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Erdgas als diplomatische Mission

Um die Versorgung zu gewährleistet greift die Schweizer Diplomatie den Gasversorgern unter die Arme. Keystone

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey hat in Iran der Unterzeichnung eines Gas-Liefervertrags der Schweizer Elektrizitäts-Gesellschaft Laufenburg (EGL) beigewohnt.

Die offizielle Schweiz hat kürzlich eine Diplomatie in Sachen Gas lanciert, um private Gesellschaften dabei zu unterstützen, langfristige Lieferverträge zur Versorgung des Landes abzuschliessen.

In Teheran trifft sich Micheline Calmy-Rey mit den Verantwortlichen der Nuklear-Politik und bringt weiter die Menschenrechtsfrage auf den Tisch. Vor allem aber war sie bei der Unterzeichnung eines Gasliefervertrages zwischen der EGL und der iranischen Gas-Exportgesellschaft dabei.

Ab 2009 soll das erste iranische Erdgas in die Schweiz fliessen, und ab 2011 sollen jährlich 5,5 Mrd. Kubikmeter an die EGL geliefert werden.

Der Vertrag sei mit den UNO-Sanktionen gegen Iran kompatibel, versichert das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Dieses Engagement der offiziellen Schweiz ist nicht neu.

Im letzten Jahr haben die Schweiz und Aserbaidschan einen Vertrag unterzeichnet, der die Zusammenarbeit zwischen Privatinvestoren und Firmen der beiden Länder im Bereich Erdgas und Erdöl fördern soll.

Im Februar hat der Chef des Bundesamts für Energie (BFE) den türkischen Energieminister getroffen. Thema: das Projekt der Transadriatischen Gaspipeline (TAP, Trans Adriatic Pipeline).

Die Türkei ist als Transitland ein wichtiges Bindeglied für alle Gastransport-Projekte aus dem Nahen Osten via Kaspisches Meer.

Ein Konsortium, bei dem auch die EGL dabei ist, wird ab nächstem Jahr mit dem Bau der TAP beginnen. Sie soll Gas aus Iran und Aserbaidschan, wo es grosse Vorkommen gibt, nach Europa befördern.

«Wir wurden von der EGL gebeten, sie diplomatisch in den Ländern zu unterstützen, durch welche die Pipeline führen wird: Das sind Italien (wo die EGL Gaskraftwerke betreiben will), Albanien, Griechenland, die Türkei, Iran und Aserbaidschan», erklärt Jean-Christoph Füeg, Leiter der Abteilung Internationale Angelegenheiten im BFE.

«Es ist in unserem nationalen Interesse, eine Firma zu unterstützen, deren Projekt zu einer Diversifizierung der Gasversorgung in Europa und damit auch der Schweiz beiträgt.»

Energie-Aussenpolitik

Bisher lagen Gasfragen ausschliesslich in den Händen der privaten Gasversorger. Jetzt beteiligt sich auch die offizielle Schweiz. Die Regierung hat kürzlich eine Energieaussenpolitik beschlossen, als vierten Teil einer globalen Energiepolitik.

Beim Gas erklärt sich dieses Engagement durch die stärkere Nachfrage und den Aspekt, dass die Reserven begrenzt sind. Vor allem aber auch durch die Abhängigkeit der Schweiz vom Import.

Die Schweiz interveniert auch, weil sie abklärt, ob sie Gas mittelfristig zur Erzeugung von elektrischer Energie einsetzen will. Dies ruft auch die grossen Elektrizitäts-Versorger auf den Plan, denn es bahnt sich eine Neuordnung des Marktes an (Anstieg der Konkurrenz, Übernahmen, Fusionen, usw.).

«Wie alle anderen Staaten auch, hat der Bund erkannt, dass die Sicherheit der Energieversorgung die Unterstützung des Staates benötigt», erklärt Jean-Christophe Füeg. «Und das insbesondere im Bereich der Investitionssicherungen durch bilaterale Verträge zwischen den Staaten.

Auf europäischer Ebene ein Zwerg

Im grossen Rennen um das Gas ist die Schweiz ein Zwerg. Sie beansprucht weniger als ein Prozent des europäischen Marktes und befindet sich tief im Schatten der Europäischen Union.

