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«Erst die Zitrone auspressen, dann die Globallösung»

Der Tresorraum der Bank Wegelin ist Vergangenheit. Keystone

Erst "die Zitrone auspressen", sprich die ins Visier geratenen Schweizer Banken weiter unter Druck setzen, dann ein Staatsvertrag, deutet Wirtschafts-Professor Peter V. Kunz die Strategie der USA im Steuerstreit. Das Wegelin-Ende sieht er als Ausnahme.

Kunz geht im Gespräch mit swissinfo.ch davon aus, dass die zehn anderen Schweizer Banken, die von den US-Behörden in der Steueraffäre verfolgt werden, Lösungen auf dem individuellen Verhandlungsweg anstreben würden.

Dabei müssten sie Bussen gewärtigen oder – im Extremfall – Daten von Bankkunden unter Verletzung des schweizerischen Rechts an die USA herausgeben, sagt der Professor der Universität Bern.

Angesichts drohender Klagen aus den USA hatte letzten Freitag die Bank Wegelin kapituliert. Das Ende der Schweizer Traditionsbank löste auf dem Finanzplatz Schweiz grosse Beunruhigung aus.

swissinfo.ch: Droht den anderen Schweizer Banken, die im Visier der US-Justiz stehen, tatsächlich ein «Domino-Effekt», wie dies etwa Ex-UBS-Chef Oswald Grübel befürchtet? 

Peter V. Kunz: Ich sehe die Lage nicht so dramatisch. Die US-Justiz hat nicht nur Interesse an der Bank Wegelin, sondern an allen elf Banken. Sie wird sich aber genau überlegen, gegen welche sie noch vorgehen wird und wo sie es bleiben lässt. Die Bank Wegelin und ihr faktischer Untergang scheint mir ein Ausnahmefall.

swissinfo.ch: Könnten über diese elf Banken hinaus noch weitere Schweizer Banken auf den Radar der USA geraten? 

P.V.K.: Das ist nicht auszuschliessen. Sollten im Verlauf des Falles Wegelin oder anderer Verfahren weitere Schweizer Banken inkriminiert werden, ist anzunehmen, dass die Amerikaner ihre Untersuchungen und Verfahren auch auf diese ausdehnen werden. Alles steht und fällt damit, ob Beweismittel vorhanden sind.

Aus diesem Grund muss der Schweizer Finanzplatz aus seiner Sicht an einer Globallösung interessiert sein. Es ist also eine Illusion zu denken, es gehe nur um diese zwölf Banken, die UBS eingeschlossen.

swissinfo.ch: Haben Sie Verständnis für die Haltung der US-Justiz, jetzt jene Banken zu verfolgen, die nach 2008/09 von der UBS deren US-Kunden samt unversteuerten Vermögen übernommen haben? 

P.V.K.: Ich habe grosses Verständnis dafür, müssen diese Übernahmen von Kunden für die US-Seite doch ein Schlag ins Gesicht gewesen sein – die Psychologie darf nicht ausser Acht bleiben.

Nachdem sich die US-Behörden auf die UBS eingeschossen hatten, sind sie wohl davon ausgegangen, dass allen Schweizer Banken bewusst war, – und das ohne Intervention der Finma (Finanzmarktaufsicht), – dass US-Kunden ein Risiko darstellten.

Ich kann es überhaupt nicht verstehen, dass Schweizer Banken solche US-Kunden aufgenommen, eventuell sogar bewusst gesucht haben. Diese Banken haben sich so tatsächlich ein eigenes Problem geschaffen.

swissinfo.ch: Anders als im Fall UBS hat die Finma nichts gegen die Aufsplittung, gleichbedeutend mit dem Ende der Bank Wegelin, unternommen. War dies die einzig praktikable Lösung? 

P.V.K.: Ich bin bekannt als Kritiker der Finma und anderer Aufsichtsbehörden. Im Fall Wegelin aber sehe ich keinerlei Anlass für Kritik an der Finma.

Es ist erstens falsch, der Finma vorzuwerfen, sie hätte bereits 2008/09 formell intervenieren und den Banken verbieten sollen, US-Kunden aufzunehmen. Das war tatsächlich die Aufgabe der Manager der Schweizer Banken gewesen.

Zweitens hat die Finma richtig gehandelt, weil bei der Bank Wegelin kein staatliches Interesse zur Intervention aufgrund des Too big to fail-Aspekts bestanden hat. Es wäre völlig ausgeschlossen und illegal gewesen, wenn die Aufsichtsbehörde beispielsweise Bankkundendaten von Wegelin ausgeliefert hätte, wie sie das 2008 bei der UBS gemacht hatte.

Die «Aufsplittung» – juristisch eine Vermögensübertragung mit anschliessendem Verkauf – war eine privatwirtschaftliche Lösung der Bank Wegelin mit der Raiffeisen-Bank, bei der in erster Linie die Interessen der Teilhaber von Wegelin im Vordergrund standen. 

swissinfo.ch: Ist die erwähnte Too big to fail-Problematik auch der Grund für die Zurückhaltung, mit der die Regierungsmitglieder das Ende Wegelins kommentierten? 

P.V.K.: Es ist absolut richtig, dass die Eidgenossenschaft nicht zugunsten einer Bank interveniert. Sie kann auch nicht eingreifen, wenn ein Schweizer Maschinenhersteller im Ausland Probleme hat.

