Ernüchterung in Davos
Tausende WEF-Teilnehmer haben vorübergehend Davos bevölkert. Das Bomben-Geschäft dauert nur kurz und löst die Probleme vor Ort nicht.
Davos gilt als Symbol der Weltwirtschafts-Elite. Die Gastfreundschaft der Region indessen hat bessere Zeiten gekannt.
In den vergangenen Tagen gab es in den Bars, Restaurants, Autobussen und Hotels in Davos nur ein Thema: das WEF, das Weltwirtschafts-Forum.
Dieses Jahr lief alles wie geölt – keine Zwischenfälle, wenige, friedliche Demonstranten, kein Bombenalarm.
Die Spannung war anderer Art. Neben den Stars aus der Filmszene – darunter Richard Gere und Sharon Stone, UNO-Sonderbotschafterin für Menschenrechte – trafen sich in Davos die ganz Grossen der Welt: der britische Premierminister, Minister und hohe Funktionäre aus 80 Ländern, die CEOs und Verwaltungsrats-Präsidenten zahlreicher multinationaler Konzerne, Leute, die sich mit Bilanzen herumschlagen, welche manchen Staatschef einer Industrienation zum Erblassen bringen.
Belagerte Stadt
Es gab zahlreiche Sicherheitsposten, fast 6000 Soldaten und Polizisten, die für die Sicherheit der hohen Gäste sorgten. Die Polizisten, aus der ganzen Schweiz zusammengetrommelt, waren freundlich, trotz der beissende Kälte. Ohne Eintritts-Badge gab es kein Vorwärtskommen, freundlich wurde man abgewiesen.
Die besten Hotels und die neuralgischen Punkte des WEF waren mit Metallgittern abgesperrt. Weisse Zelttücher schwächten den Eindruck von einem Gefängnis zwar ab, der Schnee besorgte den Rest: Die den illustren Gästen so wichtige Diskretion blieb gewahrt.
Grosse Limousinen mit verdunkelten Fenstern glitten fast lautlos auf den verschneiten Strassen vorbei. Auch das ist das WEF: Ein Planet der VIP, auf dem sich die normalen Leute leicht unbehaglich fühlen. Eine ältere Frau macht gute Miene zum bösen Spiel: «Das WEF ist halt wichtig für Davos» – und weg ist sie mit ihrer Einkaufstasche.
Touristen?
Die 2300 WEF-Teilnehmer sowie die Organisatoren und Sicherheitsleute belegten lediglich 40 Prozent der Betten der Wintersport-Metropole. Davos bietet in seinen Hotels und vor allem in den Ferienwohnungen insgesamt 24’000 Betten an.
Ein Autobus-Chauffeur bringt es auf den Punkt: «Touristen? Wenige. Wer will schon Ferien in einem Tal machen, das von Armee und Polizei besetzt ist?» Auch Armin Egger, Chef von Davos Tourismus, sagt: «Der Monat Dezember ist für uns wichtiger als die WEF-Woche im Januar.»
Aber wenigstens sind die Manager grosszügig. In Davos gibt man das Geld aus: Shopping, unzählige Partys und Apéros. Dort trifft man sich privat, dort findet der informelle Austausch statt, der den «Geist von Davos» ausmacht.
Ungenügendes Angebot
Trotz WEF hat Davos seine Probleme: Die Höhenkliniken, welche die Davoser Gastfreundschaft weltweit bekannt gemacht haben, schliessen eine nach der anderen. Ärztekongresse, einst ein Markenzeichen von Davos, finden immer seltener statt.
Nach dem Ende des WEF wird man sich in Davos schnell Gedanken machen über die Grenzen der Tourismus-Entwicklung. In den letzten 50 Jahren hat der Bündner Ort ausschliesslich auf den Winter-Tourismus gesetzt. Der Kongress-Tourismus entwickelte sich nur langsam, bleibt aber marginal.
Für so hochrangige Veranstaltungen wie das WEF kommt die Infrastruktur an ihre Grenzen. In Davos gibt es nur ein einziges Fünfstern-Hotel. Ex-US-Präsident Bill Clinton «musste» in einem Vierstern-Hotel absteigen.
Und dann kommt die Frage der Preise: Eine Sonntagszeitung kritisierte vor kurzem die lokale Hotellerie, die mit überrissenen Preisen vom WEF profitieren würden, um ihre Bilanzen zu schönen. Sogar die WEF-Organisatoren hätten deswegen bei den Behörden reklamiert.
Ein halbes Dementi
Armin Egger von Davos Tourismus weist diese Kritik zurück. Gleichzeitig gibt er gegenüber swissinfo aber indirekt zu: «Das sind Einzelfälle». Und weiter: «Wir sind seit jeher mit dem WEF in direktem Kontakt, nicht nur heute. Im übrigen hat der ganze Tourismus-Sektor, und das nicht nur in Davos, Infrastruktur-Probleme.»
Man könne nicht Fünfstern-Hotels bauen, die lediglich während einer Woche besetzt sind, betont Egger. «Und dann hat der Tourismus seit Jahren Schwierigkeiten mit der Finanzierung von innovativen Projekten.»
Dazu kommt, dass Städte wie Salzburg und New York, wo das WEF 2002 bereits einmal stattfand, Davos das Forum streitig machen. Eine Grossstadt hat eine flexiblere Infrastruktur als ein Ort in den Bergen, und die Sicherheitsfrage ist vergleichbar.
«Der Zauberberg»
Im Jahr 1912 hat Thomas Mann Davos als «Zauberberg» beschrieben. Mit diesem Roman verhalf der deutsche Schriftsteller dem Ort zu Weltruhm. Seit dem ersten WEF 1971 gilt Davos auch als Symbol des Wirtschafts-Liberalismus, der die Welt verändert.
Wenn es Davos nicht gelingt, den Anforderungen des WEF gerecht zu werden, könnte der Ort sein umstrittenes ideologisches Prestige verlieren. Aber Tourismus-Chef Egger bleibt zuversichtlich: «Das WEF ist in Davos gewachsen, Davos wächst mit dem WEF.» Klarere Antworten sind im Moment nicht zu hören.
swissinfo, Daniele Papacella, Davos
(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)
Davos liegt 1560 Meter über Meer
13’250 Einwohner
24’000 Betten in Ferienwohnungen und Hotels
71 Hotels, nur eines mit 5 Sternen
50 Bergbahnen und 310 km Skipisten
Während Jahrhunderten bestand die Talschaft Davos lediglich aus ein paar verstreuten Walser-Dörfern.
Im 18. Jahrhundert führten die Fortschritte in der Medizin zur Entstehung einiger Sanatorien, die Davos bekannt machten.
In den 1930-er Jahren beginnt das Zeitalter des Winter-Sports, in den 1950-er Jahren wird er zu einem Massenphänomen: Davos wird ein Ort des Winter-Sports.
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