Erb-Imperium am Ende
Der Winterthurer Familienkonzern Erb ist mit 2,5 Mrd. Franken Schulden am Ende. Die Gruppe ist im Auto- und Immobilien-Geschäft und im Kaffee-Handel tätig.
Eine Holding wird liquidiert, drei weitere gehen in Nachlassstundung. Die Vorfälle wecken Erinnerungen an das Swissair-Debakel oder die Wirbel um die Omni-Holding.
Die Auflösung des Erb-Konzerns ist die grösste Schweizer Firmenpleite seit dem Swissair-Debakel 2001. Insgesamt 82 Banken bangen um ihre Kredite.
Zur Achillesferse des Familien-Unternehmens aus Winterthur wurde eine Beteiligung aus dem Jahre 1996: Damals kaufte die Gruppe 49,8% der Deutschen Immobilien-Holding CBB. Diese wurde mit Baugeschäften in Ostberlin zum Sanierungsfall.
Erb erbte Schulden in der Höhe von 2 Mrd. Franken und sah sich mit weiteren Forderungen aus anderen Ausland-Geschäften konfrontiert.
«Undurchsichtiges Gestrüpp» wird zum «Debakel»
«Ein richtiges Debakel», fasste Geschäftsführer Hans Ziegler vor den Medien zusammen. Er trat an der allerersten Pressekonferenz des Konzerns vor die Öffentlichkeit. Bisher hatte der Konzern noch nie Angaben zu seinem Geschäftsverlauf veröffentlicht. Er ist auch nicht an der Börse kotiert.
Ziegler präsentierte ein vernichtendes Bild des Traditions-Konzerns: Ein undurchsichtiges Geflecht von vier Holding-Gesellschaften mit insgesamt 85 Einzelfirmen und Beteiligungen. Von Tochterfirmen verdientes Geld sei in ein Gestrüpp mehr oder weniger prächtiger Beteiligungen geflossen. Es habe keine Gesamt-Bilanz gegeben.
Ziegler war erst Ende Oktober als Sanierer zu Erb geholt worden. Bis dahin galt der Konzern als solide. Erst in den letzten Tagen war in Zeitungen von Problemen zu lesen.
Filetstücke werden verkauft
In einem ersten Schritt werde nun die Finanz-Holding der Gruppe, Uniinvest, wegen Überschuldung in Konkurs geschickt, so Ziegler. Die drei anderen Holding-Gesellschaften gehen in Nachlassstundung. Diese wurde in allen drei Fällen vom zuständigen Richter bewilligt.
Die Gruppe steht jetzt vor dem Ausverkauf. Unter Aufsicht von drei Sachwaltern sollen möglichst viele der insgesamt 85 Firmen der Gruppe verkauft werden. Darunter finden sich auch bekannte Schweizer Namen.
Der Fenster- und Türenhersteller Ego Kiefer und der Küchenbauer Piatti suchen ebenso einen Käufer wie die Autoimport-Gesellschaften für die Marken Mitsubishi, Hyundai, Suzuki und Tata sowie 30 Garagenbetriebe.
Die Volcafé-Gruppe, der weltweit zweitgrösste Kaffeehändler, wird als eigenständige Gesellschaft weitergeführt.
Ein Grossteil der weltweit 4900 Arbeitsplätze (davon 2500 in der Schweiz) soll mit diesen Transaktionen auf eine nachhaltig sichere Basis gestellt werden. Derzeit sind laut Management 20 Entlassungen vorgesehen.
Die Gewerkschaften forderten am Freitag, dass diese Firmen nicht einfach höchst bietend verschachert würden, sondern in die Hände von Investoren kämen, die es ernst meinten und Arbeitsplätze erhalten wollten.
Patriarch einer Dynastie
Im Juli dieses Jahres war Hugo Erb mit 85 Jahren gestorben. Er hatte 1920 eine Garage gegründet und daraus sein Firmen-Imperium geschaffen und bis zuletzt auch geleitet.
