HB-Decke gehängt. «Ein Schutzengel für alle Reisenden.»
Die üppige Frauenskulptur schaut auf das «Philosophische Ei» von Mario Merz aus dem Jahre 1992: 134 Meter farbige Leuchtstoffröhren, Zahlen und Tiere symbolisieren das Kommen und Gehen am Bahnhof.
Gleise gekürzt und Halle freigemacht
Bis in die Dreissigerjahre des letzten Jahrhunderts fuhren die Züge in die grosse Halle hinein, Dampfabzüge in der Decke zeugen davon. Das Hallen-Ende war der SBB-Kilometer Null. «Ab hier wurden die Fahrpreise berechnet», sagt Baumann.
1871 war der neubarocke Hauptbahnhof eröffnet worden, für die Landesausstellung 1939 wurden die bestehenden 11 Gleise gekürzt, die Querhalle gebaut und um fünf Gleise erweitert. Was als Provisorium gedacht war, steht bis heute.
In den 90er-Jahren wurde dann der Untergrund erobert: Unterirdischer S-Bahn-Bahnhof, Fussgänger- und Ladenpassagen. Heute ist das Shopville – neu Railcity genannt – mit über 120 Geschäften das viertgrösste Einkaufszentrum in der Schweiz; an Wochentagen bis 21 Uhr geöffnet.
Gedecktes Fussballfeld zu vermieten
Rechtzeitig zum 150-Jahre-Jubiläum der SBB 1997 wurde das alte Bahnhofgebäude renoviert und die Halle von Einbauten befreit.
Die grosse Halle hat etwa die Masse eines Fussballfelds. Über die Jahre fanden darin Modeschauen, Beach-Volleyball-Tourniere, Benefiz-Veranstaltungen, Weihnachtsmärkte, oder Kino mit fast 1400 Sitzplätzen statt.
«Die Halle muss aber an 180 Tagen im Jahr frei bleiben», sagt Baumann, «das ist so mit dem Heimatschutz geregelt.» Die Halle steht seit 1976 unter Schutz.
Dach und Katakomben
Über eine Wendeltreppe geht Baumann voraus aufs Dach, 22 Meter über dem Boden. Man sieht hinüber auf die Türme des Landesmuseums und hinunter auf den Nordtrakt. Unter dessen markanten Dachwelle hat die SBB Büros, Schulungsräume, Garderoben, Personalrestaurant, Überwachungszentrum und Polizei untergebracht.
«Der Hauptbahnhof geht auch vier Stockwerke unter den Boden», sagt Baumann. Dort unten wird beispielsweise gekocht für die Restaurants der Candrian-Gruppe, die 16 Restaurants und Take-Outs im HB betreibt. Aus der unterirdischen Grossküche kommen der Kalbskopf mit Vinaigrette für die währschafte Brasserie Federal ebenso wie das Shitake Kebab im Trendlokal Imagine.
Gepäck geht in den Untergrund
Im Untergrund ist auch die Gepäcksortierung: Die Gepäckkarren können von dort mit Lastaufzügen auf jedes Perron fahren. Halim Barja wartet mit seinem Hubstabler auf die Einfahrt des Zuges aus Bern, Weiterfahrt nach St. Gallen. «Eine gute Arbeit», sagt er, der vor 32 Jahren aus dem Kosovo in die Schweiz gekommen ist. «Nur am Morgen und am Abend, wenn die Leute rennen und nicht aufpassen, muss ich umso vorsichtiger sein.»
Seit drei Jahren gibt es im Bahnhof eine ökumenische Kirche. Ein Ort zum meditieren, philosophieren, schweigen oder beten; egal welcher Konfession. Die Kappelle teilt sich den Zwischenstock – das «Dienstleistungsgeschoss» – mit 1400 Schliessfächern, Telefonzellen, Waschsalon und Warteräumen.
Kleine grosse Welt
Viel hektischer geht es während der Abendstosszeit in der Passage Löwenstrasse zu: Junge Frauen verteilen Bonbons an die Pendlerinnen und Pendler. Patrick Elmer koordiniert die sogenannten Promoterinnen. «Während vier Stunden verteilen wir 35’000 bis 40’000 Muster.» Höhere Frequenzen als im HB Zürich gäbe es fast nirgends.
Vor dem Gleis 3 jagt ein kleines Mädchen im Regenponcho unermüdlich Tauben. Die Tauben seien ein Problem, sagt Baumann. Der Kot zerfrisst Elektrokabel und ist unhygienisch. Alle Versuche, den HB Tauben-frei zu machen, seien gescheitert. Darum halte sich der Bahnhof jetzt eine Population von ungefähr 40 beringten Tauben. Regelmässig komme der Stadt-Ornithologe und fange alle Tauben ein. «Die Fremden enden als Tierfutter im Zoo.»
swissinfo, Philippe Kropf in Zürich
Hauptbahnhof:
350’000 Menschen pro Tag
1600 Zugsein- und -Ausfahrten
22 SBB-Geleise
2 unterirdische Bahnhofsteile für S-Bahn und Regionalzüge
Über 2000 SBB-Angestellte
– Im Juli und August werden die SRG-Radioprogramme ihre Hörer aus acht Schweizer Bahnhöfen begrüssen.
– Jeweils am Freitag (10 – 20 Uhr) und Samstag (9 – 15 Uhr) wird live aus Zürich, Basel, Bern, Chur, Freiburg, Genf, Locarno und Luzern gesendet.
– swissinfo stellt in loser Folge verschiedene Bahnhöfe vor.
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