Doch Jean-Christoph Füeg sieht einige Nischen, wo ein Nicht-EU-Mitglied einen Vorteil hat. So auch bei der Türkei, wo die Energiepolitik im Rahmen der Verhandlungen über einen EU-Beitritt eine wichtige Rolle spielt.

Bei der TAP und anderen Pipelines, die durch die Türkei und den Balkan führen, um Gas aus Iran, Aserbaidschan oder Irak zu transportieren, wirken auch Schweizer Spezialisten mit.

Einige Projekte befinden sich allerdings noch im Anfangsstadium. Denn es ist eine Gleichung mit vielen Unbekannten, vor allem der geostrategischen Politik, die nicht zuletzt durch die Uneinigkeit von Russen (Konkurrenz) und Amerikanern (Iran und seine Nuklearstrategie) beeinflusst wird.

Drei Versorgungskanäle

Die Gasversorgung der Schweiz erfolgt derzeit durch grosse europäische Intermediäre. Sie läuft über drei grosse Kanäle: Nordeuropa (Norwegen, die Niederlande und Deutschland), Algerien via Frankreich (welches das Gas auch speichert) und Russland (relativ wenig).

«Wenn dieser vierte Kanal realisiert sein wird, kann auch die Schweiz profitieren. Daher die Unterstützung des Bundes», sagt Jean-Christophe Füeg. «Er kann der Schweiz helfen, zu diversifizieren und die Versorgung zu sichern.»

swissinfo. Pierre-François Besson
(Übertragung aus dem Französischen: Etienne Strebel)

Die Schweizer Erdgasindustrie beschäftigt rund 1700 Mitarbeitende und macht einen Umsatz von 1,7 Mrd. Franken.

Das Vertriebsnetz erstreckt sich über 16’000 km. Im Gegensatz zu jenem der europäischen Union ist der schweizerische Markt nicht liberalisiert.

Die Versorgung der Bevölkerung wird durch Hunderte von Unternehmen, meist öffentliche, sichergestellt. Sie treten gegenüber dem Ausland als vier regionale Gesellschaften auf, die in einer zentralen Beschaffungsstelle verbunden sind (Swissgaz).

Die Schweiz, aber auch der Rest der Welt, verbrauchen immer mehr Erdgas (weltweite Verdoppelung zwischen 1980 und 2006).

12% des Energiebedarfs der Schweiz wird mit Erdgas gedeckt. Die Haushalte verbrauchen 40% davon, die Industrie 33%. Der Rest entfällt auf Dienstleistung und Transport

Im Rahmen ihres Besuches in Teheran hat Micheline Calmy-Rey mit ihrem iranischen Amtskollegen Manoucher Mottaki auch die Menschenrechts-Situation erörtert.

Beide Seiten haben eine Konkretisierung des Menschenrechts-Dialogs vereinbart. Lanciert wurde eine vorbereitende Kommission.

Gesprochen worden sei auch über die Todesstrafe, speziell bei Jugendlichen. Calmy-Rey wandte sich auch gegen die Steinigung und Körperstrafen wie Amputationen.

Für Teherans «anti-israelische Rhetorik» zeigte die Aussenministerin kein Verständnis. Für die Schweiz sei es inakzeptabel, dass ein UNO-Mitglied das Existenzrecht eines Staates negiere.

Die Schweizer Chefdiplomatin bekräftigte das Eintreten der Schweiz für eine diplomatische Lösung des Atomstreits.

Die USA kritisierten den Abschluss des Vertrags scharf. Die US-Botschaft in Bern erklärte, dieser verstosse gegen den Geist der Sanktionen gegen den Iran wegen des Atomstreits.

Die Schweiz sende «das falsche Signal» an den Iran. Die USA wollten nun überprüfen, ob der Vertrag nicht gegen US-Sanktionen verstosse.

In dem US-Sanktionsgesetz verbieten die USA Investitionen von über 20 Mio. Dollar in den iranischen Öl-und Gassektor.

Unternehmen, die dagegen verstossen kommen auf eine schwarze
Liste. Steigen die Unternehmen nicht aus dem Geschäft aus, kann der
US-Präsident Sanktionen gegen sie verhängen, und US-Unternehmen
dürfen mit diesen Firmen nicht mehr zusammenarbeiten.

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