Erb galt als Patriarch und hielt wenig von öffentlichen Auftritten. Das Vermögen der Familie wurde vom Finanzblatt Bilanz vom Dezember letzten Jahres noch auf 1,5 bis 2 Mrd. Franken geschätzt. In der diesjährigen Rangliste der reichsten Schweizer tauchte die Familie nicht mehr auf.
«Die Familie Erb war ausserordentlich diskret und mischte sich nicht ins Winterthurer Leben ein», sagte Stadtpräsident Ernst Wohlwend. «Das Debakel war eine totale Überraschung für alle.»
Dem Familien-Oberhaupt Erb war es nicht gelungen, eine funktionierende Nachfolge vorzubereiten. Nach seinem Tod übernahmen zwei seiner Söhne für kurze Zeit die Führung, um sie Ende Oktober an CEO Ziegler zu übergeben. Nach nur fünf Wochen «Situationsanalyse» war für diesen der Fall klar: Die Erb-Gruppe ist nicht mehr zu retten.
Kein Vorwurf an die Banken
Bereits in den vergangenen Tagen waren Vorwürfe laut geworden, die Banken hätten ihre Kredite an die Erb-Gruppe, im Glauben an deren gute Reputation, nicht genügend vorsichtig vergeben. Es wurde an die gescheiterten Financiers Werner K. Rey oder Florio Fiorini erinnert, die Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre Kredite in Millionenhöhe erhalten hatten.
Erb-CEO Ziegler verteidigte nun am Freitag die Banken. Weil die Gruppe in Privatbesitz gewesen sei, hätten diese wohl kaum Kenntnis der Gesamtlage des Konzerns gehabt. Sie hätten ihren Job im Rahmen der vorhandenen Informationen gut gemacht.
Insgesamt 82 Banken haben der Erb-Gruppe Kredite gesprochen. Dazu gehören laut «Tages-Anzeiger» die zwei Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse ebenso wie Kantonalbanken aus den Kantonen Genf, St. Gallen, Thurgau, Waadt und Zürich. Betroffen sind auch die Deutsche Hypo Vereinsbank, die WestLB und die Commerzbank.
Niedergang einer Industriestadt
Winterthur, mit 92’000 Einwohnenden sechstgrösste Schweizer Stadt, musste schon mehrfach zuschauen, wie bekannte Unternehmen ausverkauft wurden.
Über 200 Jahre hatten Industriellen-Geschlechter wie Sulzer oder Rieter die Geschichte der Eulachstadt dominiert. In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts beschäftigte die Maschinenfabrik Sulzer noch 11’000 Mitarbeitende in Winterthur; im Jahr 2000 noch gerade 2600. Das Fabrikgelände wurde zu Lofts, Schulen und Geschäften umgebaut.
Ende der 90er Jahre wurde die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) nach 720 Entlassungen von Adtranz übernommen, die ihrerseits von Bombardier gekauft wurde.
Im letzten Jahr war die Winterthur Versicherung mit 3000 Arbeitsplätzen ein wichtiger Arbeitgeber. Die krisengeschüttelte Tochter der Credit Suisse kündigte im Oktober weitere 200 Entlassungen an – insgesamt 680 in der Schweiz, viele davon in Winterthur.
swissinfo
Die Winterthurer Erb-Gruppe umfasst 85 Unternehmen und beschäftigt weltweit 4900 Angestellte, 2500 davon in der Schweiz.
Im Jahr 2002 lag der Umsatz der Gruppe bei 4,46 Mrd. Franken. Heute ist die Gruppe mit 2,5 Mrd. Franken verschuldet. Insgesamt 82 Banken aus der Schweiz und Deutschland gaben der Gruppe Kredite.
Die Erb-Gruppe ist vollständig im Familienbesitz und nicht an der Börse kotiert. Familien-Patriarch Hugo Erb starb im vergangenen Juli, zwei Söhne übernahmen die Führung.
Schulden: 2,5 Mrd. Franken
Gläubiger-Banken: 82, darunter Credit Suisse, UBS, 6 Kantonalbanken, Hypovereinsbank, WestLB, Commerzbank
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