Schweizer Unternehmen müssen ihre Probleme selber lösen, statt den Staat herbei zu ziehen. Das ist die Grundlage unserer marktwirtschaftlichen Verfassung.

Es gab und gibt nur ganz wenige Ausnahmen. Eine solche war der Fall UBS eben wegen des Too big to fail-Aspekts. Ausnahmen wären die Credit Suisse und allenfalls auch die beiden involvierten Kantonalbanken, weil dort Staatsgarantien bestehen.

Bei den übrigen Banken Wegelin, Julius Bär etc. gibt es dagegen kein solches öffentliches Interesse, sie müssen ihre Probleme selber lösen.

swissinfo.ch: Sie teilen also die Kritik des Zürcher Bankenprofessors Martin Janssen nicht, der den Behörden Versagen vorgeworfen hat?

P.V.K.: Keineswegs. Solche unberechtigte Kritik zeigt, dass man die Grundlagen der Marktwirtschaft nicht akzeptiert, wenn es Probleme gibt. Marktwirtschaft ist aber keine Einbahnstrasse!

swissinfo.ch: Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf hat in Davos gegenüber ihrem US-Amtskollegen Timothy Geithner auf eine rasche Lösung des Steuerstreits gedrängt. Ist dies eine realistische Position? 

P.V.K.: Ich weise seit drei Jahren darauf hin, dass man sich in der Schweiz Illusionen über eine Globallösung macht. Die amerikanische Seite ist absolut nicht an einer solchen interessiert, denn ohne solche hat sie mehr Möglichkeiten, Druck auszuüben, Exempel zu statuieren und Bussen zu verteilen. Ich gehe davon aus, dass die USA erst zu einer Vertragslösung Hand bieten werden, wenn die Zitrone ausgepresst ist.

swissinfo.ch: Was bleibt jetzt den verbleibenden zehn Banken anderes übrig, als möglichst akzeptable Bussen aushandeln? 

P.V.K.: Ich vermute, dass sie versuchen, auf dem individuellen Verhandlungsweg Lösungen zu erreichen. Ich gehe davon aus, dass sie Bussen bezahlen werden oder sich bei Existenzangst im Extremfall sogar bereit erklären werden, Daten von Bankkunden unter Verletzung des schweizerischen Rechts an die USA herauszugeben.

Angesichts einer fehlenden Perspektive für eine kurzfristige Globallösung müssen die Schweizer Banken rasch handeln. Denn das Beispiel Wegelin hat gezeigt, dass es schlecht enden kann.

Die Wurzeln der ältesten Bank der Schweiz gingen bis ins Jahr 1741 zurück. Sitz war bis zuletzt St. Gallen.

Zum Verhängnis wurden Wegelin Anfang Januar detaillierte Vorwürfe der US-Justiz, dass drei Kundenberater in der Zürcher Filiale mindestens 70 amerikanischen Steuerzahlern geholfen hätten, mehr als 1,2 Mrd. Dollar vor dem US-Fiskus zu verstecken.

Das wird gemäss US-Recht als Steuerbetrug geahndet.

Die US-Kunden mit ihren unversteuerten Vermögen hatte Wegelin nach dem Fall UBS 2008/09 von der Schweizer Grossbank übernommen.

Zuletzt wurde die Bank von acht Teilhabern geführt, die für die Verpflichtungen des Instituts mit ihrem unbeschränktem Privatvermögen hafteten.

Das Haus mit 12 Filialen in der Schweiz beschäftigte 700 Mitarbeitenden und verwaltete Vermögen von knapp 25 Mrd. Franken.

Die Raiffeisen-Gruppe kaufte die Bank Wegelin mit Ausnahme des US-Kundengeschäfts. Dieses wurde in Notenstein Privatbank umgetauft.

Ob Raiffeisen dadurch vor dem Zugriff der US-Behörden sicher ist, ist unklar.

Acht der elf Schweizer Banken, die im Visier der US-Justiz stehen, haben offenbar bis sechseinhalb Millionen E-Mails über US-Kunden an die amerikanischen Steuerbehörden geliefert oder werden sie liefern.

Die Informationen umfassen auch E-Mails zwischen Bankberatern und ihren US-Kunden.

Dies hat Schweizer Radio DRS am Dienstagmorgen gemeldet. 

Gemäss den Informationen sind die Daten verschlüsselt. Damit wolle die Schweizer Regierung einen Anreiz schaffen, dass die USA möglichst rasch einer Globallösungen zustimmt.

Ist eine solche unter Dach, liefert die Schweiz den Entschlüsselungs-Mechanismus nach. Im Gegenzug sollen allfällige Klagen gegen Schweizer Banken fallen gelassen werden.

Den Banken, die US-Kunden geholfen haben, Vermögen vor dem US-Fiskus zu verstecken, droht eine Milliardenbusse.

Das Schweizer Finanzministerium bestätigte die Lieferung von Dokumenten im Umfang von 20’000 Seiten an die USA.

Die USA haben bisher noch nicht  reagiert.

Alfred Mettler, Professor für Finanzen an der amerikanischen Georgia State University, sieht in der Datenlieferung kein Zeichen für ein Nachgeben der Schweizer Banken, wie er am Schweizer Radio DRS sagte.

Die USA hätten von reuigen Steuersündern sehr viele Daten erhalten, jetzt seien sie daran, das Puzzle zu vervollständigen, so Mettler.

Ein Deal «Datenlieferung gegen Globallösung» könne funktionieren, zeigte sich der Bankenexperte Mettler optimistisch.

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